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Die Unaufhaltsamen (MM)

Nach dem Coup gegen Kielce verfestigt sich der Eindruck, dass die Löwen in dieser Saison Großes erreichen können

MANNHEIM. Fünf Minuten vor dem Abpfiff breitete Kim Ekdahl du Rietz jubelnd die Arme aus, ballte die Fäuste und schaute gleichermaßen erschöpft wie glücklich Richtung Hallendach. Niklas Landin, der dänische Weltklasse-Keeper, hatte soeben die nächste dicke Möglichkeit von KS Vive Kielce im Achtelfinal-Rückspiel der Champions League entschärft und den Rhein-Neckar Löwen das Viertelfinale wieder ein bisschen näher gebracht. Die 8805 enthusiastischen Zuschauer in der SAP Arena tobten nicht nur, sie flippten vollkommen aus – und riefen schon wieder im Chor den Namen des Torhüters. Vor allem wegen Landins Paraden feierten die Löwen einen 27:23-Sieg und damit das Weiterkommen in der Königsklasse.

„Ich bin sehr stolz auf meine Mannschaft“, sagte Trainer Gudmundur Gudmundsson nach einem nervenaufreibenden Abend und einer epischen Handball-Schlacht. Kielce und die Löwen lieferten sich ein mitreißendes, ein packendes, ein dramatisches und vor allem spannendes Duell – inklusive Herzschlagfinale. Die Gelbhemden agierten mit „Herz und Leidenschaft, aber auch mit Kopf und Cleverness“, wie Gudmundsson betonte. Der Isländer war überglücklich: „Es ist schwer genug, gegen diesen Gegner zu gewinnen. Und dann mussten wir auch noch vier Tore aufholen.“ Mit einer starken Defensive legten die Löwen den Grundstein für das Erreichen der nächsten Runde, doch auch im Angriff hatten sich die Badener für ihre furiose Aufholjagd nach der 28:32-Hinspiel-Niederlage einiges einfallen lassen.

„Fast alles, was wir geplant haben, hat geklappt“, freute sich Gudmundsson, der sein Team exzellent auf die offensive Deckung der Polen eingestellt hatte. „Es war unser Plan, das Spiel etwas tiefer aufzuziehen und sich auf zwei, drei Lösungen zu konzentrieren“, erklärte Regisseur Andy Schmid und legte mit einem Lächeln einen flotten Spruch nach: „Ich habe ja fast so weit hinten wie ein Abwehrspieler agiert.“

Hitzige Atmosphäre

Dennoch: In diesem hochklassigen Duell gehörte letztendlich Landin die Rolle des Matchwinners. Mit dem Schlusspfiff rannten alle Löwen zu ihrem Keeper, der einen unfassbaren Auftritt gezeigt hatte – sich selbst aber in Bescheidenheit übte. „Es gab ja ein paar Bälle, die ich nicht gehalten habe. Insofern war meine Leistung nicht perfekt. Sie reichte allerdings aus, um eine Runde weiterzukommen“, flachste der Däne und lachte: „Die Fans waren unglaublich. Ihr Anteil an diesem Erfolg beträgt 50 Prozent.“ In der Tat: Nach den Vorfällen beim Hinspiel, als Gudmundsson und Vive-Coach Talant Duschebajew aneinandergeraten waren, herrschte in Mannheim von Beginn an eine hitzige Atmosphäre. Kielces Trainer wurde nach seinem Skandal-Auftritt vor einer Woche ausgepfiffen und ständig von Sicherheitsleuten begleitet.

„Das war ein echtes Heimspiel, in solch einer Halle kann man nicht verlieren“, war Schmid ebenso angetan wie Patrick Groetzki: „Wir haben sofort gemerkt, dass etwas Besonderes möglich ist.“ Keine Frage: Die Fans halfen den Löwen, dabei war erst nach den Vorfällen im Hinspiel der Ticketverkauf so richtig ins Rollen gekommen. „Da hat uns Talant geholfen“, räumte Manager Thorsten Storm mit einem Augenzwinkern – aber ohne Häme – ein.

„Nach dem Chaos in Polen war es wichtig, dass wir zu Gudmundur stehen. Wir sind ein Team und haben ein unglaublich gutes Spiel gezeigt“, unterstrich der rotzfrech auftrumpfende Stefan Sigurmannsson, dass die Löwen mit einer Extra-Portion Motivation in die Begegnung gegangen waren. Von Genugtuung wollte nach dem Coup gegen Kielce trotzdem keiner sprechen, in den Katakomben der Arena war aber immer wieder von „Gerechtigkeit“ und einer „sportlichen Antwort“ die Rede. „Wir haben für unseren Trainer gespielt“, brachte es der verletzte Uwe Gensheimer bei der Pressekonferenz auf den Punkt. Duschebajew saß da nur zwei Meter neben ihm – und lächelte. Mehr nicht.

Drei Titelchancen

Für die Löwen ist das Thema nach dem Sieg nun endgültig abgehakt, der Blick geht Richtung Zukunft: Final Four im DHB-Pokal, Meisterschaftsrennen, Viertelfinale in der Champions League. Nach einer bislang fantastischen Saison haben die Badener die Chance auf drei Titel. Seit Wochen eilen sie unaufhaltsam von Sieg zu Sieg. Beharrlich, unermüdlich, unbeirrbar und vor allem unerschrocken lösen die Gelbhemden ihre Aufgaben. Das Selbstvertrauen – es ist grenzenlos. „Wir haben in der Vergangenheit viel durchgemacht und viele Prüfungen bestanden“, verwies Groetzki auf das Vertrauen in die eigene Stärke.

Der EHF-Cup-Triumph vor einem Jahr befreite die Löwen von einer Last – und vielleicht kommt in dieser Saison ja noch der eine oder andere Titel dazu. Schmid spricht das aus, was zurzeit auf jeden Fall viele denken: „Im Moment kann man den Eindruck bekommen, dass wir viel erreichen und sogar alles gewinnen können.“

Von Marc Stevermüer