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Das ultimative Selbstvertrauen

Montpellier. In der 55. Minute huschte Kasa Szmal erstmals ein Lächeln übers Gesicht. Zunächst eher verhalten, so, als wäre ihm der Gefühlsausbruch ein wenig peinlich, als hätte ihn der Torhüter der Rhein-Neckar Löwen am liebsten unterdrückt. Doch das klappte nicht. Dazu war seine Freude zu überwältigend, zu groß. So groß, dass aus dem zarten Grinsen in Sekundenbruchteilen ein ausdrucksstarkes, breites Lachen wurde: Plötzlich war sein ganzes Gesicht in Bewegung. Kleine Fältchen und Grübchen bildeten sich: Auf der Stirn, in den Mundwinkeln. Und das fünf Minuten vor dem Ende, mitten in der Schlussphase des Viertelfinal-Rückspiels, des Champions-League-Knallers zwischen HB Montpellier und den Löwen. Ist das erlaubt? Kurze Antwort: Ja! Diesmal schon. Die restlichen 300 Sekunden hätte man sich nämlich schenken können: 31:25 stand’s für die Badener. In Montpellier, im Hexenkessel, in der Handball-Festung an der französischen Mittelmeerküste. Was folgte war Schaulaufen, Spaß-Handball, der in einem 35:26 (15:17)-Auswärtstriumph der Gelbhemden gipfelte.

Wer dachte da noch ans Hinspiel, an die 27:29-Pleite vor den Toren Mannheims? Niemand. Manager Thorsten Storm ohnehin nicht: „Große Mannschaften zeichnet es eben auch aus, dass sie da sind, wenn es darauf ankommt.“ Starke Worte, die ihm unaufgeregt über die Lippen kamen. Storm, der Nordmann, war cool, genoss den Moment des Augenblicks im Stillen. Ohne Dauergrinsen: „Noch“, sagt er, „noch haben wir ja nichts erreicht.“ Titelhunger nennt man das. Aber zwischendurch wird ja auch mal ein bisschen feiern erlaubt sein? Erwischt, nun lacht auch der Chef: „Klar, das haben sich die Jungs verdient. Das sind echte Typen, die mehr und mehr zu einer verschworenen Einheit und damit zu einem Spitzenteam zusammenwachsen. Selbst die, die nicht spielen, brennen, das ist ein großes Plus.“

Widerspruch zwecklos! Wer Uwe Gensheimer und Co. derzeit wirbeln sieht, der greift unweigerlich zu Superlativen. Unschlagbar wirken sie. Furchteinflößend ohne Ende. Beim Final Four der Königsklasse, das am 28. und 29. Mai in Köln ausgespielt wird, kann sich die Konkurrenz schon mal warm anziehen. Denn in der Form kann die Mannschaft von Trainer Gudmundur Gudmundsson auch noch den Rest aufmischen. Der Manager weiß das, hält den Ball aber flach – noch: „Nun sind wir erst einmal bei den besten vier Mannschaften der Welt dabei, darauf können alle Löwen stolz sein.“

Und das nach diesem Hinspiel, das so mancher Experte schon mit dem Ausscheiden gleichgesetzt hatte. Doch die täuschten sich. Montpellier, das war nur eine Durchgangsstation, nicht die Endstation, ein weiteres Mosaiksteinchen zum ultimativen Selbstbewusstsein.

Ein Erfolg, der viele Helden hatte. Aber nur einen Superhelden. Und der stand ganz hinten, zwischen den Pfosten, auf der Linie. Richtig: Szmal war’s, der Teufelskerl. Nach der Pause befand er sich in einem Rausch, in seinem eigenen Videospiel, in dem immer nur einer gewinnt: er, der Welt-Handballer von 2009. Egal, ob in Eins-gegen-Eins-Situationen oder gegen Rückraum-Granaten von keinem geringeren als Nikola Karabatic. Szmal war da. Mit dem Fuß, mit der Hand oder mit der Brust. Storm hat genau hingeschaut: „Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass Kasa gar keinen mehr durchlassen wollte.“ Geklappt hat das nicht ganz, aber fast: Die Löwen gewannen die zweite Halbzeit mit 20:9. Eine 30-minütige Gala, die 9.000 Zuschauer verstummen ließ.

Einer, der auch ganz nah dran war am Superhelden-Status, ist Zarko Sesum. Der Serbe machte einen Topjob. Zog die Fäden, dirigierte, organisierte. Kurzum: Sesum war mal wieder der Kopf der Mannschaft, der geniale Passgeber. Und wenn mal kein Gelber in der Nähe war, auch kein Problem. Dann nahm er es selbst in die Hand. Aus der zweiten Reihe, knallhart und präzise. Ganz klar, dieser Sesum, dieser 24-Jährige könnte irgendwann ein richtig Großer werden. Storm freute das besonders: „Zarko ist bereits ein Herzstück in unserer Abwehr und im Angriff.“ Überraschend ist das für den Manager nicht: „Ich wusste, war er darauf hat. Und Gudmi holt immer mehr aus ihm heraus.“ Lobt Storm und weicht kurz aus: „Aber auch Ivan Cupic und Uwe Gensheimer waren in Montpellier Weltklasse.“

Genug geschwärmt, schon morgen hat die Löwen der Alltag wieder: Um 19.15 Uhr gastiert der HSV Hamburg in der SAP Arena. Doch selbst das ist noch Zukunftsmusik. Denn heute schaut zunächst alles nach Köln, zur Final-Four-Auslosung der Königsklasse. Storm ist vor Ort. Stefan Lövgren, Champions-League-Botschafter und Ex-Weltstar aus Kiel, auch. Storm schmunzelnd: „Mit ihm hatte ich mich vor dem Montpellier-Spiel noch unterhalten, und gesagt: ’Stefan, wir sehen uns in Köln’. Jetzt ist es tatsächlich so.“

Die zweite Final-Four-Teilnahme in dieser Saison, ist jedenfalls kein Zufall. „Zufall? Dahinter steckt harte Arbeit, in allen Bereichen. Und je mehr man arbeitet, desto mehr Glück verdient man sich.“ Lächelt Storm. Und zwar herzhaft, völlig ungezwungen.

Von Daniel Hund

 02.05.2011