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„Ich möchte meiner Spielfreude freien Lauf lassen. Mehr nicht.“

Andy Schmid vor dem Duell gegen TuSEM Essen im Interview

Andy Schmid hat einen Lauf. Der Schweizer ist derzeit in einer herausragenden Form. Vom besten Mittelmann der Liga ist sogar die Rede. Im Interview vor der Bundesliga-Partie gegen TuSEM Essen (Mittwoch, 20.15 Uhr, die Halle öffnet um 19.15 Uhr, es gibt noch Tickets an der Abendkasse) spricht der Spieler mit der Nummer zwei über seine Ziele mit den Löwen und seine eigene Entwicklung.

Andy, bringen wir das Unangenehme schnell hinter uns: Was war mit euch bei der 26:32-Niederlage in Berlin los?

ANDY SCHMID: Sehen wir von der guten Anfangsphase einmal ab, haben wir dort einen Total-Kollaps erlitten und sind voll gegen die Wand gefahren. Aber wir wissen mit dieser Niederlage richtig umzugehen und haben die Qualifikation für die Champions League weiter in der eigenen Hand. Das ist das Gute.

In dieser Saison seid ihr Zuschauer in der Königsklasse, habt aber im EHF-Cup das Final Four erreicht. Wie wichtig ist dieser Erfolg für euch?

SCHMID: Die Freude über die Qualifikation für die Endrunde ist bei uns allen groß. Wir haben diesen Wettbewerb sehr ernst genommen und wollen das Maximum herausholen. Deshalb wäre es eine riesige Enttäuschung gewesen, das Halbfinale zu verpassen und nicht nach Nantes zu fahren. Wir hatten so viele extrem anstrengende Reisen nach Zaporozhye oder Presov und so viele Spiele. Da wäre es extrem bitter gewesen, nicht belohnt zu werden, weil wir einfach unheimlich viel in den EHF-Cup investiert haben.

Was bedeutet die Final-Four-Teilnahme deiner Meinung nach für die Löwen?

SCHMID: Wir haben bislang eine gute Runde gespielt, sicherlich teilweise über unseren Verhältnissen agiert, aber ein Scheitern im Viertelfinale des EHF-Pokals hätte viel kaputt gemacht. Da wäre ein fader Beigeschmack geblieben, ganz egal, wie diese Saison noch ausgehen wird. Insofern war die Qualifikation fürs Final Four mit Blick auf das ganze Saisonbild ein unheimlich wichtiger Schritt.

Der Wettbewerb steht im Schatten der Champions League. Warum ist er trotzdem einigermaßen attraktiv?

SCHMID: Sicherlich kann man den EHF-Cup nicht mit der Champions League vergleichen. Wir würden auch lieber in der Königsklasse dabei sein und wir arbeiten seit dem ersten Tag in dieser Saison hart daran, dass wir in der nächsten Runde wieder in der Champions League spielen. Aber auch im EHF-Pokal gibt es einen Titel. Und bei einem Final Four dabei zu sein, ist immer etwas Besonderes.

Und wenn ihr schon nach Nantes fahrt, wollt ihr doch auch mit einem Pokal zurückkommen, oder?

SCHMID: Ja, absolut. Wie nehmen nicht am Final Four teil, um im Halbfinale auszuscheiden. Aber wir werden uns jetzt nicht darauf versteifen, unbedingt diesen Pokal gewinnen zu müssen. Wir müssen erst einmal unsere Halbfinal-Aufgabe Frisch Auf Göppingen lösen und denken weiterhin von Spiel zu Spiel. Damit sind wir bislang sehr, sehr gut gefahren. Es gibt also keinen Grund, etwas an dieser Denkweise zu verändern.

Wie bewertest du eure Chancen?

SCHMID: Wir haben das Zeug, den Titel zu gewinnen. Das wäre eine Riesensache für unsere Mannschaft und den Klub. Aber nur weil wir ein Sieganwärter sind, muss es nicht zwangsläufig mit dem Titel klappen. Bei einem Final Four ist immer alles möglich, Kleinigkeiten können entscheiden. Deshalb müssen wir vorsichtig sein. In der vergangenen Saison sind wir im Halbfinale ausgeschieden – und zwar gegen Göppingen, obwohl wir favorisiert waren. Jetzt geht es wieder gegen Frisch Auf. Wir sind also gewarnt.

Im Februar und März standet ihr im Drei-Tage-Rhythmus auf der Platte, was in der Hinrunde nur selten der Fall war. Wie hast du diese Zeit erlebt?

SCHMID: Das waren zwei unglaubliche Monate. Die Spiele wurden mehr, die Belastung größer – und der Kader kleiner. Das war sehr anstrengend. Wir mussten viele Auswärtsspiele bestreiten, hatten Pech mit Verletzungen. Wir haben uns ein bisschen durchgemogelt und dabei ist ein wenig die Spielfreude verloren gegangen. Was bei mir jedoch besonders in Erinnerung bleibt, sind die unnötigen Punktverluste. Wir haben in Lübbecke mit sechs Toren geführt und einen Punkt verschenkt. Gegen Hamburg zeigten wir in der ausverkauften SAP Arena ein ganz schwaches Spiel und verloren. Diese Partien sind noch in meinem Kopf, weil sie uns um eine bessere Ausgangsposition für den Endspurt gebracht haben.

Im Kampf um die Champions-League-Plätze sieht es dennoch nicht schlecht aus für euch. Ein paar Punkte fehlen aber noch. Gegen Essen und Minden zählen deshalb nur Siege, oder?

SCHMID: Es steht außer Frage, dass wir diese beiden Spiele gewinnen wollen und müssen. Das ist unser Anspruch, da kann es keine andere Zielsetzung geben. Es ist schön, mal eine Woche Zuhause zu sein. Wir freuen uns riesig auf diesen Heimspiel-Doppelpack.

Die Lobeshymnen für deine Leistungen reißen nicht ab. Vom besten Schmid aller Zeiten, vom besten Mittelmann der Liga ist die Rede. Wie bewertest du das?

SCHMID: Ich genieße das und will selbst gar nicht viel darüber reden. So richtig kann ich es mir ja selbst nicht erklären, warum es so gut läuft. Ich habe bei den Löwen schon andere Zeiten erlebt, in denen ich wenig gespielt habe. Momentan bin ich einfach stolz, dass ich abrufen kann, was ich drauf habe und was die anderen von mir erwarten. Ich möchte weiterhin meiner Spielfreude freien Lauf lassen. Mehr nicht.

Apropos Spielfreude, besonders gut klappt das Zusammenspiel mit Kreisläufer Bjarte Myrhol. Wie erklärst du dir das?

SCHMID: Dahinter steckt einerseits harte Arbeit, andererseits verstehen wir uns auf und neben dem Feld sehr gut. Zwischen Bjartes Freundin Charlotte und meiner Freundin Therese passt es auch, unsere Kinder Rasmus und Lio wachsen ebenso zusammen auf und lernen sich kennen. Manchmal sitzen Bjarte und ich beim Kaffee zusammen und besprechen etwas, was wir im Zusammenspiel noch verbessern können. Es besteht also ein stetiger Austausch. Ich muss aber auch Bjarte ein großes Kompliment aussprechen: Er ist ein riesiger Faktor in unserem Zusammenspiel und macht es mir sehr einfach. Bjarte gehört eben zu den besten Kreisläufern der Welt.

In der Offensive hast du alles drauf. Wie siehst du deine Rolle als Abwehrspieler?

SCHMID (lacht):  Ich könnte eigentlich auch in der Abwehr spielen und bin nicht so schlecht, wie man meinen könnte. Das möchte ich nur mal klarstellen. Die Konstellation in unserem Kader ist aber so, dass es Jungs gibt, die in der Deckung noch besser sind als ich. Wir haben da so einen großen Blonden, der kann nur Abwehr. Insofern passt es ganz gut, dass der dann bei gegnerischem Ballbesitz für mich auf die Platte kommt.

Mit anderen Worten: Weil Oliver Roggisch im Angriff nur bedingt einsetzbar ist und sonst gar nicht zum Zug käme, wenn du auch noch in der Defensive spielen würdest, gibst du dich mit dem Offensivpart zufrieden.

SCHMID (lacht laut): Ganz genau, so ist es!

Hat der Angriff-Abwehr-Wechsel denn auch Vorteile?

SCHMID: Durchaus. Wenn ich auf der Bank sitze und mich ausruhe, bespreche ich mich immer wieder mit unserem Trainer Gudmundur Gudmundsson. Um das Thema abzuschließen: Mein Ziel ist es, ein kompletter Handballer zu sein. Und das ist man nur, wenn man auch in der Abwehr spielt.

Die Fans rieben sich verwundert die Augen, als du beim Auswärtsspiel in Magdeburg plötzlich mit einer modischen Kurzhaarfrisur aufliefst. Was hat Therese denn zu deinem gewagten Friseur-Abenteuer gesagt?

SCHMID (lacht): Ihre Freude war nicht ganz so groß. Ich versuche jetzt, meine inneren Werte ein bisschen mehr hervorzuheben.