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Ein Auftritt zum Vergessen

Hamburg. Nach dem Spiel saß er einfach nur da. Regungslos, wie versteinert. Seine linke Hand stützte seinen Kopf, seine Augen starrten ins Leere. Minutenlang war das so: Gudmundur Gudmundsson, der Trainer der Rhein-Neckar Löwen, war abgetaucht, befand sich in seiner eigenen Welt. Einer Welt voller Schmerz und ohne Hoffnung. Denn das, was da kurz zuvor beim Final Four in der O2 World Hamburg passiert war, hatte ihn, den Perfektionisten, völlig aus der Bahn geworfen. Seine Titeljäger waren gestolpert, böse ausgerutscht. Ausgeschieden im Pokal-Halbfinale. Schon am Samstag,

schon gegen die SG Flensburg-Handewitt. 20:22 (8:10) stand es nach 60 Minuten, nach einer ganz schlechten Löwen-Stunde. Einem Auftritt zum Vergessen. Vielleicht sogar zum Schämen?

„Gudmi“, der Verzweifelte: „Verlieren ist das eine. Die Art und Weise das andere.“ Und im Klartext: „Wir waren unglaublich schlecht. Das ist eigentlich nicht zu akzeptieren.“ Der kleine Isländer mit dem großen Handball-Sachverstand legte die Stirn in Falten, als er das sagte. Jedem, der ihm zuhörte, war klar: dieser Auftritt wird ein Nachspiel haben, ein Donnerwetter, halb auf Isländisch, halb auf Deutsch.

Auch, weil die Gründe für die Pleite schnell gefunden waren und das Rudel schwer belasteten. Letztlich schlugen sie sich nämlich selbst, die Besten aus dem Südwesten. Flensburg, der Außenseiter, spielte das, was es kann, die Löwen nicht einmal ansatzweise.

Vor allem in der Offensive lief nichts zusammen. Es war ein Fehlwurf-Festival, an dem sich alle beteiligten. Selbst Uwe Gensheimer, sonst die Zuverlässigkeit in Person, verballerte die Big Points. Mal vom Siebenmeterpunkt aus, mal vom linken Flügel. Der Rückraum baute keinerlei Druck auf. Bis zur Pause glückten gar nur acht Treffer. „Acht Tore“, schüttelte Manager Thorsten Storm frustriert den Kopf: „Acht Tore, das ist eine Quote, die man normalerweise von je_ dem einzelnen unserer Rückraumspieler erwarten darf.“

Doch die zogen diesmal früh die Köpfe ein. Bereits zur Pause schien schon der eine oder andere Riese resigniert zu haben. Marcus Rominger, der Löwen-Torwart, der nur als Zuschauer mit an der Elbe war, merkte das, versuchte gegenzusteuern: Kurz vor dem Beginn der zweiten Halbzeit stiefelte er im feinen schwarzen Anzug zur Spielerbank und rief: „Oli, Zarko, auf jetzt!“ Roggisch und Sesum registrierten es, schauten kurz hoch, nickten, um dann sofort wieder den Hallenboden ins Visier zu nehmen.

Nein, das waren nicht die Löwen, die man kennt, die Champions-League-Helden, auf die auch die vielen Fans gehofft hatten: Marc, 38, aus Karlsruhe, war einer der Schlachtenbummler. Nach der Schmach von Hamburg stand er draußen vor der O2World. Restlos bedient, frustriert ohne Ende, lehnte er an einem Geländer. Mit vollen Händen: Links ein Bier, rechts eine Kippe, eine ohne Filter. „Das sind genau die zwei Dinge, die ich jetzt brauche: Alkohol und Nikotin. Tut mir leid, aber anders ertrage ich das nicht.“

Und auch die Kommandobrücke der Badener knabberte hart am Desaster. In der Stunde der Niederlage hatten sie zunächst nur noch eines im Sinn: die Flucht in den Süden, in die heimischen vier Wände. Dorthin, wo man das besser verarbeiten kann, was eigentlich kaum zu verarbeiten ist. Storm und Co. steckten in den Katakomben die Köpfe zusammen, checkten die Rückflugmöglichkeiten, entschieden sich dann aber doch gegen einen vorzeitigen Rückzug.

Im Hintergrund huschten derweil die Spieler vorbei. Ab in den Bus – lautete das Motto. Gesprächig waren die wenigsten. Bjarte Myrhol redete noch, das tat er übrigens auch unmittelbar nach der Schluss-Sirene, aber in erster Linie mit den Schiedsrichtern. Er beschwerte sich. Zu Recht! In der Schlussphase verloren die Unparteiischen nämlich mal kurz den Überblick. Rund zweieinhalb Minuten vor dem Ende schickten sie den Norweger mit einer Zweiminuten-Strafe vom Feld. Der Grund: Angeblich soll Myrhol als siebter Feldspieler auf der Platte gestanden haben.

Eine Fehlentscheidung, doch war die spielentscheidend? Gudmundsson sagt nein: „Glückwunsch an Flensburg, sie haben sich diesen Sieg verdient, weil sie uns bestraft haben.“

Möglicherweise dachte er da schon ans nächste Jahr, an den siebten Anlauf…

Von Daniel Hund

 09.05.2011