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Ein bisschen Freude und noch mehr Vorsicht (MM)

Die Rhein-Neckar Löwen stehen an der Tabellenspitze der Handball-Bundesliga, doch von der Meisterschaft will nach dem 29:26-Sieg über den THW Kiel keiner so richtig reden. Bei den unterlegenen Norddeutschen legte sich hingegen die Enttäuschung schnell – es folgte der Trotz.

Mannheim. Gudmundur Gudmundsson stand die Anspannung noch immer ins Gesicht geschrieben. Dieses Spiel, es hatte ihn mitgenommen. Es hatte in beschäftigt. Vor dem Anwurf. Und nach dem Schlusspfiff. Während der 60 Minuten sowieso. Sicherlich: Irgendwo ganz tief in seinem Inneren wird sich der Trainer der Rhein-Neckar Löwen gefreut haben. Über den 29:26-Sieg im Spitzenspiel gegen den THW Kiel. Über die Tabellenführung in der Handball-Bundesliga. Doch jetzt, eine halbe Stunde nach Spielende, ließ das Adrenalin in seinem Körper noch keine Lockerheit zu. Er wusste ja auch, worum es in diesem mit Spannung erwarteten Gipfeltreffen gegangen war. Und dem Isländer war ebenfalls bewusst, unter welchem Druck die Rhein-Neckar Löwen gestanden hatten.

Das Halbfinal-Aus im Pokal lag erst ein paar Tage zurück, und jetzt drohte gegen den einst übermächtigen THW der nächste Titeltraum zu platzen. Doch dann passierte das, was sich bei den Badenern alle erhofft hatten: eine perfekte Leistung in einer der wichtigsten und schwersten Partien der Vereinsgeschichte. „Wir haben die richtige Antwort gegeben“, meinte Gudmundsson mit Blick auf die Niederlage am Samstag beim Final Four um den DHB-Pokal gegen Flensburg.

Auch Abwehrmann Oliver Roggisch schaute noch einmal zurück: „Heute waren wir bereit, was wir gegen Flensburg vielleicht nicht gewesen sind. Die Abwehr war bombig – und Kiel nicht in Topform, das muss man auch sagen.“ Richtig erklären konnte den Leistungsunterschied aber keiner. „Vor dem Spiel haben wir uns gesagt: Neues Spiel, neuer Wettbewerb. Das ist ja das Gute am Handball, dass es Schlag auf Schlag geht“, sagte Kapitän Uwe Gensheimer – und Andy Schmid pflichtete ihm bei: „So etwas kann im Handball ganz schnell gehen, von einem Moment zum nächsten. Da geht es um kleine Nadelstiche, die man setzen kann – oder eben der Gegner. Das ist wie ein Fechtkampf. Der muss von Anfang an für dich laufen – tut er das nicht, hast du es verdammt schwer“, sagte der Spielmacher, der eine überragende Leistung zeigte.

In der zweiten Halbzeit hatte der Schweizer die Begegnung endgültig an sich gerissen, schon zuvor hatten die 13.200 Zuschauer in der SAP Arena das Gefühl bekommen: Hier geht heute was. „Wir haben sehr gut gespielt“, freute sich Gudmundsson. Trotzdem: Entschieden ist in der Meisterschaftsfrage nichts, die Badener liegen nur aufgrund der um 23 Treffer besseren Tordifferenz vor dem punktgleichen THW (beide 49:9 Punkte) an der Spitze. „Ich schaue nicht auf das Torverhältnis. Wichtig ist erst einmal, dass wir unsere letzten fünf Bundesligaspiele gewinnen“, meinte Gudmundsson, während Manager Thorsten Storm das zuvor Gesehene kaum fassen konnte: „Kiel schlägt man mal nicht eben so. Mit welcher Souveränität wir das Ding durchgezogen haben, überrascht mich dann doch.“

Ihre Chancenlosigkeit und die badische Überlegenheit erkannten die Norddeutschen neidlos an, THW-Kreisläufer Rene Toft Hansen fand klare Worte: „Das war eine Katastrophe in der Abwehr und das über das ganze Spiel hinweg. Das war einfach nicht gut genug. Die Löwen waren das bessere Team, sie waren eine Klasse besser.“ Was insbesondere an Schlussmann Niklas Landin lag, der das Torhüterduell klar für die Gelbhemden entschied. Bezeichnenderweise wechselte der Kieler Trainer Alfred Gislason seine Keeper Andreas Palicka und Johan Sjöstrand immer wieder ein und aus. „Ich bin sehr enttäuscht, besonders über unsere Abwehr- und Torhüterleistung. Vorne haben wir ganz gut gespielt, aber die Löwen hatten einen überragenden Landin“, sagte der Kieler Coach. Ernüchtert saß er bei der Pressekonferenz auf dem Podium und räumte ein: „Die Löwen waren ein würdiger Gewinner.“ Geschäftsführer Klaus Elwardt stimmte seinem geknickten Coach zu: „Es ist schwer, die richtigen Worte zu finden. Das Team mit dem größeren Willen hat gewonnen.“

Nach 40 Minuten sei die Begegnung entschieden gewesen, gab THW-Superstar Filip Jicha zu. Phasenweise lag der Titelverteidiger mit acht Treffern zurück, er wirkte hilflos gegen Landin und überfordert in der Abwehr. Erst in der Schlussphase gelang dem Starensemble von der Ostsee ein wenig Ergebniskosmetik. „Wir müssen diese Niederlage akzeptieren. Wir haben uns nicht so präsentiert, wie wir uns das vorgenommen haben. Vom Gefühl her war das eine klare Niederlage“, sagte Jicha und machte deutlich: „Wir hätten eine andere Leistung, eine andere Energie gebraucht. Die haben wir versucht, in der Pause in der Kabine zurückzuholen. Sigurdsson hat eine gute Ansprache gehalten – aber auch die konnte uns nicht wecken.“

Und nun? Es bahnt sich ein Herzschlagfinale um die deutsche Meisterschaft an, aufgeben werden die Kieler auf keinen Fall. Sie werden versuchen, im Torverhältnis aufzuholen – und auf einen Ausrutscher der Löwen hoffen. „Die restliche Saison ist kurz, kann aber auch richtig lang werden. Man muss eine Meisterschaft auch nach Hause bringen können“, stichelte Jicha: „Die Löwen haben noch schwere Spiele. Wir werden ihnen auf den Fersen bleiben.“

Das wissen die Gelbhemden, denen ihre große Chance zwar bewusst ist. Aber dennoch bleiben sie bescheiden. Bestes Beispiel: Trainer Gudmundsson, der Mahner und Warner: „Die Liga ist noch nicht entschieden, es sind noch fünf schwere Spiele zu spielen.“ Nur Kapitän Uwe Gensheimer traute sich ein wenig aus der Deckung: „Natürlich müssen wir jetzt über die Meisterschaft reden. Aber vom Reden alleine holen wir keine Punkte.“ 

Von Marc Stevermüer