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Gensheimer springt auf EM-Zug

Heidelberg. Der Blick leer, den Kopf ein wenig gesenkt. Heiner Brand saß da, als wolle er gleich wieder weg, als hätte er keine Lust zu reden. Doch der Handball-Bundestrainer hatte keine andere Wahl. Medienvertreter aus halb Deutschland warteten auf ihn, zückten die Blöcke, hofften, dass er doch vorzeitig die Karten auf den Tisch legen und den endgültigen EM-Kader schon am späten Mittwochabend in der SAP Arena ausplaudern würde. Falsch gedacht: Brand ist ein Mann mit Prinzipien, einer, der einhält, was er ankündigt. Und die Zeit für die endgültige, unwiderrufliche Entscheidung war nach dem 34:22-Spaziergang über Brasilien noch nicht reif. Brand mauerte, blockte sämtliche Nominierungsfragen rigoros ab, sagte Sätze wie: „Ich weiß es doch selbst noch nicht.“ Oder: „Manche der Spieler bewegen sich auf einem ähnlich guten Level.“

Rhein-Neckar-Löwe Uwe Gensheimer, 23, der Wackelkandidat, der gegen  die Ballwerfer vom Zuckerhut ein Zehn-Tore-Feuerwerk abbrannte, stand ebenfalls im journalistischen Kreuzfeuer. Ob er denn enttäuscht wäre, wenn er nicht bei der EM in Österreich dabei wäre, wurde Gensheimer unter anderem gefragt. Er schmunzelte, überlegte und gab eine ehrliche Antwort: „Ja“, sprudelte es aus ihm heraus, „ja, ich wäre enttäuscht, aber es liegt nicht in meiner Hand.“ Sprach’s und verabschiedete sich leicht nervös in Richtung Dusche: „Morgen früh weiß ich hoffentlich mehr.“

Es muss eine nervenaufreibende Nacht für „Gensel“ gewesen sein. Eine Nacht zwischen Hoffen und Bangen. Gestern Morgen hatte der Friedrichsfelder endlich Gewissheit, freudige Gewissheit: Brand baut auf ihn, will ihn in Österreich gemeinsam mit Torsten Jansen (HSV Hamburg) wirbeln sehen. „Das freut mich riesig“, erklärt Gensheimer im RNZ-Gespräch, „meine Vorfreude auf die Europameisterschaft ist extrem groß.“ Was nachvollziehbar ist: Es ist das erste Handball-Großereignis, das er als fester Bestandteil der DHB-Auswahl erleben darf. Ihn macht das stolz: „Es ist gewissermaßen eine Bestätigung meiner gezeigten Leistungen.“ Und die möchte der Mann mit dem trickreichen rechten Wurfarm nun auch beim europäischen Ballwurf-Gipfeltreffen untermauern.

Seine Wadenverletzung wird ihn nicht behindern. „Die ist längst auskuriert: Ich spüre davon rein gar nichts mehr.“ Gestern Vormittag stand für Brands nationale Elite nochmals eine schweißtreibende Übungseinheit auf dem Programm: Oliver Roggisch und Co. trafen sich zum vorerst letzten Training im Olympiastützpunkt Rhein-Neckar in Heidelberg. Danach verteilten sich die deutschen Hoffnungsträger in alle Himmelsrichtungen: Bis Sonntag verordnete Brand Ruhe.

Es ist die Ruhe vor dem Sturm. Gensheimer verbringt sie mit Freundin Sandra, die bald wieder zum Studieren nach Melbourne aufbricht. Dominik Klein, 26, war die Enttäuschung ins Gesicht. Aber er gab sich als fairer Verlierer: „Das ist bitter. Aber wäre ich der Bundestrainer, hätte ich mich vielleicht genauso entschieden“, sagte er. In den nächsten Tagen wird er sich etwas zurückziehen, Kraft tanken bei seiner Frau Isabell. Sein Kurzeinsatz gegen Brasilien war aber sicher nicht sein letztes Spiel im DHB-Dress. Im Gegenteil: Falls nichts Unvorhersehbares passiert, werden Gensheimer und er bald gemeinsam bei großen Turnieren für Deutschland am Ball sein. Es gilt als sicher, dass Torsten Jansen, mittlerweile 33 Jahre alt, spätestens nach den Olympischen Spielen 2012 in London seinen Rücktritt erklären wird.

Ex-Löwe Michael Haaß, 26, war gestern ebenfalls gut drauf. Der Spielmacher von Frisch Auf Göppingen fährt auch in die Alpenrepublik. Martin Strobel (TBV Lemgo) hatte auf der Mitte das Nachsehen. Neben Klein und Strobel sortierte Brand auch Matthias Flohr (HSV Hamburg) und Steffen Weinhold (TV Großwallstadt) aus. Übrig bleiben 16 Spieler, mit denen Deutschland zur EM nach Österreich (19. bis 31. Januar) reist.

Das deutsche Aufgebot, Tor: Johannes Bitter (HSV Hamburg), Carsten Lichtlein (TBV Lemgo), Silvio Heinevetter (Füchse Berlin); Feld: Stefan Schröder ( Hamburg), Christian Sprenger (THW Kiel), Holger Glandorf (TBV Lemgo),Michael Müller (Rhein-Neckar Löwen), Michael Kraus (Lemgo), Michael Haaß, Lars Kaufmann (beide FA Göppingen), Sven-Sören Christophersen (HSG Wetzlar), Torsten Jansen (Hamburg), Uwe Gensheimer, Oliver Roggisch (beide Rhein-Neckar Löwen), Christoph Theuerkauf (SC Magdeburg), Manuel Späth (Göppingen).

Von Daniel Hund

 15.01.2010