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Der Reiz des Risikos (MM)

Andy Schmid liebt das Spektakuläre und Überraschende – diese Unbekümmertheit macht ihn zum besten Spieler der Saison 2013/2014

MANNHEIM. Es ist nichts anderes als das Anspiel des Jahres. Mit einem Dreher durch den Torraum – und das auch noch hinter dem Rücken der halben Wetzlarer Abwehrreihe – bedient Andy Schmid seinen kongenialen Partner Bjarte Myrhol, der eiskalt vollstreckt. Ästhetik und Athletik, Spielfreude und Genialität, Durchsetzungsvermögen und Eleganz. In einer einzigen Szene unterstreichen der Regisseur und der Kreisläufer ihr blindes Verständnis, ihre absolute Weltklasse. Die Achse Schmid/Myrhol, sie ist nicht nur von den Wetzlarern kaum zu stoppen, sondern gehört einfach zu den ganz großen Stärken der Löwen.

Während der Kreisläufer schon seit seinem Wechsel zu den Löwen im Jahr 2009 als echte Stütze gilt, gelingt Schmid erst in der Saison 2012/2013 der Durchbruch. In der gerade abgelaufenen Runde folgt dann noch eine Steigerung: Der Schweizer, der 2010 zu den Gelbhemden wechselte, wird von den Managern und Trainern aller Erstligisten zum besten Spieler der Liga gewählt. Wenn es spektakulär auf der Platte zugeht, wenn etwas Überraschendes passiert – dann hat der Mittelmann seine rechte Zauberhand im Spiel. Ganz selten geht auch mal etwas schief, doch letztendlich ist es der Reiz des Risikos, der ihn so unberechenbar für jeden Gegner macht.

Zu Schmids Spiel gehört eine gehörige Portion Lockerheit – und gerade die macht ihn so stark. „In meiner Anfangszeit bei den Löwen hatte ich diese Leichtigkeit verloren, weil ich zu viel nachgedacht habe. Ich muss mich bei meinem Spiel auf mein Gefühl verlassen, das ist meine Stärke. Dazu gehört eben auch ein gewisses Maß an Risiko“, sagt der 30-Jährige, der sich über die uneingeschränkte Rückendeckung seines Trainers Gudmundur Gudmundsson freut: „Er weiß, wie ich ticke, und lässt mir diese Freiheiten. Allerdings definiert Gudmundur auch klare taktische Grenzen, an die ich mich halten muss.“

Auch als Modedesigner kreativ

Fest steht: In den vergangenen Monaten stimmte die Balance auf jeden Fall. Und auch abseits des Feldes lief es richtig rund. Zusammen mit Kapitän Uwe Gensheimer und Marko Vukelic, einem Kumpel aus der Schweiz, gründete Schmid das Modelabel U AND WOO. Die Kreativität des Mittelmannes kennt eben keine Grenzen – weder auf der Platte noch beim Designen von bunten Socken. Im heimischen Keller packen Schmid und Gensheimer auch schon mal selbst beim Versand mit an. „Total-Quality-Management wird bei uns ganz groß geschrieben“, sagt Gensheimer und lacht.

Die erste Kollektion verkaufte sich bestens, nun folgt die zweite. An eine Erweiterung der Produktpalette auf Unterwäsche wird ebenfalls gedacht, wie Schmid berichtet. „Wenn mir jemand vor einem Jahr gesagt hätte, dass es so laufen wird, hätte ich das sofort unterschrieben. Es macht richtig Spaß“, sagt die Schweizer Frohnatur, die in der Fasnacht-Hochburg Luzern geboren wurde und sich dort auch schon mal zur fünften Jahreszeit als Rosenverkäufer unters Volk gemischt hat.

Doch Schmid kann auch ganz anders, wie er zugibt. „Ich bin nicht immer der gut gelaunte Andy. Es gibt Tage, an denen es sehr schwer für meine Mitmenschen ist, mich und meine Laune zu ertragen. Ich kämpfe wirklich sehr mit Niederlagen“, sagt der Regisseur, der seinen Hund Kobe übrigens nach NBA-Basketball-Star Kobe Bryant benannt hat. „Aufgrund seines nicht alltäglichen Spielstils ist er so etwas wie ein Vorbild für mich. Auch er liebt das Ungewöhnliche, das Risiko und das Spektakuläre“, gewährt Schmid einen Einblick in seine Basketball-Leidenschaft, die schon seit Kindheitstagen andauert.

In den 90er Jahren waren die Chicago Bulls sein absoluter Lieblingsverein. Michael Jordan, Dennis Rodman, Scotty Pippen – alle Stars spielten bei den Bulls. „Ich wollte immer die NBA-Finals nachts live verfolgen. Daran führte für mich einfach kein Weg vorbei“, blickt der 30-Jährige gerne zurück. Im Schlafzimmer seiner Eltern stand ein kleiner Fernseher. „Mein Vater hat dann Platz für mich gemacht und ich bin dann immer zu meiner Mutter ins Bett gekrochen.“

Mama Schmid hatte also reichlich Verständnis für den Sohn – und machte auch viel möglich. „Sie hat allerdings genauso viel Wert darauf gelegt, dass ich in der Schule am Ball bleibe und mein Abitur mache“, sagt Schmid, für den es nicht immer einfach war, Sport und Schule unter einen Hut zu bekommen. „Schon sehr früh in meiner Jugend war ich extrem auf Handball fokussiert. Gott sei Dank hat’s mit dem Schulabschluss dann ja auch noch geklappt. Bei meiner Mama war es früher nämlich so wie jetzt bei Gudmundur: Sie hat mir meine Freiheiten gelassen – und gleichzeitig klare Grenzen gesetzt.“

Von Marc Stevermüer