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Ein Schlitzohr auf Rechtsaußen
Barcelona. Er wirkte hochkonzentriert, war eingetaucht in seine eigene Welt. 60 Minuten lang: Die Arme ständig in Bewegung, der Blick entschlossen, fokussiert auf das Wesentliche. Gudmundur Gudmundsson, 49, der neue Trainer der Rhein-Neckar Löwen, der Mann, der die badischen Titelträume wahr werden lassen soll, war voll in seinem Element. Ein Handball-Workaholic, wie es Löwen-Manager Thorsten Storm kürzlich im RNZ-Gespräch formulierte. Das Duell beim FC Barcelona war für beide der erste gemeinsame Ernstfall. Und der wurde bestanden. Mit Bravour. Mit Applaus. Mit einem ganz dicken Ausrufezeichen. Die Löwen siegten, zauberten, feierten, lachten über einen 31:30 (14:13)-Auswärtssieg. Bjarte Myrhol und Co. setzten den spanischen Kreis-Toreros Hörner auf. Eine Topleistung, ohne Schnörkel, mit ganz viel Leidenschaft. Storm fand’s klasse: „Dieser Sieg bedeutet für unsere Mannschaft sehr viel. Wenn man hart für eine Sache arbeitet, hat man auch das Quäntchen Glück verdient und gewinnt ein großes Spiel.“
Umkämpft war’s, knapp war’s. Richtig knapp: Im Palau Blaugrana ging es hin und her, rauf und runter. Und am Ende war der Kleinste der Größte: Ivan Cupic, er misst gerade mal 1,78 m Meter vom Scheitel bis zur Sohle, brannte auf der rechten Außenbahn ein Feuerwerk ab. Seine Präzision, seine Kaltschnäuzigkeit, sein Torriecher. Storm über den Wirbelwind, über das „Barca-Schreckgespenst“: „Ivan ist ein Spieler ohne Nerven – wenn es eng wird, ist er da. Ein kleiner Verbrecher auf Rechtsaußen.“ Und weiter: „Mit ihm und Patrick Groetzki, der bei seinem Kurzeinsatz das vielleicht wichtigste Tor des Spiels ermöglicht hat, sind wir auf dieser Position top besetzt.“
Die Statistik unterstützt Storms These: Der Kroate traf zehn Mal, und ballte vor allem in der Schlussphase, in der sogenannten „Crunsh-Time“, als die Gelbhemden jeden Treffer brauchten, beinahe im Minutentakt die Siegerfaust.
Doch der Erfolg hatte mehrere Väter. Storm nickt: „Die ganze Mannschaft hat überzeugt. Jeder hat an sich geglaubt, niemand gab auf.“Wobei ein Held besonders im Rampenlicht stand. Na, wer ist gemeint? Richtig: Gudmundsson natürlich. Der Neue scheint im Vorfeld nämlich alles richtig gemacht zu haben. Er wählte die richtigen Worte. Pushte, riss alle mit. Und eroberte prompt eine der größten Festungen, die es im Welt-Handball gibt.
Andererseits: Hatte Gudmundsson überhaupt einen entscheidenden Anteil am Triumph in Katalonien? Schließlich hat er die Mannschaft erst am Donnerstag übernommen! Ein Gedankengang, den Storm bewusst ausklammert. Der Manager widerspricht, sagt: „Wenn du als Trainer ein Spiel in Barcelona gewinnst, dann hast du richtig gut gearbeitet. Egal wie lange du dabei bist.“ Der Trainerfuchs gab das Kompliment weiter: „Die Mannschaft hat eine perfekte Siegermentalität an den Tag gelegt.“
Nicht eingesetzt wurde Niklas Ruß. Wieder einmal. Aber das war diesmal auch nachvollziehbar. Es stand viel auf dem Spiel. Trotzdem wird es interessant zu sehen sein, wie es für das Talent weitergeht. Wird er ähnlich wie bei Ola Lindgren auch unter Gudmundsson permanent durchs Raster fallen? Gut möglich! Denn gerade in der Bundesliga ist für ihn – zumindest sobald Zarko Sesum zur Verfügung steht – kein Platz im Kader. Der Linksaußen muss dann auf die Tribüne. Im deutschen Oberhaus passen nur 14 Mann auf den Spielberichtsbogen. Keine schöne Situation. Gerade für einen wie ihn. Einen, der sich entwickeln will, ein richtig Großer werden will. So aber nicht. Es ist ein Teufelskreis: Ohne Spielpraxis kein Fortschritt, kein Selbstvertrauen.
Möglicherweise ändert sich seine Lage aber schon früher als gedacht. Grundlegend wohlgemerkt: Es ist kein Geheimnis, dass die TSG Friesenheim, für die Ruß im letzten Jahr über die Platte sauste, mit Nachdruck anklopft. Die Vorderpfälzer möchten Ruß sofort zurückholen. Nicht erst planmäßig in der Winterpause, nicht erst, wenn Löwen-Kapitän Gudjon-Valur Sigurdsson wieder vollständig fit ist. Noch in dieser Woche treffen sich die Klubs. Die Aussichten für eine vorzeitige Rückholaktion scheinen aber nicht gut zu sein. Im Gegenteil. Storm erklärt: „Wir möchten unsere Mannschaft so zusammenhalten. Und zwar so lange, bis Gudjon-Valur wieder fit ist.“
Wann Sigurdsson seine Knie-Verletzung auskuriert hat, bleibt abzuwarten. In Barcelona mimte er den Co-Trainer. „Und das hat er gut gemacht“, schmunzelte Storm, der sich kurz darauf verabschiedete. Er hatte es eilig. Alle hatten es eilig: Ein Bankett stand an. Spieler, Verantwortliche und Sponsoren speisten gemeinsam. „Das wäre übrigens auch bei einer Niederlage so gewesen“, stellte Storm klar.
Aber nach solch einem süßen Sieg mundet es besonders gut…
Von Daniel Hund
27.09.2010