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Die große Sehnsucht

Jubel und Jammer, Freude und Frust. Im Sport liegen diese
unterschiedlichen Gefühlswelten dicht beieinander. Hier die Sieger, die
umjubelten Helden, die den Pokal in die Höhe recken und ihr Glück kaum
fassen können. Und dort die Unterlegenen, die enttäuschten Verlierer, die
den Gewinnern nur artig gratulieren und mit der Auszeichnung für den
zweiten Platz wenig bis gar nichts anfangen können.
Die Löwen kennen dieses Gefühl, am Ende Zweiter zu sein. Denn sie wurden
es schon oft. Verdammt oft sogar. Sie standen 2006 im Pokalfinale – und
verloren es. Sie standen 2007 im Pokalfinale – und verloren es. Sie
standen 2008 im Endspiel um den Europapokal der Pokalsieger – und verloren
es. Tragik und Tränen scheinen wie ein Fluch über diesem Verein zu liegen.
Uwe Gensheimer, Andrej Klimovets und Slawomir Szmal haben jede dieser
bitteren Niederlagen mit den Badenern erlebt. Sie waren oft nah dran – und
durften am Ende doch den Pott lediglich ehrfurchtsvoll in den Händen der
überschwänglich jubelnden Gegner bewundern. Ganz nach dem Motto: nur
gucken, nicht anfassen.
Genug von der Verlierer-Rolle
Doch jetzt soll alles anders werden und das Streben nach Glück endgültig
von Erfolg gekrönt sein. Beim Final Four in Hamburg greifen die Gelbhemden
am Wochenende erneut nach dem DHB-Pokal. Zum fünften Mal in Serie sind die
Badener beim spektakulärsten Handball-Finalturnier der Welt dabei. Im
Halbfinale trifft der Champions-League-Teilnehmer morgen (13.15 Uhr) in
der mit 13 000 Zuschauern ausverkauften Color Line Arena auf den VfL
Gummersbach. Ein Sieg ist fest eingeplant. Denn diesmal wollen die Löwen
nicht schon wieder die Rolle der weinenden Verlierer einnehmen. Davon
haben sie genug.
„Wir fahren nicht zum Final Four, um am Ende Zweiter oder Dritter zu
werden. Unser Ziel ist der erste Platz“, unterstreicht Geschäftsführer
Thorsten Storm mit klaren Worten die Ambitionen des badischen
Bundesligisten. Er sieht seinen Klub allerdings nicht als ersten Anwärter
auf den Pokalsieg: „Der HSV Hamburg ist als Bundesliga-Tabellenführer der
Favorit. Aber wir wissen, was auf uns zukommt. Unsere Mannschaft ist
eindeutig auf dem Vormarsch.“
Große Hoffnungen setzen die Gelbhemden einmal mehr in Ólafur Stefánsson.
Der Isländer soll es sein, der die Löwen zum Triumph führt. Er hat das
Gewinner-Gen verinnerlicht. Das zeigte der Linkshänder bei seinen drei
Siegen in der Champions League mit Ciudad Real. In jedem dieser
europäischen Endspiele war er der beste Torschütze seines Teams. Keine
Frage: Der 36-Jährige weiß genau, worauf es in den entscheidenden
Situationen ankommt – und wie man den Gipfel erklimmt.
Mehr als zwei Dutzend (!) nationale und internationale Vereinstitel hat er
in seiner Karriere schon bejubelt. Stefánsson kann davon einfach nicht
genug bekommen. Titel, Tore und Triumphe – dafür lebt der Isländer. „Jeder
Pokal bedeutet mir etwas, denn er ist die Bestätigung der täglichen
Arbeit“, sagt der Weltklasse-Spieler, dessen imposante Trophäensammlung
sogar die von Torwart Henning Fritz (14 Vereinstitel) übertrifft. Seine
letzten großen Erfolge feierte der Schlussmann 2007. Meisterschaft,
DHB-Pokal und Champions League gewann er mit dem THW Kiel, dazu die
Weltmeisterschaft mit dem Nationalteam. Seit drei Jahren hat der Torwart
allerdings keinen Pokal mehr in den Händen gehalten. „Daran sieht man,
dass die Entwicklung einer Mannschaft Zeit braucht“, sagt Fritz und
verweist auf die starke Konkurrenz: „Die Luft an der Spitze ist sehr
dünn.“ Dennoch wäre es nach seinem Geschmack, wenn die Löwen in Hamburg
den längsten Atem hätten.

Von Marc Stevermüer