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„Das ist doch Quatsch“ (MM)

Vor dem heutigen Topspiel gegen die Löwen will der Kieler Star Filip Jicha nichts von einer THW-Dauerdominanz wissen

KIEL. Wenn nichts mehr geht, dann kommt Filip Jicha. Der Weltklasse-Handballer des THW Kiel hat schon so manche Partie im Alleingang für den Branchenprimus gewonnen. Im Topspiel heute (20.15 Uhr/Sport1) gegen die Rhein-Neckar Löwen setzen die Norddeutschen wieder auf seine genialen Momente. Das weiß der 29-Jährige. „Ich will mit meiner Leistung andere mitreißen, eine Mannschaft lenken“, sagt der Tscheche im Interview.

Herr Jicha, Tschechien ist eine Eishockey-Nation. Warum sind Sie Handballer geworden?

Filip Jicha (lacht): Mein Vater ist schuld.

Das müssen Sie erklären.

Jicha: Ich komme aus dem kleinen Örtchen Stary Plzenec, den nächsten Eishockey-Verein gab es im etwa zehn Kilometer entfernten Pilsen. Und dort war die Nachfrage so groß, dass die Kinder vor der Schule trainierten. Mein Papa Miroslav hätte mich also morgens dort hinbringen müssen, doch er wollte nicht so früh aufstehen (lacht). Im Nachhinein muss ich sagen, dass Handball nicht die schlechteste Alternative war.

In der Tat: Sie haben mit dem THW schon alle Titel abgeräumt. Ihr Vater wünscht Ihnen deshalb ein bisschen mehr Gelassenheit.

Jicha: Aber so bin ich nicht. Ich war fünf Mal Meister. Und in dieser Saison will ich es ein sechstes Mal werden. Die Vergangenheit befriedigt mich nicht. Ich will als Spieler noch besser werden und weitere Titel feiern. Wenn ich diesen Antrieb, diese Gier auf Erfolg nicht mehr spüre, dann höre ich auf.

Der THW befindet sich im Umbruch. Was wird von einem Neuzugang in Kiel erwartet?

Jicha: Er muss dankbar sein, dieses Trikot tragen zu dürfen. Und er muss sich darüber im Klaren sein: Der Weg zum THW ist deutlich einfacher, als hinterher den Nachweis zu erbringen, sich hier auch durchzusetzen.

Im Sommer räumten Sie ein, sich Sorgen zu machen. Wie meinten Sie das?

Jicha: Wenn Spieler wie Thierry Omeyer, Marcus Ahlm, Momir Ilic oder Daniel Narcisse den Klub verlassen, kann man erst einmal Bedenken äußern. Denn es gehört zum Selbstverständnis dieses Vereins, stets vorne in der Tabelle zu stehen.

Momentan gibt es dann ja keinen Grund zur Beschwerde. Was sagen Sie zu den Neuen Johan Sjöstrand, Wael Jallouz und Rasmus Lauge?

Jicha: Ich bin begeistert, mit wie viel Leidenschaft sie vom ersten Tag an hier alles aufgesaugt haben. Meine anfänglichen Sorgen sind deshalb schnell verflogen. Die Jungs tragen bereits alle das THW-Gen in sich und wissen: Für Kiel zu spielen bedeutet, einen Mythos mit Leben zu erfüllen.

Die Experten sind sich einig: Nur in dieser Saison kann eine andere Mannschaft als der THW Meister werden, danach ist der Titel dank der spektakulären Neuzugänge Domagoj Duvnjak und Steffen Weinhold für Ihren Klub wieder reserviert.

Jicha: Das ist doch Quatsch. Die Meisterschaft ist immer der Anspruch des THW, aber längst keine Selbstverständlichkeit. Wir arbeiten unheimlich hart dafür und ich finde nicht, dass wir jetzt weniger trainieren sollten, damit wir unser Ziel nicht erreichen. Vielmehr liegt es an den anderen Klubs, mehr zu tun und uns zu schlagen.

War der Sieg gegen Gummersbach, als ein Acht-Tore-Rückstand gedreht wurde, ein Schlüsselerlebnis für diese neue Mannschaft?

Jicha. Ich würde unsere bislang gute Saison nicht an einem einzelnen Spiel festmachen. Viel wichtiger ist die Mentalität dieses Teams, die sich trotz der Abgänge nicht verändert hat. Jeder ist bereit, immer alles zu geben. Man bekommt keine Punkte geschenkt, nur weil man das Kieler Trikot trägt. Es hat in den vergangenen Wochen Begegnungen gegeben, die wir hätten verlieren können. Aber wir sind auf solche Situationen vorbereitet. Das zeichnet uns aus.

Wobei meistens Sie im Mittelpunkt stehen, wenn es ganz eng wird.

Jicha: Mit dieser Rolle kann ich sehr gut leben, ich genieße sie sogar. Denn es gehört zu meiner Persönlichkeit, sich nicht zu verstecken und Verantwortung zu übernehmen. Ich will mit meiner Leistung andere mitreißen, eine Mannschaft lenken.

Seit dieser Saison sind Sie auch Mannschaftskapitän und übernahmen die Aufgabe von Marcus Ahlm. Ein schweres Erbe?

Jicha: Ich lerne noch jeden Tag dazu. Auf jeden Fall will ich Marcus nicht kopieren, sondern meinen eigenen Stil finden.

Zum Beispiel, indem Sie bei Reisen zu Spielen in der Champions League einen Krawatten-Zwang eingeführt haben?

Jicha (lacht): Ja, das ist das Schöne am Kapitänsamt. Da bieten sich einem viele Optionen. Ich finde einfach, dass zu einem Anzug eine Krawatte gehört. Marcus hat das nicht so gesehen, ich hingegen schon.

Fehlen doch eigentlich nur noch bunte Socken von den Löwen Uwe Gensheimer und Andy Schmid.

Jicha (lacht): Nein, das ist überhaupt nichts für mich. Ich bin eher der klassische Typ. Socken müssen die gleiche Farbe haben wie die Anzughose.

Wer jubelt heute: der klassische Anzugträger aus Kiel oder die Mannheimer Bunte-Socken-Fraktion?

Jicha: Das weiß ich nicht. Es wird ein enges Spiel. Wir treffen jetzt innerhalb kurzer Zeit auf die Löwen, Flensburg und Berlin. Da können wir die Basis für eine erfolgreiche Saison legen – oder fast alles verlieren.

Von Marc Stevermüer