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Die Recken kommen nach Mannheim
Löwen empfangen am Mittwoch die TSV Hannover-Burgdorf
Im Mai staunte die Handball-Bundesliga-Szene nicht schlecht: Nationalspieler Sven-Sören Christophersen verlässt den Pokalsieger Füchse Berlin und wechselt zur TSV Hannover-Burgdorf. Eine unerwartete Nachricht, die aufhorchen ließ. Denn zu erwarten war dieser Transfer nicht. Doch dieser Wechsel unterstrich eindrucksvoll, dass die Niedersachsen längst keine graue Maus mehr sind und sich seit ihrem Aufstieg 2009 in der Liga nicht nur etabliert haben, sondern auch nach Höherem streben.
In der vergangenen Saison waren die „Recken“ sogar im EHF-Pokal dabei. Das Abenteuer Europapokal endete allerdings in der Gruppenphase – und als Tabellenachter der zurückliegenden Spielzeit verpassten die Hannoveraner die erneute Qualifikation für die internationale Bühne. Doch klar ist: Sie wollen zurück nach Europa, langfristig vielleicht sogar in die Champions League. „Das ist eine Vision, die uns alle antreibt: Wohin wollen wir mal? Ein solches Leitbild ist aber auch immer mit einem längeren Zeitraum verbunden. Wann wir das tatsächlich erreichen können, und wie der Weg dahin sein kann, darauf müssen wir uns noch einige Antworten erarbeiten“, sagte Benjamin Chatton in einem Interview mit der „Hannoverschen Allgemeinen Zeitung“.
Der Geschäftsführer gilt als einer der klügsten Köpfe der Liga und nahm zum 1. Juli 2011 seine Arbeit bei den Niedersachsen auf. Es galt, den Klub in der Stadt neben dem fast alles überstrahlenden Fußball-Bundesligisten Hannover 96 zu etablieren. „Im Vergleich zu meinem Amtsbeginn haben wir uns, aus meiner Sicht, positiv entwickelt. Damals wussten noch nicht allzu viele, dass es Handball-Bundesliga in Hannover gibt.“ Der Marken-Relaunch, begleitet durch sportlichen Erfolg, habe geholfen, den Bekanntheitsgrad zu erhöhen, meint Chatton, der in den vergangenen Jahren viele clevere Transfers mit Weitblick tätigte. Da wäre zum Beispiel Mait Patrail, der zuvor in Lemgo vom gepriesenen Mega-Talent zum ewigen Talent verkommen war. Doch in Hannover ging es für ihn Schritt für Schritt nach oben. Der wurfgewaltige Rückraummann gehört traditionell zu den gefährlichsten Feldtorschützen der Liga, er fällt wegen einer Schulterverletzung allerdings mindestens bis zum Jahresende aus. „Mait ist ein sehr wichtiger Faktor in unserem Spiel“, weiß Chatton um die Schwächung durch den Ausfall des Esten.
Ohnehin ist das Verletzungspech in Hannover aktuell ziemlich groß. Denn auch auf Torwart Nikolai Weber, der ein starkes Gespann mit Martin Ziemer (15 Länderspiele) bildet, müssen die Niedersachsen vorerst verzichten. Der Keeper zog sich im Training einen Bänderriss am Zeigefinger zu und soll in den kommenden Spielen durch Jendrik Meyer aus dem Perspektivteam des Vereins ersetzt werden.
„Der Ausfall von Niko ist sehr schlecht, aber wir werden damit leben müssen. Uns fehlt ein wichtiger Mosaikstein“, sagt Trainer Christopher Nordmeyer. Dennoch: Die TSV ließ sich von diesen personellen Rückschlägen zuletzt nicht beeindrucken und gewann beim Pokalsieger Füchse Berlin. „Um die vielen Ausfälle wegzustecken, sind wir enger zusammengerückt. Alle haben Verantwortung übernommen“, freute sich Chatton nach dem Coup in der Hauptstadt, an dem ein weiterer Neuzugang großen Anteil hatte. Nationalspieler Kai Häfner traf zehn Mal, er fand im Sommer von Balingen den Weg in die niedersächsische Landeshauptstadt.
Ebenfalls neu im Team ist der isländische Nationalspieler Olafur Gudmundsson. Linkshänder Häfner ist von der Perspektive an der Leine überzeugt und will bei der TSV den nächsten Schritt in seiner Karriere machen: „Ich habe mich nicht gegen den HBW Balingen-Weilstetten, sondern für die TSV Hannover-Burgdorf entschieden.“ Rückraumschütze Christophersen sah nach dem Pokalsieg mit Berlin und dem beginnenden Umbruch in der Hauptstadt ebenfalls die Zeit für einen Wechsel gekommen. Die Erwartungen an ihn sind allerdings riesig. „Ich mache mir selbst den Druck und bin mein größter Kritiker“, geht der Rechtshänder gelassen mit seiner Rolle als Hoffnungsträger um. „Ich habe den Anspruch, ein Leistungsträger zu ein.“
Trainer Nordmeyer ist auf jeden Fall glücklich über die Neuzugänge. Er habe jetzt mehrere unterschiedliche Spielertypen zur Verfügung, was den Rückraum variabler und unberechenbarer mache. All das wird allerdings nichts bringen, wenn die TSV ihre Defensivprobleme nicht in den Griff bekommen wird. Insbesondere auswärts kassierten die Hannoveraner in der Vergangenheit immer wieder hohe Niederlagen, weil sie ins offene Messer liefen und mit schlampigem Passspiel die Gegner zu Gegenstoßtreffern geradezu einluden. „Wir müssen vorne besser spielen“, unterstrich der Trainer gegenüber der „Handballwoche“, was er verlangt. Die personelle Steilvorlage für ein besseres Abschneiden als zuletzt ist auf jeden Fall gegeben, Chatton sieht in seinem Kader eine „dynamische Mannschaft mit Entwicklungspotenzial“. Die Neuzugänge sprechen von Platz sechs und dem Europapokal. „Jeder Sportler braucht Ziele. Ob das realistisch ist, ist die andere Frage. Ich denke, wir haben eine Mannschaft, die zwischen Platz sechs und zehn einlaufen kann. Den Blickwinkel auf den EHF Cup wollen wir möglichst nicht verlieren“, sagt der Geschäftsführer, der allerdings um die Leistungsdichte weiß: „Hinter den Topteams gibt es etliche Mannschaften auf Augenhöhe. Es werden Kleinigkeiten entscheiden, ob eine Mannschaft die Saison als Sechster oder Zwölfter beendet.“
Zu diesen Kleinigkeiten gehört ganz sicher auch das Verschenken von sicher geglaubten Punkten. Beim Aufsteiger TSG Friesenheim lagen die Niedersachsen beispielsweise lange sicher in Front, um am Ende dann doch zu verlieren. Verlorene Zähler, die noch richtig weh tun können.