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„Es gilt, die Gunst der Stunde zu nutzen“ (MM)

Der ehemalige Weltklasse-Torwart Henning Fritz traut den Löwen nicht nur einen Sieg gegen Kiel, sondern auch die Meisterschaft zu

MANNHEIM. Er spielte für den THW Kiel und die Rhein-Neckar Löwen: Henning Fritz, deutscher WM-Held von 2007, kennt die beiden Handball-Spitzenklubs ganz genau. Vor dem Topspiel am Samstag (16.15 Uhr/live bei Sport1) in der restlos ausverkauften Mannheimer SAP Arena nimmt er den Vize-Meister und den Titelverteidiger für diese Zeitung genau unter die Lupe. Fritz sieht leichte Vorteile bei den Badenern – und geht sogar noch einen Schritt weiter: „Die Löwen haben alle Möglichkeiten, in dieser Saison deutscher Meister zu werden.“

Torwart

„Johan Sjöstrand und Andreas Palicka haben sich beim THW stabilisiert, nachdem sie in der vergangenen Saison doch sehr stark in der Kritik standen. Aber ihr Gegenüber Niklas Landin ist ein absoluter Weltklasse-Torwart. Deswegen sehe ich auf dieser Position die Löwen etwas besser besetzt.“

Fritz‘ Fazit: leichter Vorteil Löwen.

Abwehr

„In der aktuellen personellen Situation fehlt Kiel mit Filip Jicha eine wichtige Figur in der Defensive, in der mit Joan Canellas, Steffen Weinhold und Domagoj Duvnjak noch drei Neuzugänge integriert werden müssen. Bei den Löwen habe ich die Deckung zuletzt als Prunkstück gesehen, wenn ich mal die Partie gegen Tschechow außer Acht lasse. In Kombination mit Landin sehe ich sie in der Defensive ein wenig stärker als Kiel.“

Fritz‘ Fazit: leichter Vorteil Löwen.

Rückraum

„Die Spielweisen beider Mannschaften unterscheiden sich. Die Löwen suchen eine Lösung im Mannschaftsspiel, der THW versucht seine wurfgewaltigen Leute wie Marko Vujin, Canellas oder Duvnjak in Position zu bringen, um zum Torerfolg zu kommen. Aufgrund der Ausfälle von Jicha und Aron Palmarsson muss Kiel allerdings ein bisschen improvisieren, um die individuellen Stärken seiner Rückraumleute zum Tragen zu bringen. Löwe Alexander Petersson hat seine Stärken im Eins-gegen-eins, Kim Ekdahl du Rietz kommt auch aus der Bewegung. Und Andy Schmid sucht ebenfalls eher das Zusammenspiel. Ohnehin ist die Stammformation der Löwen sehr gut eingespielt. Wenn beim THW alle Jungs einsatzfähig wären, läge aufgrund der Breite im Kader der Vorteil sicherlich bei Kiel. Aber ohne die verletzten Jicha, Palmarsson und Rasmus Lauge sehe ich das nichtmehr so.“

Fritz‘ Fazit: unentschieden.

Kreisläufer

„Patrick Wiencek hat sich in Kiel prächtig entwickelt, auch René Toft Hansen wird immer wichtiger. Aber beide können nicht an Bjarte Myrhol heranreichen.“

Fritz‘ Fazit: Vorteil Löwen.

Außenpositionen

„Auf Rechtsaußen ist Kiel mit Niclas Ekberg und Christian Sprenger gleich zwei Mal gut besetzt. Löwe Patrick Groetzki steht ihnen allerdings in nichts nach. Auf dem anderen Flügel sehe ich aufgrund der individuellen Klasse von Uwe Gensheimer die Löwen gegenüber dem Kieler Dominik Klein besser besetzt.“

Fritz‘ Fazit: Vorteil Löwen.

Psyche

„Die Löwen spielen in ihrer Festung SAP Arena, das gibt Sicherheit. Seit eineinhalb Jahren haben sie dort kein Spiel verloren. Der Druck liegt eher beim THW, der zwei Punkte hinter den Löwen liegt. Bei einer Niederlage wären es schon vier Zähler und der Druck würde noch größer werden. Denn die Spitzenteams verlieren nicht viele Spiele.“

Fritz‘ Fazit: Vorteil Löwen.

Gesamteindruck

„Es stellt sich aufgrund der Verletzten sowie der noch andauernden Integration der Neuzugänge die Frage, inwieweit Kiel in der Lage ist, die erwartete Leistung abzurufen. Der THW wirkt nicht stabil, die Löwen haben allerdings auch noch nicht das Niveau der Vorsaison erreicht. Es sind einige wichtige Leute aus der zweiten Reihe gegangen, jetzt müssen Mads Mensah Larsen, Harald Reinkind und Tim Suton eingebaut werden. Sie haben alle Talent, müssen aber erst noch lernen. Ihnen fehlt die internationale Erfahrung eines Sergey Gorbok, der in der vergangenen Saison noch da war. Trotzdem: Gegen Veszprém und Skopje, zwei absolute Spitzenmannschaften, hatten die Löwen in der Champions League zwei Mal die Chance, auswärts zu gewinnen. Das zeigt das Potenzial dieser Mannschaft, die auch von der sehr guten Arbeit von Trainer Nikolaj Jacobsen profitiert. Mit seiner Gelassenheit und seinen klaren Ansagen trägt er seinen Teil zum Erfolg bei.“

Prognose

„Grundsätzlich gilt: Ich habe hohe Ansprüche an die Löwen, weil sie in den vergangenen Jahren gegen alle Topmannschaften bewiesen haben, dass sie zur europäischen Spitze gehören. Deswegen müssen sie auch selbst den Anspruch haben, um den Titel zu spielen. Sie haben nicht nur eine gute Chance, gegen Kiel zu gewinnen, sondern auch alle Möglichkeiten, deutscher Meister zu werden. Nun gilt es, die Gunst der Stunde zu nutzen. Denn es ist vielleicht sogar die vorerst letzte Chance auf den Titel. Nach dieser Saison werden sich die Kräfteverhältnisse durch Myrhols Abschied und den Wechsel von Landin zum Konkurrenten nach Kiel stark in Richtung THW verlagern.“

Von Marc Stevermüer