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Europas Krone zum Greifen nah

Montpellier. Die große Party startete gerade, da platzte plötzlich prominenter Besuch in die Kabine der Rhein-Neckar Löwen herein. Nikola Karabatic, das Aushängeschild des französischen Spitzenklubs Montpellier AHB, der Alles-Könner, der Alles-Gewinner. Der Superstar des Welt-Handballs gab sich die Ehre, zeigte in der Stunde der Niederlage Größe, ging nicht gleich zu seinen enttäuschten Kollegen, sondern gratulierte zunächst den Badenern zu ihrem 35:26 (15:17)-Sieg im Viertelfinal-Rückspiel der Champions League und zur Qualifikation für das Final Four. Einige Minuten später kam Karabatic zurück aus dem Umkleideraum der Gelbhemden, artig hatte er sein Trikot noch getauscht. Vor nicht allzu langer Zeit war es geraume Zeit sehr wahrscheinlich, dass es ein Löwen-Shirt mit seinem Namen geben würde.

Stark als Mannschaft

Doch das ist mittlerweile Geschichte – und die Badener brauchen diesem geplatzten Wechsel auch nicht mehr hinterhertrauern. Denn in Frankreich zeigten sie, dass man vor allem eine Mannschaft sein muss, um Großes zu vollbringen. „Dem Gegner standen vielleicht die besseren Einzelspieler zur Verfügung, aber wir haben als Kollektiv funktioniert. Im Handball gewinnt meistens das Team mit der besseren Zusammenarbeit. Slawomir Szmal war stark im Tor, wurde aber von der Abwehr unterstützt“, wollte Manager Thorsten Storm nach dem Coup in Montpellier niemanden herausheben: „Wir haben das gemacht, was eine Klasse-Mannschaft auszeichnet: Geduldig auf die Chance warten, ruhig bleiben, den Gegner verunsichern. Das sind die Merkmale eines Spitzenteams – und diese Truppe ist auf dem Weg, eine europäische Topmannschaft zu werden.“

Selbst ein 15:17-Pausen-Rückstand und die 27:29-Hinspiel-Niederlage brachten die Löwen nicht aus dem Konzept. „Es war gegen diese Abwehr unglaublich schwer“, gestand Gudjon Valur Sigurdsson: „Montpelliers Spieler wiegen alle über 100 Kilo, sind zwei Meter groß und trotzdem beweglich und schnell. Aber wir haben auf unsere Chance gewartet.“

Keine Frage: Die Löwen bewahrten kühlen Kopf – und schlugen dann eiskalt zu. Eine Qualität, die sie lange Zeit vermissen ließen. Doch mittlerweile wirft den Bundesligisten nichts mehr aus der Bahn. „Alle haben uns abgeschrieben. Aber wir lassen uns von Rückschlägen nicht beeindrucken, das zeichnet uns aus. Wir halten zusammen, die Unruhe und das Gerede außerhalb interessieren uns nicht“, sagte Róbert Gunnarsson und meinte damit auch den Aufsichtsratsvorsitzenden Jesper Nielsen, der mehrere Löwen-Spieler zu seinem Heimatverein AG Kopenhagen transferieren möchte.

Schon am Dienstag (19.15 Uhr) steht den Badenern im Bundesliga-Spitzenspiel gegen den HSV Hamburg die nächste schwere Prüfung bevor, ehe sie am Wochenende beim Final Four um den DHB-Pokal antreten. „Vor uns liegt ein hartes Programm, aber so soll es doch sein im Mai“, meinte Gunnarsson: „Wir haben zwei Titelchancen. Es gibt keinen Grund, sich zu beschweren.“

In der Tat: Mit der Qualifikation für das Finalturnier in der Königsklasse haben die Löwen eines ihrer großen Saisonziele erreicht. Europas Krone ist zum Greifen nah. „Wir sind zurecht da, wo wir alle hinwollten. Ich freue mich vor allem für die treuen Fans, die zuletzt nicht viel Gutes über uns gehört haben“, meinte Storm und konnte sich ebenfalls eine kleine verbale Spitze gegen Nielsen nicht verkneifen. Bewusst wählte der Manager immer wieder den etwas allgemeineren Begriff „Spitzenteam“, während der selbstbewusste Aufsichtsratsboss stets von der „weltbesten Mannschaft“ spricht.

Erster Titel am Wochenende?

Storm will den Ball lieber etwas flacher halten – Feierlaune war nach dem Sieg in Montpellier aber ausdrücklich erlaubt. „Zumindest auf dem Rückflug“, schränkte der ehrgeizige Trainer Gudmundur Gudmundsson sofort mit einem Lächeln ein. Der Coach ist nie zufrieden, weshalb Storm wenige Minuten nach dem Triumph mit einem Augenzwinkern meinte: „Alle feiern jetzt. Nur der Trainer sitzt in der Kabine und schaut sich Videoaufzeichnungen vom HSV Hamburg an.“

So war es freilich nicht, auch der Isländer freute sich. „Wir stehen unter den besten vier Mannschaften der Welt. Das bedeutet mir unglaublich viel, ein sehr großer Traum hat sich erfüllt. Wir haben gezeigt, dass wir große Mannschaften auch auswärts schlagen können“, sagte Gudmundsson mit stolzer Stimme. Schon am Wochenende kann er die Löwen beim Finalturnier um den DHB-Pokal zum ersten Titel der Klubgeschichte führen. „Die Spieler sind heiß“, versprach Storm und grinste. Neben ihm ging Karabatic in die Kabine – diesmal in den Umkleideraum seiner Mannschaft.

Von Marc Stevermüer

 02.05.2011