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„Bogen ist längst überspannt“

Heidelberg/Wien. Mindestens ein Mal im Jahr treffen sich die stärksten Handball-Nationalteams, um sich zu messen, um den Besten zu ermitteln: EM, WM, Olympia. Ein Großereignis jagt das nächste. Der Terminkalender ist voll, zu voll! Viele Sportfans fühlen sich übersättigt, sprechen von einer Reizüberflutung. Thorsten Storm, 45, Manager der Rhein-Neckar Löwen, beurteilt die Lage ähnlich. Am Wochenende war er in Wien, verfolgte den EM-Endspurt aus nächster Nähe.

> Thorsten Storm, wie fällt ihr EM-Fazit aus?

Ich habe diesmal keinen guten Handball gesehen. Spannend war es trotzdem: Weil sich Top-Mannschaften wie beispielsweise Frankreich auch nur mühsam ins Turnier gekämpft haben. Man hat den Spielern angemerkt, dass sie nicht mehr können. Der Bogen ist längst überspannt. Körper und Geist sind nicht mehr belastbar. Eine EM wie diese könnte man auch „enorme Belastung“ nennen. Es ist einfach nichts Besonderes mehr, was nicht an den Spielern oder dem Sport liegt, sondern an der inflationären Anzahl an Wettbewerben.

> Demnach gibt es zu viele Handball-Großereignisse …

Geld mit einer EM oder WM zu verdienen ist das eine. Auch die Spieler profitieren davon. Und zwar durch ihren ansteigenden Marktwert, der sich dann finanziell für sie auszahlt. Aber bei dieser EM war das Niveau wirklich schlecht. Das merken auch die Zuschauer und die Medien. Außerhalb des Handball-Dunstkreises haben viele Menschen diese EM gar nicht erst wahrgenommen. Somit können auch die finanziellen Einnahmen wieder sinken. Willst du etwas gelten, komme selten

– hat meine Oma früher immer gesagt.

> Folglich wäre eine Anpassung an den Fußball sinnvoll …

Ja. Eine EM oder WM alle vier Jahre ist völlig ausreichend. Und wertet diese Wettbewerbe zudem noch auf. Vereine und Verbände müssen zusammen arbeiten und nicht ihre eigene Suppe kochen. Letztlich hat sich der Handball doch toll entwickelt. Abseits der EM-Partien hat ein Treffen zwischen der IHF und den europäischen Spitzenklubs stattgefunden.

> Nach den ganzen Streitereien soll es zu einer Annäherung gekommen sein …

Wir sitzen doch alle in einem Boot. Und jeder von uns muss ein bisschen von seiner egoistischen Linie weg. Denn unsere Top-Zugpferde sind jeweils die gleichen:

die Spitzenspieler. Wir als Vereine zahlen ihre hohen Gehälter. Deshalb müssen wir künftig besser abgesichert sein. Die IHF will uns diesbezüglich nun entgegengekommen. Doch es bleibt abzuwarten, ob auch Taten folgen. Aber auch die Liga muss etwas geben. Etwa eine Reduzierung auf 16 Mannschaften. Auch eine abgespeckte Champions_League wäre aus meiner Sicht ratsam.

> Mit Uwe Gensheimer und Michael Müller standen zwei junge Löwen in der

DHB-Auswahl. Wie haben sie sich verkauft?

Uwe hat gegen Ende des Turniers gezeigt, was für ein großes Talent er ist. An ihm sieht man, dass es auch in einem mit europäischen Topspielern besetzten Team möglich ist, sich toll zu entwickeln. Ein Stück weit liegt es eben immer an einem selbst. Um voranzukommen heißt es: Arbeiten, arbeiten, arbeiten. Im täglichen Training entwickelt man sich weiter. Uwe hat das getan. Michael steht sich zurzeit hingegen selbst im Weg. Er braucht ein Aha-Erlebnis. Er setzt sich selbst zu sehr unter Druck, hat dadurch seine Unbekümmertheit und seine Konzentration verloren. Wir werden ihm alle helfen, denn in ihm steckt viel Potenzial.

> Siarhei Harbok verlässt den Verein, wird er in der kommenden Saison durch Steffen Fäth ersetzt?

Zunächst einmal haben wir unsere Vertragsoption gezogen. Will heißen: Steffen

wird Gummersbach nach dieser Saison – auch auf eigenen Wunsch hin – wieder verlassen. Er hatte dort zu wenige Spielanteile, um sich weiterentwickeln zu können. Möglicherweise wird er in der kommenden Saison bei einem anderen Bundesligaverein als Nummer eins große Spielanteile bekommen. Dann würde sich die Option der Löwen auf Fäth um ein weiteres Jahr verlängern. Somit würden wir über 2011 reden. Auch ein Fußball-Talent wie Toni Kroos hat erst bei Bayer Leverkusen den Durchbruch geschafft. Steffen wird seinen Weg gehen, wenn er jetzt Gas gibt und sich nicht ablenken lässt.

> Folglich schauen sich die Löwen nach einem Harbok-Ersatz für die neue Saison um …

Wir befinden uns in intensiven Gesprächen. Unser Trainer Ola Lindgren hat hier genaue Vorstellungen, was den zweiten Mann hinter Karol Bielecki betrifft.

> Der Tod von Oleg Velyky war auch für das Löwen-Umfeld ein großer Schock …

Wir sind alle sehr traurig, dass er so früh gehen musste. Oleg war drei Jahre lang ein Rhein-Neckar Löwe und unser Kapitän. Wir möchten nun seiner Familie helfen: Wir planen in der Vorbereitung ein Benefizspiel und haben schon mit Daniel Hopp und der SAP Arena gesprochen. Der Erlös geht an seine Frau und seinen Sohn. Angedacht ist ein Spiel gegen eine Weltauswahl. Das wäre sicher in seinem Sinne, denn er hat immer für den Handball gelebt und alles gegeben.

Von Daniel Hund

 01.02.2010