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Der Reiz des Risikos (MM)

Er ist eine der Symbolfiguren des Höhenflugs der Rhein-Neckar Löwen: Andy Schmid. Der spielstarke Mittelmann führt klug Regie beim Handball-Bundesligisten, agiert taktisch diszipliniert und sorgt für Überraschungsmomente in der Offensive. Wenn es schnell und spektakulär wird auf der Platte, hat der Schweizer seine Hände im Spiel.

Im Sommer 2011 hatte Andy Schmid die Lust am Handball verloren. Das gibt der Schweizer offen zu. Ein Jahr zuvor war der Rechtshänder zu den Rhein-Neckar Löwen gekommen und hatte ein Angebot des ruhmreichen FC Barcelona ausgeschlagen. Doch dann fand sich der Rechtshänder in seiner ersten Saison beim Handball-Bundesligisten häufiger als ihm lieb war nur auf der Bank wieder. Sein Sport, den er so sehr liebt, den er seit Kindesbeinen betreibt, machte ihm keinen Spaß mehr. Und das ist für einen Profi wie ihn, der deutlich mehr als viele andere seiner Kollegen von der Spielfreude lebt, verheerend.

Der 1,90-Meter-Mann zweifelte an sich, an seiner Entscheidung für die Löwen. Doch der Rechtshänder biss sich durch – und gehört in dieser Saison zu den Gewinnern bei den Badenern. „Vielleicht habe ich diesen Karriereknick gebraucht“, meint der 29-Jährige, der seit Wochen mit starken Leistungen überzeugt. Er ist der Mann für die magischen Momente im Angriffsspiel. Ein unerwarteter Rückraum-Hammer, ein spektakuläres Anspiel an den Kreis, eine blitzschnelle Tempoverschärfung. Wenn Schmid in die Trickkiste greift, wenn er den Ball über die Schulter an den Kreis passt, wenn er explosiv Eins-gegen-Eins-Situationen gewinnt, geht ein Raunen durch die Arena. Keine Frage: Er ist der X-Faktor in der Offensive. Das Risiko reizt den Mittelmann – und es zeichnet ihn aus.

Damals, im Frühjahr 2011, hatte der Basketball-Fan diese Leichtigkeit verloren. Bei seinen wenigen Einsätzen wirkte Schmid gehemmt, ganz so, als wolle er das Glück erzwingen, in kurzer Zeit alles richtig machen und den Trainer Gudmundur Gudmundsson überzeugen. Doch das ging mehr als einmal schief – und die Frohnatur war deprimiert. „Ich habe in den zurückliegenden Monaten gelernt, dass ich mich taktisch auf die Spiele besser vorbereiten muss, um dann im Ernstfall alles abrufen zu können. Ich gehe mit einem anderen Selbstverständnis auf den Platz. Und wenn das Selbstvertrauen da ist, fällt es einfach, auch einmal einen Fehler wegzustecken“, sagt der Schweizer, der seine Lockerheit und Spielfreude nicht nur wiedergefunden, sondern auch beibehalten hat: „Ich habe meine ganze Karriere so gespielt. Als ich versuchte, meinen Stil zu ändern, ging das in die Hose.“ Allerdings weiß auch er: „Ohne Taktik gibt es keinen Erfolg. Schön spielen und verlieren finde ich nicht so toll.“

Längst ist Schmid zum Taktgeber der Löwen geworden. Zwei Tore erzielte der Rückraum-Mann in der Schlussphase beim 30:27 über Flensburg, gegen Wetzlar steuerte er den erlösenden Treffer zum 31:29-Endstand bei. All das beweist: Der frischgebackene Familienvater nimmt das Heft in die Hand und ist zu einer Persönlichkeit gereift. „Es bereitet mir Freude, dass die Leute Spaß an meinem Spiel haben“, sagt der in sich ruhende und doch nie um einen flotten Spruch verlegene Regisseur, dem in Alexander Petersson und Kim Ekdahl du Rietz zwei neue Rückraum-Kollegen auf den Halbpositionen zur Seite gestellt wurden. Beide kamen aufgrund der Olympischen Spiele erst kurz vor Saisonbeginn zu den Löwen – und trotzdem harmoniert das Trio blendend. „Dass es so schnell so rund läuft, überrascht mich auch ein wenig“, gesteht Schmid, der sich lobend über Ekdal du Rietz und Petersson äußert: „Sie suchen auch eher die spielerischen Lösungen, das kommt mir extrem entgegen. Und sie hören auf mich, die Absprachen werden eingehalten. Das war in der Vergangenheit nicht immer so: Viele hatten ihre eigenen Kopf und wollten ihr Ding durchziehen.“

Doch diese Zeiten sind vergessen, auch wenn sie noch gar nicht so lange zurückliegen. Der tolle Saisonstart überstrahlt allerdings alles. „Auf uns lastet nicht mehr so ein großer Druck. Und wir haben neue Leute dazubekommen, die vom Charakter besser ins Team passen. Die gute Stimmung in der Mannschaft ist nicht ausschließlich wegen des Erfolgs da“, erklärt Schmid das badische Erfolgsrezept. Er ist froh, Teil dieser verschworenen Einheit sein – und von der Richtigkeit seiner Entscheidung für die Löwen mehr denn je überzeugt: „Ich wollte immer in die Bundesliga. Barcelona ist schön für den Urlaub. Aber in Heidelberg lebt es sich besser.“