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Höhenflug! Die Tabelle hängt über Storms Bett (Kicker online)

Die „neuen“ Rhein-Neckar Löwen bringen der Liga frischen Wind

Die größere Aufmerksamkeit wurde am Mittwochabend sicher dem Nordderby zwischen Kiel und Flensburg (34:27) zu Teil, doch was sich etwa 100 Kilometer weiter südlich in Hamburg zutrug, war nicht weniger bemerkenswert: Die Rhein-Neckar Löwen wahrten ihre weiße Weste auch beim HSV Hamburg und bauten ihre eindrucksvolle Startbilanz durch den überraschend deutlichen 30:23-Erfolg auf 20:0 Punkte aus.

So richtig hatte die Rhein-Neckar Löwen niemand auf dem Zettel. Nach dem Abgang von Geldgeber Jesper Nielsen musste in Baden die finanzielle Notbremse gezogen werden. Der Etat wurde um zwei Millionen Euro auf 5,5 Millionen abgespeckt, Leistungsträger wie Bielecki, Tkaczyk, Cupic oder Stefansson verkauft, junge Talente verpflichtet. Heraus kam ein Team, das in der Bundesliga bislang die Überraschung der Saison ist. Die Zeit der großen Töne, denen meist keine Taten folgten, ist bei den Löwen zwar vorbei, die des sportlichen Erfolgs aber offenbar noch lange nicht.

Eindrucksvoller Beweis der momentanen Stärke war am Mittwoch das 30:23 in Hamburg, wo die Löwen zuvor noch nie gewonnen hatten. Zehn Spiele, zehn Siege – schwingen sich die Badener nun sogar zum Titel-Konkurrenten des Liga-Dominators Kiel auf? „Wir sind noch weit weg vom THW. Nach der überragenden letzten Saison sind die Kieler haushoher Favorit auf die Meisterschaft“, bremste Nationalspieler Uwe Gensheimer im SID-Interview gleich mal die Erwartungen. Beim Erfolg gegen den HSV, der seine Titelambitionen bei nunmehr 12:8 Punkten früh begraben muss, war der Linksaußen mit zwölf Treffern einmal mehr der überragende Akteur.

Großen Anteil am Höhenflug der Schützlinge von Trainer Gudmundur Gudmundsson haben auch die Neuzugänge. Im Rückraum glänzen der junge Schwede Kim Ekdahl du Rietz (23) und der isländische Routinier Alexander Petersson (32), die gegen den HSV jeweils fünfmal trafen. Zwischen den Pfosten präsentiert sich der dänische Nationaltorhüter Niklas Landin derzeit in bestechender Form. Mit zehn Paraden allein in der ersten Hälfte trieb er die Hamburger in den Wahnsinn.

In Mannheim scheint eine neue Zeitrechnung angebrochen zu sein. „Natürlich tut diese Momentaufnahme gut, nachdem wir drei Jahre nur auf die Fresse bekommen haben“, sagte Manager Thorsten Storm dem SID und gestand offen ein: „Über uns wurde viel gelacht, und dafür haben wir immer wieder selbst die Steilvorlagen gegeben. Wir haben zuletzt vieles verkehrt gemacht.“

In dieser Spielzeit allerdings noch nicht allzu viel. Und inzwischen zollt auch die Konkurrenz den „neuen“ Löwen Respekt. „Wir waren über weite Strecken chancenlos. Das ist in unserer Halle sehr selten der Fall“, sagte HSV-Trainer Martin Schwalb: „Spätestens jetzt sind die Löwen ein absoluter Titelanwärter. Sie haben einen Lauf, den du erst mal stoppen musst.“ Zumal keine Doppelbelastung durch die Champions League an der Löwen-Physis zerrt und die Mannheimer von Verletzungen bislang verschont blieben.

Auch Manager Storm trat jedoch auf die Euphoriebremse: „Wir haben doch noch gar nichts erreicht – sowohl sportlich als auch wirtschaftlich. Das ist keine Tiefstapelei, das ist die Realität.“ Vor allem sei der Kader in der Breite noch nicht derart gut aufgestellt wie der des THW, der auf allen Positionen doppelt stark besetzt sei. Dennoch gesteht Storm: „Ich habe die Tabelle über meinem Bett hängen. Und wir gewinnen, klebt meine Tochter immer neue Punkte dazu.“

Der November hält zwei große Härtetests für die Überraschungs-Überflieger bereit: Am 17. November gastieren die Füchse Berlin in Mannheim, elf Tage später kommt der Rekordmeister aus Kiel. Storm: „Die Bundesliga und auch Europa brauchen frischen Wind. Wenn wir die Mannschaft so zusammenhalten, dann ist vieles möglich.“