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„Ich bin ruhiger und abgezockter geworden“

Uwe Gensheimer vor der Partie in Melsungen im Interview

Am vergangenen Samstag saß Uwe Gensheimer entspannt hinter der Ersatzbank der Rhein-Neckar Löwen. Als die Badener zum Abschluss der Gruppenphase in der Champions League gegen Sarajevo spielten, durfte sich der 23-Jährige ausruhen – für ihn rückte Niklaß Ruß in die Mannschaft. Wie kein anderer Löwe musste der Linksaußen im Februar Gas geben, weil Guðjón Valur Sigurðsson verletzt fehlte. Direkt nach der EM zeigte Gensheimer dabei eine großartige Form, warf Tor um Tor und avancierte zum Leistungsträger. Seit 2003 ist der Rechtshänder bei den Löwen und steigerte sich dabei stetig, so dass er in Österreich sein erstes großes Turnier mit der Nationalmannschaft spielte. Was ihn so nervenstark vom Siebenmeterstrich macht und was er in diesem Jahr noch mit den Löwen vorhat, verrät er im Interview.

Herr Gensheimer, wie haben Sie das Spiel der Löwen gegen Sarajevo aus der für Sie ungewohnten Perspektive hinter der Bank verfolgt?

Es war wirklich etwas ungewöhnlich, hinter der Bank zu sitzen. Aber für mich war es ganz angenehm, denn die zurückliegenden Wochen waren doch sehr hart. Deshalb kam es mir einmal gelegen, durchzuschnaufen.

Wer hatte die Idee für die Pause?

Ola Lindgren kam zu mir und hat mich gefragt, ob ich das Spiel aussetzen möchte. Ich fand die Idee gut und deshalb haben wir uns dann dazu entschlossen. Außerdem konnte Niklaß Ruß so mal vor so einer Kulisse 60 Minuten lang spielen.

Allerdings haben Sie die Möglichkeit versäumt, in der Torschützenliste in der Champions League weiter Boden gut zu machen. Vor dem letzten Spiel der Vorrunde lagen Sie immerhin aussichtsreich auf dem vierten Rang.

Ola Lindgren hat mich darauf angesprochen. Aber das war eher scherzhaft gemeint. Es war ja auch eine Vorsichtsmaßnahme. Es hätte mir ja auch nicht geholfen, wenn ich mich gegen Sarajevo verletzt hätte. Für mich war wichtiger, durchschnaufen zu können, damit ich gegen Melsungen wieder ausgeruht und in bester Form bin.

Nach der EM ging es für die Löwen in drei Wettbewerben zur Sache. Da Guðjón Valur Sigurðsson verletzt fehlte, mussten Sie durchspielen. Wie haben Sie es geschafft, trotz der Belastung eine so konstant starke Leistung zu zeigen?

Ich denke, es ist wichtig, immer konzentriert zu sein. Wenn man mit 100 Prozent bei der Sache ist, kann man das Niveau besser halten. Natürlich ist es manchmal etwas schwer, aber ich bin jetzt ja auch schon ein paar Jahre dabei und habe entsprechend Erfahrung, wie ich damit umgehen muss. Es war für mich keine ganz neue Situation, denn vor der Verpflichtung von „Goggi“ habe ich ja auch schon alleine auf Linksaußen gespielt. Allerdings hatten wir damals noch nicht so viele Spiele, so dass ich froh bin, wenn ich nicht mehr alleine auf meiner Position spielen muss.

Sind Ihre Ansprüche durch die Erfolgserlebnisse gewachsen? Erhoffen Sie sich mehr Spielanteile, wenn Sigurðsson zurückkehrt?

Wir werden wieder ein gutes Gespann bilden, wenn er zurückkommt. Jeder Sportler möchte natürlich so viel spielen, wie irgendwie möglich, aber in der Vergangenheit hat es gut geklappt, wenn wir uns abgewechselt haben. Außerdem weiß ich nicht, wie es wäre, wenn ich längerfristig alleine auf der Position spielen müsste. Ich bin wirklich froh, wenn „Goggi“ wieder fit ist.

Sie befinden sich im Moment in einer außergewöhnlich guten Form und haben sich als dienstältester Akteur bei den Löwen kontinuierlich gesteigert. Wie erklären Sie sich diese insgesamt enorme Steigerung?

Ich bin eben einfach immer erfahrener geworden. Es ist normal, dass man mit 18 Jahren noch nicht so routiniert ist. Jetzt bin ich fünf Jahre weiter und ich bin inzwischen auch etwas ruhiger und abgezockter im Abschluss geworden.

Als Sigurðsson im Sommer 2008 zu den Löwen kam, befürchteten viele, dass Sie es schwer haben würden. Dabei scheint Sie die Konkurrenz angestachelt zu haben, oder?

„Goggi“ ist als Linksaußen weltklasse und ich habe sehr davon profitiert, weil ich mir einiges abschauen konnte. Als ich ganz am Anfang nur wenig Spielzeit bekam, habe ich schon etwas gegrübelt, aber das hat sich dann ja relativiert. Jetzt bin ich sehr froh, mit ihm zusammen ein Paar bilden zu können.

Welche Vorteile bringt die exakte Aufteilung der Spielzeit mit sich?

Bei einer 50-Prozent-Teilung weiß man, dass man sich pro Halbzeit 15 Minuten lang voll auspowern kann. Und da wir beide auf einem Niveau spielen, gibt es beim Wechsel keinen Leistungsabfall, das ist auch für die Mannschaft wichtig. Außerdem ist es wichtig fürs Selbstvertrauen, dass keiner von uns benachteiligt wird.

Es ist auffällig, dass Sie als Siebenmeterschütze zu den Besten der Liga zählen. Woher kommt diese Sicherheit?

Die Sicherheit hole ich mir im Training. Nach jeder Einheit werfe ich noch einige Siebenmeter gegen unsere Torhüter. Und dann ist es wie mit vielen Dingen im Leben. Wenn man es schon 1000 Mal gemacht hat, ist man sicherer als beim ersten Mal.

Eine Zeit lang haben Sie bei den Löwen keine Siebenmeter mehr geworfen, warum sind Sie jetzt wieder Schütze?

Ich weiß auch nicht so genau, warum ich in den vergangenen beiden Spielzeiten keine Siebenmeter geworfen habe. Als Ola Lindgren kam, sagte er, ich solle künftig an den Strich treten und jetzt werfe ich wieder die Siebenmeter.

In Handballerkreisen werden Sie der Mann mit dem Gummiarm oder der Mann ohne Knochen genannt, weil Sie so viele Wurfvarianten drauf haben. Woher kommt diese Vielseitigkeit?

Meinen Wurf habe ich mir schon als Jugendlicher angeeignet. Wenn ich etwas bei den Stars in der Bundesliga sah, habe ich versucht, das nachzumachen. Mit der Zeit bekommt man dann immer mehr Variationen und verfeinert die dann noch. Insgesamt denke ich, dass man Spaß daran haben muss, etwas Neues zu probieren. Ich habe mich nach dem Training oft vor die Wand gestellt und den Dreher geübt, bis ich ihn konnte.

Wer waren die Spieler, an denen Sie sich in Ihrer Jugend orientiert haben und gibt es heute auch noch Kollegen, von denen Sie sich etwas abschauen?

Damals waren Lars Christiansen und Stefan Kretzschmar diejenigen, von denen man sich viel abgucken konnte. Mittlerweile versuche ich eher, meine eigenen Würfe zu verbessern. Wenn man ehrlich ist, gibt es ja nicht mehr so viele neue Würfe, die man erfinden könnte. Jetzt geht es vielmehr darum, in den entscheidenden Momenten die richtigen Entscheidungen zu treffen.

Sie sind seit 2003 bei den Löwen und können die Entwicklung des Klubs deshalb sehr gut beurteilen. Wie weit ist sie aus Ihrer Sicht abgeschlossen?

Wirtschaftlich hat sich vieles sehr positiv entwickelt. Die Geschäftsstelle ist personell angewachsen, es gibt jetzt viele neue Gesellschafter. Das ist alles sehr professionell und nicht mehr damit zu vergleichen, wie hier alles angefangen hat. Die Strukturen im Umfeld stimmen jetzt auf jeden Fall.

Und wie sieht sportlich aus?

Nach dem Aufstieg 2005 wollte der Klub so schnell wie möglich Erfolg haben und hat deshalb gestandene Spieler verpflichtet. Insgesamt gab es eine große Fluktuation. Mittlerweile wird darauf geachtet, dass sich ein Kern bildet. Ich denke, das ist wichtig, denn auch Kiel oder der HSV haben Zeit gebraucht, ehe sie ein Team hatten, dass die Meisterschaft gewinnen kann.

In der Liga wollen die Löwen unbedingt noch den dritten Platz erreichen. Dafür dürfen sie sich aber keinen Ausrutscher mehr erlauben, oder?

Wir dürfen uns wirklich nichts mehr erlauben. Ein Blick auf die Tabelle verdeutlicht, wie wichtig unser Sieg in Großwallstadt war. In Berlin und Lübbecke haben wir unnötig Punkte liegen lassen und deshalb müssen wir jetzt eine Serie hinlegen. Ich bin zuversichtlich, dass wir am Ende wieder auf dem dritten Platz landen.

Im April sind die Löwen zum fünften Mal beim Final Four dabei. Warum reicht es diesmal zum großen Wurf?

In Hamburg geht es beim Final Four immer ganz eng zu. Wir waren schon ganz nah dran und ich glaube, dieses Jahr sind wir reif. Wir sind alle ganz heiß darauf, endlich den ersten Titel zu gewinnen. Aber alle Teams sind sehr gut, Hamburg ist sicher der Favorit, aber wir werden topmotiviert sein.

In der Champions League gibt es auch zum ersten Mal ein Finalwochenende, das in der lanxess arena in Köln ausgetragen wird. Das Ziel der Träume?

Im vergangenen Jahr waren wir im Halbfinale. Es wäre eine tolle Geschichte, wenn wir in Köln dabei sein könnten. Aber es ist noch ein weiter Weg dahin. Zunächst einmal müssen wir das Achtelfinale überstehen und das wird schwierig genug.

Sie sind 23 Jahre alt. Welche Ziele oder Träume haben Sie im sportlichen Bereich?

Ich war jetzt zum ersten Mal bei einem großen Turnier mit der Nationalmannschaft unterwegs. Jetzt möchte ich mich fest im Kader etablieren. Irgendwann ist es mein Ziel, mit der Nationalmannschaft einen großen Titel zu gewinnen. Vielleicht können wir eine ähnlich starke Mannschaft werden, wie die Generation zuvor, die Europa- und Weltmeister wurde. Mit den Löwen möchte ich noch sehr viel erreichen. Es ist mein Wunsch, einen Titel mit dem Klub zu holen. Alle im Umfeld des Vereins warten darauf und ich bin auch heiß, endlich einen Pott zu holen.

Der nächste Gegner heißt Melsungen, gegen den die Löwen schon zwei Mal in dieser Saison gewinnen konnten, einmal in der Liga, einmal im Pokal. Also eine leichte Aufgabe?

Wir sind der Favorit und ich bin zuversichtlich, dass wir die beiden Punkte in Mannheim behalten. Melsungen ist eine Hü-und-Hott-Mannschaft, an manchen Tagen können sie jedem Gegner Probleme bereiten. Deshalb müssen wir vorsichtig sein und dürfen uns keine Konzentrationsschwächen leisten.