Veröffentlichung:

Ein Erlebnis namens Landin (MM)

Löwen genießen den prestigeträchtigen Pokal-Triumph über Kiel, der vor allem dem Torwart zu verdanken ist

Zunächst versuchte sich Joan Cañellas. Dann trat Marko Vujin an. Schließlich nahmen sich Niclas Ekberg und Superstar Filip Jicha den Ball. Mal hoch, mal tief. Mal filigran, mal wuchtig. Doch wie auch immer die Siebenmeterschützen des THW Kiel warfen – Niklas Landin ahnte es. Der dänische Torwart, er war nach schwachem Start der Held in dieser magischen Pokal-Nacht, in der die Rhein-Neckar Löwen den Erzrivalen aus dem Norden in einer packenden Handball-Schlacht mit 29:26 (15:14) bezwangen und sich fürs Final Four in Hamburg qualifizierten. Besonders intensiv habe er sich vor dem Spiel nicht mit den Strafwürfen des Rekordmeisters beschäftigt, berichtete der Schlussmann nach seiner fulminanten Show mit einem Grinsen: „Es lief einfach so.“

Mit ihrem überragenden Keeper, viel Herz und noch mehr Leidenschaft rangen die Löwen den Seriensieger von der Ostsee nieder. Es knisterte auf den Rängen – und auf dem Feld. Es wurde geschubst und geschoben, um jeden Zentimeter und jeden Ball gekämpft. „Wir hatten Schaum vorm Mund“, meinte ein völlig erschöpfter Kapitän Uwe Gensheimer: „Aber wenn man gegen Kiel gewinnen will, muss man so spielen.“ Keine Frage: Die Badener gingen an ihre Grenzen, wahrscheinlich sogar darüber hinaus. Denn während der THW munter durchwechselte, vertraute Löwen-Trainer Nikolaj Jacobsen fast 60 Minuten lang seiner Stammformation.

„Wir sind gegen Spielende nicht eingeknickt. Das zeigt, wie fit diese Mannschaft ist“, freute sich Oliver Roggisch, wenngleich der Teammanager beim Blick in die Kabine ausschließlich müde Löwen sah. „Am Ende war es nur noch Adrenalin“, räumte Andy Schmid ein. Der Schweizer hatte zunächst überhaupt nicht in die Partie gefunden, früh lagen die Löwen mit 2:5 zurück: „Das nehme ich auf meine Kappe, ich habe falsche Entscheidungen getroffen und normalerweise muss ich nach zehn Minuten nach Hause fahren. Aber zum Glück konnte ich mich da selbst rausziehen.“

Nicht aufstecken, immer weitermachen – das galt an diesem denkwürdigen Abend aber nicht nur für Schmid und Landin, sondern für alle Löwen, die sich Mitte der zweiten Halbzeit innerhalb von 95 Sekunden (!) einen 0:4-Lauf einhandelten. Die mühsam erarbeitete 20:16-Führung war futsch. „Ich habe einmal weggeschaut – und plötzlich stand es unentschieden“, konnte Kim Ekdahl du Rietz nach dem Spiel über diese Phase sogar ein wenig lachen: „So etwas darf uns aber eigentlich nicht passieren.“

Dass die Löwen dennoch gewannen, lag dann auch an ihm. Der Schwede kam zurück auf die Platte, erzielte die nächsten beiden Treffer, übernahm Verantwortung. Unwiderstehlich war sein Antritt bei angezeigtem Zeitspiel, unnachahmlich sein Abschluss. Mit Dynamik und Wucht besorgte der Halblinke auch das wichtige 26:23 – es war eine reine Willensleistung und die Belohnung für seine große Gier auf den Sieg, den die Löwen auch dank der nötigen Lockerheit einfuhren: Denn auf die Idee, fünf Minuten vor Schluss einen Kempa-Trick zu spielen, muss man nicht zwingend kommen. „Das ist vom Trainer in der Auszeit so angesagt worden – und dann sind die Zuschauer ja so richtig ausgetickt“, grinste Gensheimer und freute sich über diesen gelungenen Überraschungseffekt genauso wie über die erneut starke Abwehrleistung.

Erneut entschied sich Jacobsen für eine offensive Variante, wenngleich die Löwen diesmal auf den Halbpositionen deutlich defensiver verteidigten als zuletzt gegen Flensburg. Dennoch war wieder einmal viel Laufarbeit erforderlich, wie ein Supervisor überwachte Stefan Kneer in Abwesenheit des verletzten Gedeón Guardiola das Deckungszentrum. „Jetzt sieht man, wie wichtig er für uns ist. Alle haben nur von Gedeón gesprochen. Aber ich habe schon immer die Bedeutung von Stefan betont. Einen überragenden Kämpfertypen wie ihn brauchen wir“, lobte das ehemalige Abwehr-Ass Roggisch seinen Nachfolger, der nun am 9./10. Mai mit den Löwen nach dem Pokalsieg greift. Die Badener reisen auf jeden Fall als Favorit nach Hamburg – doch das taten sie auch im vergangenen Jahr. „Wir sollten uns daran erinnern, wie schlecht wir 2014 beim Final Four gespielt haben. Den Pokal gewinnt man nicht im Vorbeigehen“, mahnte Landin. Mit ihm in Bestform wird der Traum vom Pokalsieg allerdings schon deutlich realistischer.

 

Von Marc Stevermüer