Veröffentlichung:

Hinter dem eigenen Anspruch (MM)

Mannheim. Unruhe im Umfeld und unerwartete Niederlagen: Bei den Rhein-Neckar Löwen lief zuletzt nicht viel nach Wunsch. In der nächsten Woche startet der Handball-Bundesligist auswärts bei HBW Balingen-Weilstetten (Mittwoch, 20.15 Uhr) in die Rest-Rückrunde. Bevor der Ball wieder geworfen wird, ist es an der Zeit, zurückzublicken und in die Zukunft zu schauen.

Wie fällt die Bilanz nach 18 Bundesliga-Spielen aus?

Die Löwen blieben hinter den Erwartungen und dem eigenen Anspruch zurück. Niederlagen gegen Kiel und in Berlin sind sicherlich keine Sensationen – was sich die Gelbhemden aber wieder einmal gegen die vermeintlich Kleinen erlaubten, ist nur schwer nachvollziehbar. Mit ihren unnötigen Punktverlusten gegen Hannover, Melsungen und Lübbecke hat sich die Mannschaft selbst unter Druck gesetzt. Manager Thorsten Storm sprach zwischenzeitlich sogar davon, dass die Löwen kein Spitzenteam seien. Gegen Meister Hamburg zeigte die Mannschaft in Liga und Pokal aber, was sie leisten kann. Viele fragen sich jedoch zurecht, warum die Gelbhemden ihr Potenzial nur selten abrufen.

Werden die Zuschauer von den Löwen gut unterhalten?

Wer Thriller liebt, kommt bei den Löwen auf seine Kosten. Allerdings spannten die Badener ihre Fans zu oft auf die Folter, weil sie einen klaren Vorsprung aus der Hand gaben und so unnötig Siege verschenkten (Bundesligaspiel gegen Melsungen, Pokalpartie gegen Hamburg) oder gefährdeten (Bundesligaspiel in Lemgo). Mit ein bisschen weniger Dramatik könnten alle leben. Und wenn dann gegen kleine Gegner nicht mehr nur ein Vorsprung verwaltet, sondern auch mal eine große Handball-Show geboten wird, würde vielleicht auch der eine oder andere Zuschauer mehr kommen.

Was hat bisher richtig gut funktioniert?

Von der folgenschweren Krise im Herbst einmal abgesehen, haben sich die Löwen vor allem in der Abwehr stabilisiert. In den vergangenen Jahren boten die Badener im Angriff oft ein Spektakel – und erlebten in der Abwehr ein Debakel. Auch auf die Außen Patrick Groetzki, Uwe Gensheimer und Ivan Cupic ist Verlass. Der Gegenstoß ist die stärkste Offensiv-Waffe des badischen Bundesligisten.

Wer ist der Gewinner der Vorrunde?

Auf diese Frage kann es nur eine Antwort geben: Bjarte Myrhol. Nur wenige Wochen nach seiner Krebs-Behandlung kehrte der Norweger zurück und zeigte oft überragende Leistungen. Von seinem Kämpferherzen können sich einige Löwen eine Scheibe abschneiden.

Wo gibt es Verbesserungspotenzial?

Wie gesagt: Zu oft machen die Löwen den Sack nicht zu, wofür sie schon mehrmals hart bestraft wurden. Diese Mischung aus Schlendrian und Nervenschwäche, gilt es zu beheben. 67 technische Fehler produzierte die Mannschaft laut offizieller Liga-Statistik, kein Team erlaubte sich mehr (TuS N-Lübbecke mit nur zwölf Fehlern). Was die Torgefahr angeht, ließ der Rückraum viele Wünsche offen. Wenn überhaupt, dann war nur auf Krzysztof Lijewski Verlass, was es dem Gegner sehr einfach machte. Zu oft spielten die Löwen den Ball im Rückraum nur parallel und ohne Druck auf die Abwehr. Michael Müller und Karol Bielecki agierten mit Licht und Schatten, was möglicherweise aber auch an fehlendem Selbstbewusstsein durch fehlende Spielpraxis lag.

Wie haben die Neuzugänge eingeschlagen?

Zweigeteilt fällt das Urteil zu Lijewski aus: In der Liga schoss er seinen Ex-Klub Hamburg fast im Alleingang ab, beim Auswärtserfolg in Lemgo übernahm der Pole die Verantwortung und erzielte Sekunden vor dem Schlusspfiff den Siegtreffer. Die erhoffte emotionale Leitfigur ist er indes nicht, was möglicherweise aber auch an den nicht enden wollenden Spekulationen um seine Zukunft liegt. Bei Torwart Goran Stojanovic gab es wenige Partien, in denen der Montenegriner nicht zu den besten Spielern seiner Mannschaft gehörte. Seine Leistung ist aufgrund anhaltender Rückenprobleme nicht hoch genug einzuschätzen. Linksaußen Niklas Ruß hat es als zweiter Mann hinter dem überragenden Gensheimer schwer, auf sich aufmerksam zu machen. Allerdings wird ihm dazu auch nur wenig Gelegenheit gegeben.

Welche Sorgen gibt es abseits des Spielfeldes?

Zwei Heimspiele gegen Hamburg, einmal gastierte der THW Kiel in der SAP Arena – doch selbst gegen die beiden Handball-Schwergewichte wurde die 10 000-Zuschauer-Marke nicht geknackt. Im Schnitt verfolgten lediglich 6195 Fans die Heimspiele der Löwen – das ist enttäuschend. Für den Zuschauerschwund gibt es drei Gründe. Erstens: unglückliche und unterschiedliche Anwurfzeiten. Zweitens: Nachdem die vom Aufsichtsratsboss Jesper Nielsen angekündigten Titel ausblieben, haben die Löwen ein Glaubwürdigkeitsproblem. Drittens: Zu oft verwaltet die Mannschaft den Vorsprung, anstatt die Fans zu begeistern. Eine weitere Baustelle ist das finanzielle Engagement von Nielsen. Der Däne ist zwar vertraglich bis 2015 an den Klub gebunden, beide Seiten streben jedoch eine Trennung an.

Was ist für die Löwen nach der EM-Pause drin?

Im EHF-Cup sind die Badener der klare Favorit, der erste Titel der Vereinsgeschichte sollte gewonnen werden. In der Bundesliga ist die Qualifikation für die Champions League nach wie vor kein Ding der Unmöglichkeit. Allerdings dürfen sich die Löwen keinen Ausrutscher mehr erlauben – und das ist mit Blick auf die Vergangenheit eigentlich nur schwer vorstellbar.

Von Marc Stevermüer