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„Bei einem Streit ist selten einer schuldig“ (MM)

Nach dem Skandalspiel von Kielce verteidigt Vive-Präsident Bertus Servaas seinen Trainer Talant Duschebajew

KIELCE. Eine Dreiviertelstunde vor dem Anpfiff kommt Bertus Servaas am Samstag ganz entspannt und wippenden Schrittes in die Halle. Der millionenschwere Präsident von KS Vive Targi Kielce lacht, macht Späßchen und lässt sich einen Fanschal umlegen. Es folgt der Gang aufs Feld, wo er jeden seiner Spieler herzlich umarmt. Die Profis wissen, wer sie bezahlt: Der reiche Unternehmer aus den Niederlanden.

Etwas mehr als zwei Stunden später steht Servaas erneut auf dem Feld. Nach dem emotionalen Champions-League-Spiel zwischen seinem Klub und den Rhein-Neckar Löwen versucht er sich als Schlichter. Der Niederländer will die beiden Streithähne Gudmundur Gudmundsson und Talant Duschebajew auseinanderhalten – was ihm nur bedingt gelingt. Gudmundsson behauptet, nach der 28:32-Niederlage von seinem Kollegen geschlagen worden zu sein. Die Fernsehbilder zeigen das zwar nicht eindeutig, sprechen aber eher gegen als für Duschebajew. Weshalb die Löwen eine Bestrafung des Kielcer Trainers fordern.

„Keinen Schlag gesehen“

„Ich weiß nicht genau, was passiert ist. Es war eine Rangelei, aber einen Schlag habe ich nicht gesehen“, nahm Servaas gestern im Gespräch mit dieser Zeitung seinen Coach in Schutz: „Wenn die Löwen uns etwas anhaben wollen, werden wir uns verteidigen. Sie sollten sich aber erst einmal um ihren eigenen Trainer kümmern. Wissen Sie: Ich habe in meinem Berufsleben eines gelernt: Wenn zwei sich streiten, ist selten nur einer schuldig.“

Der Niederländer spielt damit auf eine obszöne Geste an, die Gudmundsson während der Begegnung gegenüber Duschebajew gezeigt haben soll. Das behauptet der Kielcer Trainer – und nur deshalb sei er so in Rage gewesen. Auf der Pressekonferenz griff er den Löwen-Coach an und forderte mehr Respekt ein. Gudmundsson nannte ihn daraufhin einen „Lügner“.

„Talant war unglaublich aufgewühlt. Es muss also vorher etwas passiert sein. Klar ist trotzdem, dass er so nicht reagieren darf. Wir werden mit unserem Trainer reden – und ich gehe davon aus, dass Thorsten Storm (Geschäftsführer der Löwen, Anmerkung der Redaktion) das auch mit Gudmundur machen wird“, sagte Servaas und erklärte, dass man sich alle Fernsehbilder genau anschauen werde, um die angeblich von Gudmundsson gezeigte Geste gegenüber Duschebajew zu finden.

Die Europäische Handball-Föderation (EHF) beschäftigt sich mittlerweile mit den Geschehnissen in Kielce, verkündete gestern aber keine Ergebnisse. „Wir untersuchen alle Informationen, alle Bilder, die Berichte der Delegierten und der Schiedsrichter“, teilte EHF-Sprecher Rowland auf Anfrage mit. Erst wenn man alle Daten analysiert habe, werde es zu einer Entscheidung kommen, ob ein Verfahren eröffnet werde oder nicht.

Servaas hat sich für die Vorkommnisse auf der Pressekonferenz bereits bei den Löwen entschuldigt. „Das ist eine sehr faire Geste“, sagte Storm. Außerdem plädiert der Kielcer Präsident dafür, die Vergangenheit und damit auch die Angelegenheit ruhen zu lassen. „Es ist schade für den Handball, dass jetzt nicht mehr über dieses tolle Spiel zwischen zwei starken Mannschaften, sondern über die zwei Trainer geredet wird. Diese schlechte Außendarstellung ist nicht gut für unseren Sport“, sagte der steinreiche Unternehmer, der Kielce in den vergangenen Jahren mit Millioneninvestitionen in die europäische Spitze führte und sich lieber heute als morgen den Traum vom Champions-League-Triumph erfüllen will.

Vielleicht gelingt das den Polen schon in diesem Jahr, wenngleich die Löwen dem Kontrahenten nach dem Skandalspiel von Kielce erst recht liebend gern in die Suppe spucken würden. Am nächsten Montag fällt die Entscheidung – und die Badener sind fest entschlossen, dass Servaas die SAP Arena dann mit hängendem Kopf und nicht wippenden Schrittes verlassen wird.

Von Marc Stevermüer