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Die Wiederauferstehung

Mannheim. Da war sie, die Siegerpose. Zwar nur kurz, aber sie war da. Jeder konnte sie sehen: Ola Lindgren, der Trainer der Rhein-Neckar Löwen, reckte seinen rechten Arm in Richtung Hallendach, streckte seine Finger aus und ballte sie zur Faust, zur Siegerfaust. Soeben hatte Karol Bielecki, der baumlange Pole, das 27:24 im Landesderby gegen Frisch Auf Göppingen erzielt. Die Vorentscheidung! Zwei Minuten später war es dann vorbei: Die Badener watschten die Schwaben ab, siegten mit 28:26 (14:10), freuten sich über den zweiten Erfolg in Serie.

Aber letztlich war es mehr als nur ein Sieg. Es war quasi die Wiederauferstehung eines Mannes, den viele längst abgeschrieben hatten: Karol Bielecki, das Sorgenkind, verzückte alle. Zweieinhalb Monate nach seinem tragischen Unfall, bei dem er sein linkes Augenlicht verlor, legte-der 28-Jährige eine Elf-Tore-Gala hin. Der Rückraum-Kunstschütze traf wie er wollte. Mal von halblinks, mal direkt aus der Mitte, mal verdeckt, mal aus schwindelerregender Höhe: ansatzlos, knallhart, präzise wie ein Schweizer Uhrwerk. Ein Auftritt, der manch einen sprachlos zurückließ. Löwen-Manager Thorsten Storm zählte nicht dazu. Er redete, schwärmte, überschlug sich förmlich: „Das war ja besser denn je. Ich freue mich wahnsinnig für ihn. Karol besiegt sein Schicksal, nimmt es in die Hand.“

Doch bei all der Freude über die Bielecki-Festspiele und den zweiten Derby-Streich innerhalb von drei Tagen, zu einem Dauergrinsen reicht es bei Lindgren noch nicht. Seine Sorgenfalten waren am späten Dienstagabend nicht zu übersehen. Und dafür gibt es einen Grund. Lindgren, der Perfektionist: „Eigentlich wollten wir ein höheres Tempo gehen, wollten Göppingen permanent unter Druck setzen. Geklappt hat das nicht.“

Schmid mit tollem Heimdebüt Kopfzerbrechen dürfte ihm auch sein rechter Rückraum machen. Denn die Linkshänder-Fraktion um Olafur Stefansson und Michael Müller schwächelt. Dem isländischen Altmeister merkt man die Nachwirkungen seiner Knieverletzung noch an. Die Spritzigkeit fehlt, die Durchschlagskraft auch.

Und Müller? Sein ganz persönliches Trauerspiel im Löwengehege geht weiter. Nichts klappt, rein gar nichts. Gegen Göppingen stand er gefühlte fünf Minuten auf der Platte. 300 Sekunden voller Pleiten, Pech und Pannen. Vor allem in der Vorwärtsbewegung ist der Wurm drin. Hier wirkt er verunsichert, will meist mit dem Kopf durch die Wand, sein Glück erzwingen. Was folgt, ist die totale Verkrampfung.

Klar ist: Sollte er sein Potenzial nicht bald abrufen, sind seine Tage bei den Löwen gezählt. Dazu sind die Gelbhemden zu ambitioniert, zu sehr auf Erfolg ausgerichtet. Storm stärkt dem Halbrechten, seinem einstigen Hoffnungsträger, dennoch den Rücken. Er sagt: „Michi braucht einfach mal ein Aha-Erlebnis.“ Und ergänzt: „Wir werden noch einen  ganz anderen Michael Müller erleben.“

Einen abgezockten, einen schlitzohrigen, einen wie Andy Schmid. Der Schweiz-Import deutete gegen Göppingen an, zu was er fähig ist. Eindrucksvoll war’s, wie er als Denker und Lenker seinen Job erledigte. Schnörkellos und geradlinig spulte er sein Pensum ab, ließ das Bällchen durch die eigenen Reihen tanzen und erzielte nebenbei noch fünf Tore. Löwen-Torhüter Kasa Szmal fand’s klasse: „Das hat Andy gut gemacht“, lobt er. Szmal selbst stand ihm in nichts nach. Der polnische „Hexer“ entschärfte an die zwanzig Großchancen. Im internen Duell mit Henning Fritz scheint er derzeit die Nase vorne zu haben. Denn anders als im Vorjahr, als sich beide von Spiel zu Spiel abgewechselt hatten, begann Szmal diesmal erneut. Storm dazu: „Ich glaube, dass Ola sich aktuell auf Kasa festgelegt hat.“

Ab morgen kann er seine Form beim dreitägigen Wildcard-Turnier in der Karlsruher Europahalle demonstrieren, das die Löwen gewinnen müssen, um sich erneut für die Champions League zu qualifizieren. Zum Auftakt geht es morgen um 20.15 Uhr gegen Gorenje Velenje.

Von Daniel Hund

 02.09.2010