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Akribischer Analytiker mit Liebe zum Detail (MM)

Nach vier Jahren verlässt Gudmundur Gudmundsson den Bundesligisten – seine Handschrift hat der Isländer ganz deutlich hinterlassen

MANNHEIM. Ein wenig abschalten, nicht an Handball denken und nur die Seele baumeln lassen – all das fällt Gudmundur Gudmundsson eher schwer. Er schläft schlecht nach Spielen, immer wieder tauchen Szenen auch nachts noch in seinem Kopf auf. Und dabei ist es egal, ob die Löwen gewonnen oder verloren haben. „Aber bei einem Sieg“, gibt der Trainer mit einem Lachen zu bedenken, „sind die Gedanken natürlich schon etwas schöner.“

Außer Frage steht, dass Gudmundsson in den vergangenen Monaten sehr oft mit einem guten Gefühl ins Bett gegangen ist, um sich dann am nächsten Morgen gleich wieder an die Arbeit zu machen. „Es gibt immer etwas zu tun. Denn man kann immer besser werden“, sagt der Trainer, der nichts dem Zufall überlässt. Seinen Spielern gönnt er freie Tage, sich selbst hingegen kaum. So auch nach dem letzten Heimspiel gegen Melsungen, das die Löwen nach starker Vorstellung mit 41:28 gewinnen. Bei Gudmundsson steht am Tag danach trotzdem eine Videoanalyse an: „Sonst sterbe ich.“

Der 53-Jährige ist der Ansicht, dass es das „perfekte Spiel“ niemals geben wird. Denn es gibt ja schließlich immer etwas zu verbessern. Gleichwohl kann man eine Mannschaft perfekt auf den nächsten Gegner einstellen. Gudmundsson gelingt das oft. Sehr oft sogar. Kein Wunder, dass die Spieler ihm nahezu blind vertrauen – selbst wenn es nicht nach Plan läuft. Wie zum Beispiel im Achtelfinal-Hinspiel der Champions League bei KS Vive Kielce, als die Löwen Mitte der ersten Halbzeit mit acht Toren zurückliegen. Doch die Badener bleiben cool, kommen zurück ins Spiel, verlieren nach zwischenzeitlichem Ausgleich nur mit vier Toren. „Wir wussten, dass uns der Trainer die richtige Taktik mit auf den Weg gegeben hat. Wir haben sie zu Beginn nur falsch umgesetzt“, sagt Andy Schmid nach dem Duell. Die Worte des Schweizers verdeutlichen vor allem eines: Das Vertrauen in den Trainer und seine Ideen geben der Mannschaft Stabilität und Sicherheit. Das Team glaubt nicht nur an seine Stärken, sondern auch an Gudmundssons Schachzüge.

Akribisch analysiert der Isländer, der von seinen Kollegen zum besten Trainer der Saison gewählt wurde, jeden Kontrahenten. Und dabei ist es vollkommen egal, ob der Gegner Balingen oder Barcelona heißt. „Wir gehen jede Aufgabe mit Respekt an.“ Der Trainer lebt Bescheidenheit vor. Er schaut niemals zu weit in die Zukunft und verspricht auch nichts. „Wir schauen nur von Spiel zu Spiel.“ Das ist sein Lieblingssatz. Der klingt zwar langweilig – ist allen Löwen allerdings in Fleisch und Blut übergegangen. Die absolute Fokussierung auf eine einzige Partie, sie wird nicht nur zum Markenzeichen der Gelbhemden, sondern ist auch ihr Erfolgsgeheimnis. Und zwar nicht erst seit dieser Saison.

Der Aufbau der erfolgreichen Mannschaft erfolgt schon im Sommer 2012. Nach der radikalen Kurskorrektur aufgrund des Rückzugs von Mäzen Jesper Nielsen schauen die Löwen bei den Neuzugängen nicht mehr auf große Namen. „Uns ist es wichtig gewesen, Spieler mit einem guten Charakter zu verpflichten“, blickt Gudmundsson zurück. Mit geringerem Etat und weniger Stars bastelt er ein Team, das gleich in der ersten Saison den EHF-Pokal gewinnt und sich als Tabellendritter direkt für die Champions League qualifiziert. Der Trainer „entdeckt“ den der Fachwelt unbekannten Gedeón Guardiola, der ein halbes Jahr später schon als Abwehrchef der spanischen Weltmeister-Mannschaft glänzt. Gudmundsson formt aus Talent Kim Ekdahl du Rietz einen Weltklassespieler, macht aus dem einstigen Mitläufer Andy Schmid einen Anführer. Kurzum: Er setzt seine Ideen um – und liegt praktisch immer richtig.

Von Marc Stevermüer