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Fachmann aus der „obersten Schublade“

Kronau/Östringen. Bereits wenige Stunden vor der Auftaktpartie in der Champions League haben die Rhein-Neckar Löwen für Schlagzeilen gesorgt. Gestern Nachmittag gab der Handball-Bundesligist überraschend die Trennung von Trainer Ola Lindgren bekannt. Auch der bisherige sportliche Berater, Kent-Harry Andersson, hat bei den Löwen keine Zukunft mehr.

Neuer Chef auf der Kommandobrücke der Badener ist Gudmundur Gudmundsson. Der Isländer, der einen Fünf-Jahres-Vertrag erhält, wird das Team morgen (16.30 Uhr/live in Eurosport) beim ersten Saisonauftritt in der europäischen Königsklasse beim spanischen Traditionsverein FC Barcelona erstmals betreuen. „Für viele mag diese Trennung zum jetzigen Zeitpunkt überraschend kommen. Für mich ist sie das nicht, denn ich habe mit den Löwen große Ziele“, erklärte Jesper Nielsen. „Und ich bin nicht mehr davon überzeugt, dass wir diese Ziele mit unserem bisherigen Coach erreichen werden“, fügte der Aufsichtsratsvorsitzende an.

„Ola Lindgren und Kent-Harry Andersson waren sehr loyal und haben ihre Arbeit gemacht. Aber es gibt einfach Dinge, die nicht zusammenpassen“, gab Thorsten Storm zu Protokoll. Der Manager betonte zudem, die Entscheidung, sich von Lindgren zu trennen, werde vom gesamten Vorstand mitgetragen. Der Schwede hatte die Badener erst im Sommer 2009 als Coach übernommen und beim Tabellenfünften der Bundesliga noch einen Vertrag bis zum 30. Juni 2012.

„In diesem Geschäft muss man mit allem rechnen. Das ist nun einmal so“, erklärte Lindgren gegenüber dieser Zeitung. Zu den möglichen Gründen für seine Entlassung wollte der Schwede nichts weiter sagen. „In einem sachlichen Gespräch“, so Storm, hatten der Manager und Aufsichtsratschef Nielsen gestern Vormittag Lindgren und Andersson die Entscheidung des Vereins mitgeteilt, am frühen Nachmittag wurde dann der Mannschaft ihr neuer Übungsleiter präsentiert.

„Natürlich hat jeder Trainer seinen eigenen Stil und seine eigenen Vorstellungen. Ich werde hier aber bestimmt keine Revolution machen“, sagte Gudmundsson, der gestern Abend seine Schützlinge zunächst zu einem halbstündigen Videostudium bat, dann seine erste Übungseinheit im Kronauer Trainingszentrum leitete. Im August hatten die Löwen Gudmundsson als neuen sportlichen Leiter vorgestellt.

„Das ist eine riesige Aufgabe bei einem fantastischen Verein. Hier hat man alle Möglichkeiten“, meinte der Isländer, der weiterhin auch die Nationalmannschaft seines Heimatlandes betreuen wird. Nielsen verfolgte die Ausführungen des neuen Trainers, den er als „24-Stunden-Handball-Workaholic“ bezeichnet, mit zufriedener Miene. „Gudmundur Gudmundsson ist ein Fachmann aus der obersten Schublade, der immer ganz nach oben will – genau wie die Löwen“, sagte der Modeschmuckfabrikant aus Dänemark und nannte noch einmal das Ziel, welches er verfolgt: „Die Rhein-Neckar Löwen sollen sich an der Spitze der Handballwelt positionieren.“ Gudmundsson soll nun dafür sorgen, dass die Mannschaft diesen hohen Ansprüchen gerecht wird.

KOMMENTAR
Unverständlich

Die Rhein-Neckar Löwen sind immer wieder für eine Überraschung gut. Obwohl man den Saisonstart – zumindest auf dem Papier – als durchaus gelungen bezeichnen kann, hat sich der Handball-Bundesligist von seinem bisherigen Trainer Ola Lindgren getrennt. Dabei liegen die Badener nach fünf Bundesliga-Partien gleichauf mit anderen Top-Teams. Zudem schafften sie jüngst über das Qualifikationsturnier in der Karlsruher Europahalle den erneuten Sprung in die Champions League.

Zwar hat das mit Stars gespickte Ballwerfer-Ensemble der Löwen in dieser Runde auf dem Parkett noch nicht allzu oft überzeugt. Am Ende zählen im Sport aber stets die Ergebnisse – und die haben bislang gestimmt. Gerade deshalb erscheint der Wechsel auf der Trainerbank, auf der für die kommenden fünf Jahre der Isländer Gudmundur Gudmundsson Platz nehmen soll, umso unverständlicher.

Auch sind die Gründe für Lindgrens Demission nicht unbedingt nachvollziehbar. Nach dem Willen von Aufsichtsratschef Jesper Nielsen sollen die Löwen bis 2015 an der „Spitze der Handballwelt“ stehen. Für dieses Unterfangen benötigen die handelnden Personen vor allem eines – Zeit. Und die hat man Lindgren nicht wirklich zugestanden. Es bleibt also abzuwarten, ob man seinem Nachfolger mehr Geduld entgegenbringt. Einen Vertrag hat er immerhin für fünf Jahre.

Von Christof Bindschädel

 24.09.2010