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„Eine unfassbare Gelegenheit“

Gedeon Guardiola im Interview

Aus der Abwehr der Rhein-Neckar Löwen ist Gedeon Guardiola längst nicht mehr wegzudenken. Der spanische Nationalspieler hat sich zum unangefochtenen Abwehrchef der Löwen entwickelt und einen großen Verdienst daran, dass seine Mannschaft mit bisher 556 Gegentoren in der Bundesliga auch in dieser Saison wieder die beste Defensive der Liga stellt. Im Interview spricht der Kreisläufer über die verpasste Olympiaqualifikation mit der spanischen Nationalmannschaft und den Kampf um die Meisterschaft und den Pokalsieg mit den Löwen.

Gedeón, warst du schon einmal in Rio de Janeiro?

Gedeon Guardiola: Nein, noch nie. Auch deshalb ist es unheimlich schade, dass wir mit Spanien nicht bei Olympia dabei sind, weil wir beim Qualifikationsturnier in Schweden nur Dritter geworden sind und nun Schweden und Slowenien nach Brasilien fahren. Das war eine brutale Enttäuschung für mich.

Wie sehr schmerzt es, dass Spanien als Vize-Europameister und Weltmeister von 2013 nicht bei Olympia dabei ist?

Guardiola: Wir haben das erste Mal seit 40 Jahren die sportliche Qualifikation verpasst, wir waren in den vergangenen vier Jahren bei allen großen Turnieren in jedem Halbfinale. Das hat selbst Frankreich nicht geschafft. Für mich persönlich war dieses Turnier besonders bitter, weil ich fünf Sekunden vor Schluss den Siebenmeter verursacht habe, der uns letztlich die Qualifikation gekostet hat. Ich fühle mich deshalb fast ein bisschen schuldig und war nach dem Spiel total fertig und leer. Alle haben versucht, mich zu trösten, aber so etwas habe ich noch nie erlebt.

Es wurde viel über den Modus der Qualifikationsturniere diskutiert – nicht zuletzt, dass die Turniere nicht nach sportlichen Gesichtspunkten an die Ausrichter vergeben wurden und in eurem Fall Schweden den Heimvorteil hatte. Kannst du das nachvollziehen?

Guardiola: Natürlich spielt der Heimvorteil eine gewisse Rolle. Aber wird sind nicht wegen des Spiels gegen Schweden ausgeschieden, das wir ja letztlich gewonnen haben, sondern wegen der Niederlage gegen Slowenien. Da haben wir die entscheidenden Fehler gemacht und das kann man jetzt nicht am Austragungsort festmachen.

Euer Rechtsaußen Victor Tomas twitterte nach dem Aus: „Sie wollten uns nicht dabei haben, und ich bin beschämt darüber, wie der internationale Handball organisiert ist.“ Bist du mit ihm einer Meinung?

Guardiola: Das wurde in Spanien natürlich heftig diskutiert – schon als feststand, dass dieses Turnier in Schweden stattfinden wird. Natürlich kann man diese Frage stellen, aber nochmal: Wir hatten es gegen Slowenien selbst in der Hand und sind so erst in diese prekäre Situation gekommen. Jeder kann seine Meinung wie Victor äußern, aber ich denke, da waren auch viele Emotionen nach der ersten Enttäuschung dabei.

Nach der Final-Niederlage gegen Deutschland bei der EM war das bereits die zweite große Enttäuschung für dich und deinen Teamkollegen Rafael Baena mit der Nationalmannschaft innerhalb kurzer Zeit. Bist du froh, dass jetzt nur noch die Löwen zählen?

Guardiola: Ja, man muss sich nach so einer Erfahrung neue Ziele setzen. Aber man kann das nicht einfach so wegstecken.

Viele hatten befürchtet, dass ihr etwas geknickt von diesem Quali-Turnier zurückkommt. Ihr hattet nur einen Trainingstag bis zum Spiel in Gummersbach. Wie schnell konntest du abschalten?

Guardiola: Ich hatte zwei wirklich miese Tage nach dem Turnier – auch weil ich persönlich so direkt in die letzten Szenen des Spiels gegen Schweden involviert war. Ich habe noch nie nach einem Handballspiel geweint, aber nach dieser Partie war ich wirklich untröstlich. Es kamen aber bald auch die ersten Aufmunterungen von den Teamkollegen bei den Löwen. Ich war dann am Montagmorgen wieder zurück, und am Dienstag ging es dann schon nach Gummersbach. Am Mittwoch nach dem Sieg beim VfL ging es mit meiner Laune dann wieder etwas bergauf.

Das 33:21 beim VfL war eine sehr beeindruckende Leistung von euch. Hattest Du erwartet, dass es so eine klare Angelegenheit wird?

Guardiola: Wir haben stark im Angriff gespielt, unsere Abwehr hat in beiden Formationen sicher gestanden und wir haben die Fehler der Gummersbacher bestraft. Wenn alles so gut zusammenpasst, kann so ein Ergebnis zustande kommen.

Ihr hattet nach dem Zagreb-Spiel eine relativ lange Pause. Auch zwischen dem Spiel in Gummersbach und dem Heimspiel am kommenden Sonntag gegen den TBV Lemgo liegt mehr als eine Woche, während vor der EM ein Termin den nächsten jagte. Ist es jetzt einfacher oder schwerer, den Rhythmus zu finden?

Guardiola: Es ist auf jeden Fall anders, aber ich denke, wir kriegen das ganz gut hin, und man merkt, dass einigen Spielern die längeren Pausen gut tun. Sie sind einfach frischer und das kann in den letzten Spielen vielleicht entscheidend sein.

Wie macht das euer Trainer Nikolaj Jacobsen? Findet er das richtige Maß zwischen Belastung, Regeneration und ein paar freien Tagen?

Guardiola: Ja, Nikolaj macht das richtig gut. Er streut immer wieder auch ein paar freie Tage ein und er vertraut uns dabei, so wie wir ihm vertrauen. Ich hatte nach dem Gummersbach-Spiel sogar die Erlaubnis, drei Tage frei zu machen und nach Spanien zu fliegen. Aber ich bin lieber hier geblieben und habe mittrainiert.

An den kommenden Gegner Lemgo dürftet ihr gute Erinnerungen haben. Den Saisonstart habt ihr dort mit 32:26 gewonnen und jetzt ein Heimspiel. Aus der Favoritenrolle könnt ihr euch da kaum herausreden, oder?

Guardiola: Als Tabellenführer sind wir immer die Favoriten und vor allem in den Heimspielen dürfen wir uns natürlich nichts mehr erlauben. Aber in der Bundesliga kannst du kein Spiel mit 90 Prozent angehen – auch gegen Lemgo nicht. Dass man Favorit ist, muss man immer erst auf dem Parkett zeigen.

Wie siehst du das Restprogramm allgemein? Zwei Heimspielen stehen noch fünf Auswärtsspiele gegenüber. Wo siehst du die höchsten Hürden Richtung des ersehnten Titels?

Guardiola: Ich möchte da gar keine Reihenfolge aufstellen. Alle wollen uns schlagen, wir sind die Gejagten und die Stimmung in den fremden Hallen wird sich nicht unterscheiden. Wir müssen jedes Spiel gleich angehen. Das haben uns die vergangenen Jahre gelehrt.

Ihr habt alles selbst in der Hand, eure Verfolger müssen auf Ausrutscher von euch hoffen. Gibt das zusätzliches Selbstvertrauen im Endspurt?

Guardiola: Es ist schon besser, wenn man nur auf sich schauen kann. Dieses Mal sind es die anderen, die auf einen Ausrutscher von uns hoffen müssen. Aber unser Vorsprung ist nicht so groß, dass wir schon eine Feier planen könnten.

Vor dem Saisonendspurt habt ihr nächste Woche bereits die erste Titel-Chance. Die Löwen fahren schon zum neunten Mal zum Final Four nach Hamburg und greifen nach dem DHB-Pokal. Was spricht dafür, dass es jetzt endlich einmal klappt?

Guardiola: Allein die Tatsache, dass wir bislang ohne nationalen Titel sind und in diesem Jahr eine Chance auf das Double haben, ist eine unfassbare Gelegenheit. Aber um am Ende oben zu stehen, muss in zwei Spielen alles klappen.

Ihr müsst bereits im Halbfinale gegen die SG Flensburg-Handewitt antreten. Ausgerechnet die Mannschaft, gegen die ihr in Hamburg noch nie gewinnen konntet. Ein schlechtes Vorzeichen?

Guradiola: Betrachtet man die vergangenen Jahre, könnte man wirklich von einem „Angstgegner“ sprechen. Aber das wird ein 50:50-Spiel, bei dem Kleinigkeiten entscheiden werden. Da Flensburg auch eine starke Abwehr hat, ist es mitentscheidend, dass wir in der eigenen Defensive gut stehen und über Gegenstöße zu einfachen Toren kommen.

Parallel zum Heimspiel gegen Lemgo und dem Final Four in Hamburg hätte das Champions-League-Viertelfinale gegen Paris angestanden. Im Achtelfinal-Rückspiel gegen Zagreb hattet ihr allerdings nicht euren besten Tag. Wärst du gerne noch eine Runde länger dabei gewesen?

Guardiola: Natürlich hätten wir den Fans Spiele gegen Paris gegönnt und enttäuschend war natürlich, dass wir ausgerechnet im Heimspiel nicht zu einer konstanten Leistung gefunden haben . . .

. . . im Endeffekt habt ihr jetzt aber den Kopf frei für die nationalen Titel. Kann sich das im Nachhinein als Vorteil erweisen?

Guardiola: Da muss man realistisch sein. In der Champions League hatten wir sicherlich die geringsten Titelchancen. Vielleicht hat es am Ende ja etwas Gutes, dass wir uns nun ganz auf die nationalen Titel konzentrieren können.

Und wenn die Runde vorbei ist, geht es dann in den Urlaub zurück in die Heimat?

Guardiola: Ja, wir sind dann noch drei bis vier Tage da und dann geht es mit der Familie in die Nähe von Alicante, um ein bisschen den Sommer zu genießen.

Wird man dort als Deutscher Meister dann genauso gefeiert wie 2013 als Weltmeister?

Guardiola (lacht): So weit ist es ja noch lange nicht! Aber vielleicht erkennen mich dort ja ein paar deutsche Touristen. Alicante soll ja sehr beliebt sein.