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Einfach mal die Klappe halten (Süddeutsche)

Selbst die Konkurrenz drückt die Daumen: Nach Jahren voller Hochmut schwingen sich die Rhein-Neckar Löwen ausgerechnet in ihrer schwersten Saison zum Herausforderer des THW Kiel auf. Im Klub ist ein ganz neuer Ton eingekehrt.

Der Blick von Jesper Nielsen auf die Tabelle der Handball-Bundesliga dürfte ungläubig sein. Irgendwas muss doch gewaltig schief laufen. Ganz oben, da stehen die Rhein-Neckar Löwen, mit 22:0 Punkten nach elf Spieltagen, welch ausgezeichnete Bilanz. Jahrelang hatte sich der Däne Nielsen einen solchen Anblick gewünscht, dafür Millionen in die Mannschaft investiert, die besten Handballer der Welt verpflichtet, große Sprüche geklopft. Nun ist Nielsen weg. Und plötzlich läuft es?

Die Entwicklung der Rhein-Neckar Löwen ist bemerkenswert. Viele Jahre lang hat der Mannheimer Handballklub von Nielsens großem, goldrandverziertem Geldkoffer profitiert. Als Schmuckverkäufer hatte der Däne ein Imperium aufgebaut, bei den Löwen agierte er als Gesellschafter, wollte den Klub mit seinen Millionen zum deutschen Meister und Champions-League-Sieger machen. Bis es mit den Geschäften rasant bergab ging und Nielsen sich zurückzog: erst von den Löwen, dann auch von AG Kopenhagen, Nielsens zweitem Handballteam.

Nach seinem Rückzug im Februar 2012 wusste bei den Löwen zunächst niemand, wie es weitergeht. Der Klub stand vor dem Aus. Man entschied sich fürs Sparen, stutzte den Etat um zwei Millionen auf 5,5 Millionen Euro, Topspieler wie Olafur Stefansson, Karol Bielecki oder Gregor Tkaczyk wurden verkauft. „Wir haben mit der Mannschaft ehrlich kommuniziert, haben ihr gesagt, wie es aussieht und was nun passieren muss“, sagt Manager Thorsten Storm auf der Homepage der Handball-Bundesliga: „Wir waren auf der Intensivstation, und nun sind wir zumindest mal in der Reha.“ Von Vereins-Unikaten wie Nationalspieler Oliver Roggisch ist zu hören, sie hätten auf 30 Prozent ihres Gehalts verzichtet.

Und dann das: 22:0 Punkte, Siege gegen Flensburg und Hamburg, Tabellenführung. Am Samstag nun das Topspiel gegen die Füchse Berlin. In ihrer schwersten Saison spielen die Löwen plötzlich den besten Handball der Vereinsgeschichte. Das geht so weit, dass viele mutmaßen, der Klub könnte sogar den THW Kiel gefährden. Jenen gefräßigen Platzhirsch im deutschen Handball, der in der Bundesliga seit nunmehr anderthalb Jahren kein Spiel mehr verloren hat. Doch sind die Löwen schon so weit?

Eher nicht, sagt Manager Storm. Was seine Mannschaft leistet, ist trotzdem beachtlich. Nach dem Verkauf der Spitzenkräfte ist es dem Klub gelungen, die Lücken mit kostengünstigerem Personal zu schließen. Im Rückraum wirbelt der 23-jährige Schwede Kim Ekdahl du Rietz, daneben der Isländer Alexander Petersson. Hinzu kommen bekannte Kräfte wie Nationalspieler Uwe Gensheimer, der auf Außen von der neuen Spielfreude im Rückraum profitiert. Mit Niklas Landin haben sie zudem den derzeit stärksten Torhüter der Liga. „Der Umbruch ist vollzogen“, glaubt Storm, „das haben andere Klubs noch vor sich.“

Den größten Nachweis ihrer neuen Qualität lieferten die Mannheimer beim Auswärtsspiel in Hamburg. Beim HSV war für die Löwen in der Vergangenheit selten etwas zu holen, diesmal siegten sie 30:23, ließen dem deutschen Meister von 2011 keine Chance. „Sie haben einen Lauf, den du erst mal stoppen musst“, sagt HSV-Trainer Martin Schwalb. Für ihn gehören die Löwen bereits zu den Titelanwärtern.

Ginge es nur um die erste Sieben, vielleicht könnten es die Löwen mit Kiel tatsächlich aufnehmen. Auf der Bank wird es jedoch dünn. Der Unterschied zu den Stammspielern ist groß; vielfach ist zu beobachten, wie die Qualität sinkt, wenn Gensheimer, du Rietz und Pettersson ein paar Minütchen Verschnaufpause einlegen. Diesbezüglich sei man „noch weit weg vom THW Kiel“, findet Nationalspieler Gensheimer. „Ich weiß, wo wir herkommen“, sagt auch Storm, „wir sind nicht auf dem Niveau eines THW Kiel.“

Demütiger Ton bei den Löwen

Überhaupt ist bei den Löwen ein neuer, demütiger Ton eingekehrt. „Wir haben drei Jahre auf die Fresse bekommen“, erzählt Storm, „wir halten einfach mal die Klappe und arbeiten in Ruhe unsere Aufgaben ab.“ Das war nicht immer so. Saison für Saison hatten die Löwen große Ziele ausgerufen, lockten anderen Teams mit hohen Gehältern ihre besten Spieler weg. Titel gewonnen haben sie nicht, dafür manchen treuen Fan verprellt. Für diese Saison wurde gar die Qualifikation für die Champions League verpasst. Die Löwen dümpeln im EHF-Pokal.

Der Liga wäre immerhin schon geholfen, könnte Mannheim den Kielern in diesem Jahr etwas länger Paroli bieten als Hamburger, Berliner oder Flensburger im vergangenen Jahr. Da war die Meisterschaft gefühlt kurz nach Weihnachten entschieden – etwas schlimmeres kann einer Liga kaum passieren.

Manager Storm muss sich mit diesem Gedanken noch anfreunden. „Es ist doch mal etwas Neues, wenn den Rhein-Neckar Löwen die Daumen gedrückt werden“,  bemerkt er verwundert. Gewinnt das Team von Trainer Gudmundur Gudmundsson am Samstag auch gegen die Füchse Berlin, wäre endgültig alles für das Gipfeltreffen bereitet: Ende des Monats, am 28. November, wenn der THW Kiel zum Auswärtsspiel nach Mannheim reist. Und die Rhein-Neckar Löwen zeigen können, wie weit sie sind.