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Die Gala von Bjarte Myrhol (RNZ)

Heidelberg. Es war mal wieder einer dieser Handball-Abende, der die Rhein-Neckar Löwen viel Kraft kostete. Auf dem Zahnfleisch krochen sie unmittelbar nach dem Pokaltriumph in Melsungen aus der Kassler Rothenbach-Halle. 70 Minuten lang, Verlängerung inklusive, ging es hin und her. Das schlaucht. Doch es bewirkt auch etwas Positives: Es schweißt zusammen. Denn genau an solchen Ergebnissen richtet sich eine Mannschaft auf, rückt noch enger zusammen. Gudmundur Gudmundsson, der Trainer der Löwen, weiß das. Er sagt: „Dieser Sieg war ganz, ganz wichtig. Er war toll für die Moral und eben auch nötig, um unser großes Ziel verwirklichen zu können: das Final-Four-Turnier in Hambug.“

Dass der Traum vom Gipfeltreffen in der Hansestadt in Melsungen nicht zum Albtraum wurde, lag vor allem an Gudmundsson. Der isländische Trainerfuchs behielt den Durchblick und griff tief in die Taktik-Trickkiste. Er stellte zu Beginn der zweiten Halbzeit um, wechselte von einer 6:0-Abwehrformation auf eine 5:1-Deckung. Und das fruchtete: Melsungen begann plötzlich wieder zu wanken, verspielte eine zwischenzeitliche 17:12-Führung (36.). Die Nordhessen kamen einfach nicht mehr durch und wenn doch, dann war Goran Stojanovic da. Der bärenstarke Torhüter der Löwen parierte auf einem ganz hohen Niveau. „In der Verlängerung brachte es Goran auf eine Quote von 70 Prozent“, schwärmte „Gudmi“: „Das war Gold wert, gerade in dieser hektischen Phase.“

Hinten Stojanovic, vorne Bjarte Myrhol und Karol Bielecki. Beeindruckend war’s, was die beiden ab Mitte der zweiten Halbzeit auf die Platte brachten. Bielecki, der Rückraum-Kunstschütze, traf aus allen Lagen und Myrhol arbeitete am Kreis, riss Löcher und versenkte den kleinen Harzball auch selbst. Gudmundsson: „Drei Würfe, drei Tore – Bjarte hat das unglaublich gelöst.“

Stichwort unglaublich: Vor ein paar Wochen musste Myrhol, der an Hodenkrebs erkrankt war, noch zwei Chemotherapien über sich ergehen lassen. Eine mehrmonatige Pause schien unvermeidbar. Und nun das. Selbst Gudmundsson war nach der Myrhol-Gala in Melsungen ein wenig sprachlos. Er gesteht: „Eigentlich wollte ich ihn nur kurz bringen, quasi als Entlastung für Robert Gunnarsson, aber dann habe ich ihn einfach auf dem Feld gelassen.“

Mittlerweile ist Gudmundsson schlauer. Demnach wird er den Norweger morgen vielleicht noch ein paar Minuten länger auf dem Feld lassen. Am Freitag hat die Löwen nämlich der Ligaalltag wieder. Es gilt ab 19.45 Uhr bei der HSG Wetzlar die Zähne zu zeigen. Denn was auf den ersten Blick nach einem Spaziergang aussieht, ist in Wirklichkeit ein echter Härtefall. In Wetzlar hat sich in den letzten Jahres einiges bewegt. Gudmundsson, der Nachdenkliche: „Die sind deutlich stärker geworden. Genau wie viele andere in der Liga auch. Selbstläufer gibt es nicht mehr.“

Von Daniel Hund