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Es kann nur einen geben (MM)

Seit 2013 beherrschen Kiel und die Löwen die Liga – aber an einem Wettschießen beteiligen sich die Badener diesmal nicht

Dieses irre Saisonfinale, es verlangte Andy Schmid physisch und psychisch alles ab. „Ich konnte vier Wochen nicht schlafen“, erinnert sich der Regisseur der Rhein-Neckar Löwen. Mit dem THW Kiel lieferten sich die Gelbhemden in der vergangenen Runde ein dramatisches Kopf-an-Kopf-Rennen um den Titel, das die Massen elektrisierte. Das tragische Ende aus badischer Sicht ist bekannt: Magere zwei Tore waren die Norddeutschen in der Endabrechnung besser, am 24. Mai liefen die Tränen bei den Löwen. „Diesen Tag werde ich niemals vergessen“, sagte Schmid im Augenblick der Enttäuschung – während Kapitän Uwe Gensheimer 24 Stunden später trotzig ankündigte: „Das Ziel kann nur Angriff lauten. Es fühlt sich an, als hat man uns etwas weggenommen, was eigentlich uns gehört.“

Niemand konnte damals ahnen, dass sich diese historische Chance auf den ersten Meistertitel der Vereinsgeschichte in dieser Saison tatsächlich wieder bieten würde. Zu übermächtig schien der extrem verstärkte THW – doch nun thronen die beiden Klubs wieder punktgleich an der Spitze: Am Sonntag (17.15 Uhr/Sport1) wird im direkten Duell wohl eine Vorentscheidung um den Titel fallen, denn Ausrutscher leisten sich die beiden Topteams nur selten. „Wenn man die vergangene Saison mit einrechnet, sind das über 60 Spiele – und trotzdem kommen der THW und wir auf die gleiche Punktzahl. Das ist unglaublich“, sagt Rechtsaußen Patrick Groetzki. In der Tat lesen sich die Zahlen beeindruckend: 109:15 Punkte sammelten beide Klubs seit Sommer 2013 in 62 Spielen, die Kieler sind nur um 34 Treffer besser. „Wir sind stolz darauf, es wieder geschafft zu haben, dem THW die Stirn zu bieten“, meint Groetzki.

Während der Titelverteidiger seit Wochen einen Kantersieg nach dem anderen feiert, beteiligen sich die Badener diesmal aber nicht am Wettschießen. Die Löwen-Losung lautet: acht Spiele, acht Siege – das würde reichen. „Ich kann nicht auf das Torverhältnis schauen und immer meine Stammformation durchspielen lassen, sondern muss die Belastung verteilen“, sagt Trainer Nikolaj Jacobsen. Wenn die Gelbhemden aber ihre Leistungsträger vom Feld nehmen, geht das oft mit einem Qualitätsverlust einher – im Gegensatz zum THW, der einen Weltklassespieler für einen anderen bringen kann. Löwen-Manager Lars Lamadé hat Verständnis für seinen Trainer: „Nikolaj schätzt die Lage realistisch ein: Wir können in der Kader-Breite nicht mit dem THW mithalten. Entsprechend werden die Kieler wohl am Ende die bessere Tordifferenz haben. Unsere kleine Chance auf den Titel liegt nur bei den Punkten.“

Kiels Manager Thorsten Storm, 2014 pikanterweise noch ein Löwe und am Ende knapp geschlagener Vize-Meister, will indes nichts dem Zufall überlassen. „Beide Teams agieren auf Augenhöhe. Wenn es wieder um das Torverhältnis geht, kann keiner sagen, er wäre nicht darauf vorbereitet gewesen“, sagte er den „Kieler Nachrichten“.

Vor einem Jahr wurde thematisiert, ob es nicht fairer sei, bei Punktgleichheit den direkten Vergleich entscheiden zu lassen. Storm meint, die Diskussion habe seinerzeit einzig Gudmundur Gudmundsson, der damalige Löwen-Trainer, ins Rollen gebracht – was nicht der Wahrheit entspricht. Denn im Mai 2014 sagte Storm gegenüber dieser Zeitung: „Diese Regelung sollte man ändern und darüber nachdenken, ob es bei Punktgleichheit in Zukunft ein Entscheidungsspiel gibt oder der direkte Vergleich zählt.“

So schnell kann sich die Meinung also ändern – den Löwen ist das aber sowieso egal. „Wir wollen uns nicht vom Torverhältnis verrückt machen lassen, vielleicht war dieser Druck im vergangenen Jahr auch für den einen oder anderen zu viel“, sagt Groetzki, der selbst bei einer Niederlage die Meisterschaft noch nicht für entschieden hält – im Gegensatz zu Kim Ekdahl du Rietz: „Wir müssen gewinnen, denn Kiel wird danach wohl keinen Punkt mehr abgeben.“

Klar ist: Der Druck liegt beim THW, der Meister werden muss und zuletzt mit Steinar Ege noch einen Torwart als Ersatz für den verletzten Andreas Palicka verpflichtete. „Sicher sind sich die Kieler wohl nicht, dass sie uns schlagen“, frotzelt Schmid, der auf ein „perfektes Spiel“ und einen Sieg seines Teams hofft. Es würde sich gewiss positiv auf seine Schlafgewohnheiten auswirken.

 Von Marc Stevermüer