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„Für Titel muss man etwas leiden“
Andy Schmid im Interview
Die Rhein-Neckar Löwen haben am vergangenen Wochenende bei der MT Melsungen ihr erstes Bundesligaspiel der laufenden Saison verloren. Spielmacher Andy Schmid spricht vor dem Heimspiel am morgigen Dienstag gegen die Füchse Berlin über die Niederlage in Nordhessen, die bisherigen Spiele in der Champions League mit dem Autftritt in Frankreich nach den Terroranschlägen und die Entwicklung innerhalb der Mannschaft.
Andy, am vergangenen Samstag habt ihr bei der MT Melsungen die erste Niederlage in der Bundesliga kassiert, was war los in Kassel?
ANDY SCHMID: Es war uns allen klar, dass wir auch in der Bundesliga mal ein Spiel verlieren werden. Melsungen spielt eine richtig starke Saison und konnte am Ende der Partie auch noch ein paar Prozent mehr zulegen. Im Gegensatz zu uns spielen sie ja keinen Europapokal und hatten eine Woche Zeit sich auf uns vorzubereiten. Wir haben am Mittwoch noch in der Champions League gegen Montpellier gespielt. Vielleicht hat uns deshalb am Ende auch ein wenig die Kraft gefehlt.
Das Hinspiel in Montpellier war nur wenige Tage vorher und unmittelbar nach den Terror-Anschlägen von Paris. Wie ist es euch emotional in Montpellier ergangen?
SCHMID: Die ganze Reise war schon sehr speziell. Als kurz vor dem Anpfiff die französische Nationalhymne von einer jungen Frau gesungen wurde, hat mir das für einen Augenblick den Boden unter den Füßen weggezogen. Das war extrem, ergreifend, einfach heftig. Man hat die Trauer hautnah gespürt.
Wie schwer war es, ins Spiel zu kommen?
SCHMID: Wenn du im Spiel drin bist, hilft es niemandem, sich zu verstellen. Dann will ich gewinnen. Die Zuschauer kamen ja auch in die Halle und suchten Ablenkung. Denen wäre nicht geholfen gewesen, wenn sie dann nur traurige Spieler während der 60 Minuten gesehen hätten. Deswegen haben wir das Spiel ernst genommen und wollten auch gewinnen, nur gefreut haben wir uns eben nicht. Eine seltsame Situation.
Wie hast du die gesamte Reise wahrgenommen?
SCHMID: Angst hatten wir nicht, dass etwas passieren würde. Aber ein mulmiges Gefühl hat uns schon begleitet. Man reist ja nicht gerne in ein Land, in dem gerade der Ausnahmezustand verhängt wurde. Aber Montpellier wollte spielen, die Entscheidung lag bei den Franzosen – und das muss man dann auch respektieren.
Wie bewertest du die Gruppenkonstellation in der Champions League?
SCHMID: Die Situation könnte besser sein. Dass sie es nicht ist, haben wir uns selbst eingebrockt. Wir haben gegen Kielce die ganze Zeit geführt und am Ende unentschieden gespielt. Und in Kristianstad haben wir unsere schlechteste Saisonleistung gezeigt. Wir könnten drei Punkte mehr haben, aber das lässt sich im Nachhinein nicht mehr ändern. Ich denke, es ist okay, was wir bislang in der Champions League gezeigt haben. Die Achtelfinal-Qualifikation sollte jetzt klappen. Aber es wäre schön, wenn wir am Ende einen der ersten vier Plätze in der Gruppe belegen.
Rafael Baena hat sich überraschend schnell als Nachfolger von Bjarte Myrhol einen Namen am Kreis gemacht hat. Bist du überrascht von seiner schnellen Integration?
SCHMID: Wir hatten uns erhofft, dass es so laufen wird. Da muss man auch mal unserem Trainer Nikolaj Jacobsen ein Kompliment aussprechen, dass er plötzlich den Baena ausgräbt. Eigentlich ist es ein Wahnsinn, kurz vor Beginn der Saisonvorbereitung noch einen Kreisläufer dieser Klasse zu bekommen. Und jetzt ist es wirklich unglaublich, wie gut Rafael eingeschlagen hat. Er ist ein extrem wichtiger Faktor für uns.
Mit Hendrik Pekeler haben die Löwen einen zweiten neuen Kreisläufer verpflichtet, der verletzungsbedingt im Angriff aber noch gar nicht zum Zug kam. Wie schnell wird die Abstimmung mit ihm passen?
SCHMID: Ich glaube, dass das nicht allzu lange dauern wird. Hendrik ist ein klassischer Kreisläufer und bei ihm muss man sich nicht auf etwas Spezielles einstellen wie bei Rafael, der viel steht und die Bälle gerne nur flach haben will. Mit Pekeler können wir ganz anders als mit Rafael spielen, das kann schon eine Waffe werden, wenn sich die Gegner auf Baena einstellen und mit Pekeler dann ein ganz anderer Kreisläufer da steht. Mit seiner Reichweite und seiner Größe bringt Hendrik andere Elemente ein. Außerdem hilft er uns in der Deckung, das merke ich im Training. Wenn ich da gegen den Mittelblock Gedeón Guardiola und Hendrik Pekeler angreifen soll, ist es nicht ganz einfach gegen diese beiden Türme. Mit diesem Duo haben wir eine weitere Option in der Abwehr und können eine flache 6:0-Deckung spielen. Keine Frage: Pekeler wird uns in Abwehr und im Angriff helfen.
Wie wertvoll sind Mads Mensah Larsen und Harald Reinkind für euch in dieser Saison?
SCHMID: Sie spielen eine deutlich größere Rolle als in der vergangenen Runde. Aber das ist völlig normal, das weiß ich aus eigener Erfahrung. Mir wurde auch immer gesagt, dass ich ein Jahr brauche. Ich habe das nicht geglaubt und wollte gleich richtig durchstarten. Das hat nicht funktioniert. Harald und Mads haben jetzt ein Jahr Bundesliga gespielt, kennen die Gegner und wissen, dass man immer alles geben muss. Sie machen uns jetzt noch stärker, beide haben schon Spiele für uns in die richtige Richtung gelenkt. Harald bringt eine Qualität mit, die uns in den vergangenen Jahren ein bisschen gefehlt hat. Mit seiner Wurfgewalt sorgt er für einfache Tore. Und wenn der Gegner dann etwas weiter auf Harald rausgeht, bringt das wieder Platz für die anderen.
Eure Gegner haben sich zuletzt viel gegen eure 3:3-Abwehr einfallen lassen – und das auch gut gemacht. Was sagt euch das?
SCHMID:Wenn du so offensiv deckst, muss alles funktionieren. Du musst die richtige Aggressivität haben, schnell auf den Beinen sein, die 50:50-Entscheidungen der Schiedsrichter müssen zu deinen Gunsten ausfallen. Wenn das nicht funktioniert und die 3:3 ein paar Mal ausgespielt wird, verliert man auch das Vertrauen. Dann wirst du offensiver, gehst näher an den Gegenspieler ran – und dann gibt es immer mehr Platz. Das ist ein Teufelskreis. Bei der 3:3 spielt sich einfach sehr viel im Kopf ab.
Wie meinst du das?
SCHMID: Wenn du damit die ersten Angriffe des Gegners abwehrst, bleibst du kompakt – und der Gegner fängt an nachzudenken. Aber die 3:3 ist ja keine Variante, die wir über eine ganze Saison durchziehen können. Da geht es auch darum, dass sich der Gegner auf verschiedene Systeme vorbereiten muss. Wir wissen es aus eigener Erfahrung: In den vergangenen Jahren wussten wir nie, deckt Kiel jetzt in der 6:0 oder in der 3:2:1. Wir mussten uns immer auf beides vorbereiten. Das ist extrem mühsam.
Euer nächster Gegner in der SAP Arena sind die Füchse Berlin. Wie schätzt du die Gäste aus der Hauptstadt ein.
SCHMID: Das ist ein sehr gefährlicher Gegner, das Zusammenspiel zwischen Abwehr und Torwart funktioniert richtig gut. Was sicherlich ein bisschen fehlt, ist die Breite im Kader, weshalb die Berliner nach starkem Start einen kleinen Durchhänger hatten. Da machte sich schon bemerkbar, dass mit Paul Drux eine weitere Alternative im Rückraum verletzungsbedingt fehlt und viel Verantwortung auf wenigen Schultern liegt. Dennoch ist Berlin ein Gegner, der jede Mannschaft schlagen kann. Nicht zuletzt wird es auch darauf ankommen, was für einen Tag Silvio Heinevetter im Tor erwischt.
Dennoch kann es für die Löwen nur ein Ziel geben: den Sieg, oder?
SCHMID: Wir haben ein Heimspiel und wissen, was wir in dieser Saison erreichen möchten. Da müssen wir die Heimspiele gewinnen.
Gegen die Füchse habt ihr bereits im Pokal gewonnen, euer nächster Gegner in diesem Wettbewerb heißt ausgerechnet Melsungen. Zufrieden mit dem Los?
SCHMID: Der Gegner war mir eigentlich egal. Wichtig war mir nur, dass wir ein Heimspiel haben. Das haben wir jetzt – insofern bin ich zufrieden. Wie stark Melsungen spielt, mussten wir leider am Wochenende erfahren. Ich hoffe, beim Pokalspiel unterstützen uns unsere Zuschauer so fantatastisch wie die Fans es in Kassel mit der MT getan haben.
Bist du überrascht, dass Melsungen eine so starke Saison spielt?
SCHMID: Das Potenzial in Melsungen war schon immer groß, die Mannschaft ist immer gut besetzt gewesen. Jetzt hat sich dieses Team kontinuierlich weiterentwickelt, mit Michael Roth ist seit Jahren der gleiche Trainer da. Das sieht man dann auch auf dem Feld. Dass dieser schlafende Riese irgendwann erwachen wird, war eigentlich klar.
Wenn ihr die schwere Aufgabe Melsungen lösen würdet, wäret ihr wieder beim Final Four dabei. Hast du nach so vielen Enttäuschungen der Löwen in Hamburg noch Lust auf die Pokal-Endrunde?
SCHMID: Wir wohnen in Hamburg immer im Lindner Hotel am Tierpark, das ist ein sehr gutes Hotel. (lacht). Von mir aus können wir da gerne wieder hin. Wenn man Titel gewinnen will, muss man vorher immer ein bisschen leiden. Ich war ja außerdem nur zwei Mal beim Final Four. Irgendwann wird das schon mit dem Pokalsieg klappen.
Du hast zusammen mit Löwen-Kapitän Uwe Gensheimer und Marko Vukelic, einem Kumpel aus der Schweiz, das Unternehmen UANDWOO gegründet. Ihr kreiert Socken und Unterwäsche und verkauft die Ware über das Internet. Wie laufen die Geschäfte?
SCHMID: Gut, wir werden dieses Jahr schwarze Zahlen schreiben, auch wenn wir damit noch nicht unseren Lebensunterhalt finanzieren können.
Uwe zieht es nach der Saison nach Paris, die Stadt der Mode. Da kann ja dann nichts mehr schief gehen.
SCHMID: Wir ziehen das Ding in Frankreich ganz groß auf (lacht). Ich rate Uwe, in Paris gut zu spielen.