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Hendrik Pekeler im Interview

„Eine Meisterschaft wurde noch nie nach dem vierten Spieltag entschieden“

Das Jahr 2016 war das Jahr des Hendrik Pekeler. Europameister, Deutscher Meister, Olympia-Bronze. Im Interview spricht der Kreisläufer über die erfolgreichen letzten Monate, die Olympischen Spiele sowie über die erste Niederlage in der Bundesliga gegen die SG Flensburg-Handewitt.

Hendrik, im Januar 2015 hast du bei einem Lehrgang der Nationalmannschaft zum „Mannheimer Morgen“ gesagt, dass die Löwen noch ein Jahr mit der Meisterschaft und somit auch auf dich warten sollen. Du wolltest unbedingt beim ersten Titelgewinn dabei sein. Bis du Hellseher?

Hendrik Pekeler (lacht): Nein, das nicht. Aber ich finde es super, dass das so geklappt hat, auch wenn das eher scherzhaft gemeint war. Ich hatte den Löwen auch 2014 und 2015 die Meisterschaft gegönnt, weil sie es verdient hatten. In diesem Jahr war dieser Verein einfach mal dran.

Europameister, Deutscher Meister, Olympia-Bronze – versuch’ doch mal, die Erfolge 2016 in Worte zu fassen.

Pekeler: Puh, das ist echt schwierig. Bei der EM hat niemand mit uns gerechnet, wir selbst wahrscheinlich auch nicht. Man muss sich das mal vorstellen: Dieser Erfolg kam ja aus dem Nichts, die deutsche Nationalmannschaft hatte in den Jahren davor nichts gewonnen und sogar manch ein Turnier verpasst. Dann reisen wir nach Polen, müssen dort ohnehin auf ein paar Leistungsträger verzichten, es verletzen sich weitere wichtige Spieler während des Turniers – und wir fahren trotzdem mit dem Titel nach Hause. Das war außergewöhnlich.

Kommen wir zu den Löwen.

Pekeler: Im Verein haben wir nach der EM da weitergemacht, wo wir im Dezember aufgehört hatten. Diese Meisterschaft war immens wichtig für die Spieler, die 2014 und 2015 Zweiter wurden. Und sie war wichtig für diesen Verein. Denn jetzt weiß jeder, dass die Löwen große Titel holen können.

Gab es auch was zu meckern?

Pekeler: Dass wir in der Champions League bereits im Achtelfinale ausgeschieden sind, hat mich schon geärgert. Vor allem über die Art und Weise. Wir gewinnen das Hinspiel in Zagreb und schaffen es nicht, in eigener Halle eine vernünftige Abwehr aufs Feld zu stellen. Dabei war das immer unser großes Plus. In dieser Saison würden wir schon gerne etwas weiter in der Champions League kommen. Und zum DHB-Pokal muss ich nichts sagen. Es ist offensichtlich eine Tradition, dass die Löwen diesen Wettbewerb nicht gewinnen (lacht).

Lass’ uns noch über Olympia reden.

Pekeler: Wir hatten den ganzen Sommer Zeit, uns darauf vorzubereiten. In der Vorrunde haben wir gute Leistungen gezeigt, ein Ausrutscher gegen Brasilien – das kann passieren. Dennoch wurden wir verdient Gruppenerster. Im Viertelfinale gegen Katar haben wir unser bestes Spiel gezeigt.

Und dann kam Frankreich im Halbfinale, der Seriensieger und Alles-Gewinner.

Pekeler: Ausgerechnet in dieser Begegnung haben zu viele Spieler ihr Niveau nicht erreicht, da zähle ich mich dazu. Ich hatte einen rabenschwarzen Tag erwischt. Und dann wird es natürlich schwer, gegen die beste Mannschaft der Welt zu bestehen, wenn nur ein paar Leute Normalform bringen.

Trotzdem stand es wenige Sekunden vor Schluss unentschieden…

Pekeler: Dass wir uns nach einem Sieben-Tore-Rückstand noch einmal herangekämpft haben, spricht für uns. Am Ende war es die Cleverness eines 36-jährigen Weltklassespielers namens Daniel Narcisse, die das Spiel entschieden hat. Das war unglücklich für uns, aber über das Spiel gesehen war Frankreich die bessere Mannschaft. So eine Niederlage – so schmerzhaft sie auch war – muss man dann auch einfach mal akzeptieren. Denn wenn man sieht, wie viele Spiele wir bei der EM knapp oder erst in der Schlussphase gewonnen haben, dann war es vielleicht auch einfach mal eine Frage der Zeit, dass es mal
unglücklich gegen uns läuft.

Nach dem EM-Titel wollte niemand so recht von der Rückkehr in die Weltspitze reden. Ist Deutschland denn nach Platz drei in Rio wieder Weltspitze?

Pekeler: Zur Weltspitze gehören Frankreich, Dänemark, Kroatien und Spanien – gegen diese vier Nationen können wir an guten Tagen gewinnen, das haben wir bei der EM gesehen. Und alle Nationen, die dahinter kommen, die schlagen wir eigentlich. Wir sind also nah dran an den Top-Vier. Vielleicht dauert es noch ein, zwei Jahre, dass wir dann auch wirklich zur Weltspitze dazugehören.

Wie war das für dich, aufgrund der Olympischen Spiele so lange von deiner Tochter getrennt gewesen zu sein?

Pekeler: Nach meiner Rückkehr stand sie mir in den ersten beiden Tagen ein bisschen skeptisch gegenüber, das hat sich dann aber schnell gelegt. Während der Olympischen Spiele haben wir versucht, über Videotelefonie in Kontakt zu bleiben. Das war aber auch nicht immer so einfach durch die Zeitverschiebung. Vormittags haben wir ja ständig gespielt, da war es in Deutschland aber schon Nachmittag. Und wenn wir unser Programm in Rio absolviert hatten, war Fine Sophia dann oft schon auf dem Weg ins Bett. Aber so jeden zweiten Tag haben wir es schon hinbekommen, damit sie mich nicht vergisst (lacht).

Hast du von Rio eigentlich etwas gesehen?

Pekeler: Ehrlich gesagt: Nein. Wir waren mit der Mannschaft einmal im deutschen Haus, wir waren einmal in der Stadt etwas essen. Ein paar Jungs waren noch bei anderen Sportarten, aber ich habe mich mehr oder weniger im Olympischen Dorf aufgehalten und mich auf das Turnier konzentriert. Die Copacabana war eineinhalb Stunden entfernt – auf diesen Stress hatte ich dann auch echt keine riesengroße Lust.

Jeder Sportler spricht davon, dass es so toll sei, bei Olympia so viele andere Athleten zu treffen. Gab es einen Star-Auflauf im Olympischen Dorf?

Pekeler: Natürlich läuft da der eine oder andere Superstar herum, gerade in der Mensa. Als da Usain Bolt reingekommen ist, standen andere Sportler scharenweise um ihn herum. Im Olympischen Dorf gab es außerdem einen Tennisplatz, auf dem Novak Djokovic mit Boris Becker trainierte. Da haben schon viele Sportler zugeschaut. Aber letztendlich war es auch so, dass viele Topstars gar nicht im Olympischen Dorf, sondern in einem Hotel gewohnt haben.

Mit Dagur Sigurdsson bei der Nationalmannschaft und Nikolaj Jacobsen bei den Löwen hast du zwei grundverschiedene Trainer, was ihr Auftreten angeht. Ist diese Umstellung manchmal schwierig?

Pekeler: Nein, überhaupt nicht. Wichtig ist nur, dass sie beide exzellente Trainer sind. Nikolaj ist außerhalb des Feldes eher der Kumpel-Typ, während sich Dagur ein wenig zurückzieht. Und sicherlich ist Nikolaj auch an der Seitenlinie etwas impulsiver, wenngleich Dagur auch ganz schön sauer werden kann. Aber in der Spielvorbereitung sind die Unterschiede zwischen ihnen zum Beispiel gar nicht so groß. Beide geben den Spielern nicht zu viele Informationen an die Hand, sondern konzentrieren sich auf das Wesentliche.

Die Löwen und ihr Ruf als ewiger Zweiter, der nichts gewinnt. Das Gerede ist jetzt vorbei. Inwieweit hat dich das zuvor genervt?

Pekeler: Nicht so sehr, denn ich bin damit nur ein einziges Mal konfrontiert worden – und zwar nach dem Final Four. Das hängt sicherlich mit der Vorgeschichte dieses Vereins im Pokal zusammen, in der Meisterschaft habe ich das nicht wahrgenommen.

Wie realistisch ist eine Meisterschaft 2017?

Pekeler: Es liegt nicht nur an uns, sondern es hängt auch viel davon ab, ob wir von Verletzungen verschont bleiben. Haben wir Glück oder Pech? Unser Kader ist schon klein. Wenn wir verletzungsfrei bleiben, haben wir gute Chancen. Wenn nicht, wird es eng. Bei Flensburg und Kiel stehen jeweils 18 Spieler auf Weltklasse-Niveau unter Vertrag. Diese Breite haben wir nicht.

Ausgerechnet gegen Flensburg setzte es zuletzt am vierten Spieltag eine Heimniederlage, ein Rückschlag im Kampf um den Titel?

Pekeler: Eine Meisterschaft wurde noch nie nach dem vierten Spieltag entschieden. Im Vorjahr haben wir auch zu Hause gegen die SG verloren, konnten aber in Flensburg punkten. Wir haben schlecht gespielt, aber die SG ist nicht umsonst der große Titelfavorit in diesem Jahr.

Wenn man Meister werden will, muss man mindestens 30 von 34 Spielen gewinnen. Vielleicht sogar mehr. Wie anstrengend ist
das für den Kopf?

Pekeler: So darf man nicht denken. Es bringt nichts, zu weit in die Zukunft zu schauen. Es hört sich vielleicht abgedroschen an, aber es ist nun einmal so: Wichtig ist nur das nächste Spiel.

Mitte der 1990er Jahre war es möglich, auch mal mit 15 oder 16 Minuspunkten Meister zu werden. Hälst du eine ähnliche
Entwicklung für möglich?

Pekeler: Die Klubs hinter dem THW Kiel, der SG Flensburg-Handewitt und den Rhein-Neckar Löwen werden immer stärker, vor allem die Mannschaften aus dem direkten Verfolgerfeld. Es wird schwieriger, gegen Melsungen, Magdeburg, Hannover, Göppingen und Berlin zu gewinnen. Insbesondere den Füchsen traue ich in dieser Saison viel zu. Es kann sein, dass ein Meister irgendwann mal wieder 15 Minuspunkte auf dem Konto hat. In dieser Saison wird das aber nicht der Fall sein, denn trotz der guten Arbeit in den anderen Vereinen stehen meiner Meinung nach Flensburg, Kiel und wir ein bisschen über der Konkurrenz.