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„Ich schließe nichts aus“

Uwe Gensheimer im Interview

Mit dem letzten Heimspiel der laufenden Saison endet am kommenden Sonntag bei den Rhein-Neckar Löwen auch eine Ära. Es ist der letzte Heimauftritt von Kapitän Uwe Gensheimer, der noch zwei Bundesligaspiele für die Löwen absolvieren wird, ehe er in der kommenden Saison zu Paris St. Germain wechselt. Für ein ausführliches Interview hat sich der Rekordtorschütze der Badener aber nochmals Zeit genommen, Gensheimer spricht neben seinen Anfängen bei den Löwen auch über die Wohnungssuche in Paris.

Uwe, wie weit sind deine Umzugspläne nach Paris gediehen?

Uwe Gensheimer: Da ist noch gar nichts geklärt, die Wohnung werden wir uns erst im Juni suchen. Meine Frau Sandra und ich haben aber auch nicht so richtig viel Stress. Wir ziehen erst nach den Olympischen Spielen um und sind dann erst ab Ende August oder Anfang September in Paris. Ohnehin wurde uns gesagt, dass es schwierig sei, jetzt schon eine Wohnung zu finden. Denn wenn ein Eigentümer momentan eine freie Wohnung hätte, ließe er sie niemals bis August oder September leer stehen.

Nach Bekanntgabe deines Wechsels zu Paris Saint-Germain hast du die alten Schulbücher zur Hand genommen, um Französisch zu lernen. Wie läuft’s?

Gensheimer: Ich bin umgestiegen und lerne jetzt mit einer App auf dem Smartphone. Diese spielerische Herangehensweise liegt mir etwas mehr.

Dein zukünftiger Trainer Zvonimir „Noka“ Serdarusic, bekannt aus der Bundesliga beim THW Kiel, hat bei deinem neuen Klub die Amtssprache Deutsch eingeführt. Es spielen schließlich zahlreiche ehemalige Bundesliga-Profis bei PSG. Ein Vorteil?

Gensheimer: Um die französische Sprache zu lernen, ist das wahrscheinlich eher hinderlich. Aber um sportlich so schnell wie möglich Fuß zu fassen, wird es mir natürlich helfen. Dennoch möchte ich recht bald die Sprache beherrschen: Ich will mich ja auch im Alltag behaupten.

Und falls du mal schnell nach Hause willst: Die Zugverbindungen von Mannheim nach Paris sind glänzend.

Gensheimer: Sie sollen sogar noch besser werden, wie ich gehört habe (lacht). Ich weiß jetzt nicht, wie oft ich diese Möglichkeit nutzen werde. Aber wenn mich jemand aus der Heimat besuchen will, ist diese gute Verbindung sicherlich von Vorteil.

Du hast mit deinem Teamkollegen Andy Schmid und Marko Vukelic das Modelabel UANDWOO gegründet. Expandiert ihr nun nach Paris?

Gensheimer: Ich hoffe natürlich, dass wir eine neue Zielgruppe ansprechen können (lacht).

2003 bist du zur SG Kronau/Östringen gegangen, aus denen später die Löwen wurden. Das muss eine intensive Zeit gewesen sein.

Gensheimer: Auf jeden Fall. Ich habe damals nicht nur den Verein, sondern auch die Schule gewechselt. 2003 war Jürgen Hahn Schuldirektor am Mannheimer Ludwig-Frank-Gymnasium. Er war früher selbst Handball-Nationalspieler und hat auch mal die SG Leutershausen trainiert. Gemeinsam mit ihm und meiner Familie habe ich damals die Entscheidung gefällt, die elfte Klasse zu wiederholen.

Warum?

Gensheimer: Wir waren der Meinung, es sei kein Beinbruch, wenn ich mich erst einmal ein dreiviertel Jahr voll auf den Sport konzentriere. Ich habe in Kronau in der A-Jugend, in der Regionalliga-Mannschaft und ab der Winterpause auch in der Bundesliga gespielt. Dazu kamen Jugend und Junioren-Nationalmannschaft. Das war ganz schön viel, weshalb ich kurzzeitig überlegt hatte, eine Ausbildung zum Sport- und Fitnesskaufmann zu machen.

Daraus wurde dann aber nichts.

Gensheimer: Nein – und das ist auch gut so. Im Nachhinein ist es Gold wert, dass ich mein Abitur gemacht habe. Es war nicht immer einfach,aber ich wusste: Wenn ich ein bisschen aufpasse und mir alles richtig einteile, dann klappt das. Mir war irgendwann klar: Wenn du nächste Woche mit der Junioren-Nationalmannschaft weg bist, musst du den Unterrichtsstoff vor- oder nacharbeiten.

Welcher Trainer hat dich geprägt?

Gensheimer: Grundsätzlich gilt ja, dass die Ausbildung in jungen Jahren sehr wichtig ist. Meinem Jugendtrainer Bernhard Weber habe ich deshalb viel zu verdanken. Er hat mich jahrelang beim TV Friedrichsfeld begleitet und mir den Leistungssportgedanken nähergebracht. Er hat mir gezeigt, dass man sich auch einmal aus der Komfortzone herauswagen und sich quälen muss, um etwas zu erreichen. Ansonsten haben mich die Trainer in der Jugend-und Junioren-Nationalmannschaft geprägt, sicherlich auch Rolf Bechtold bei der SG Kronau/Östringen und Iouri Chevtsov, der in der Bundesliga mein erster Trainer war und mir dort das Vertrauen geschenkt hat.

Du bist ein Vorbild für viele Kinder, wer waren deine Vorbilder?

Gensheimer: In meiner Jugend habe ich mir den TBV Lemgo gerne angesehen, damals spielten dort die ganzen deutschen Nationalspieler. Und natürlich hatte ich immer ein Auge auf die Linksaußen: Lars Christiansen, Stefan Kretzschmar – und auch mein jetziger Trainer Nikolaj Jacobsen gehörte damals zu den Weltbesten.

Du suchst auch stets den Dialog mit den Torhütern aus deiner Mannschaft. Wer ist dir besonders in Erinnerung geblieben?

Gensheimer: Ich habe von jedem etwas gelernt, aber die Zeit mit Andrei Lawrow war schon toll. Als Andrei 2004 ein paar Monate bei uns war, bin ich noch ein junger Kerl und er schon ein Star gewesen. Trotzdem war er sich nach dem Training nicht zu schade, sich noch ins Tor zu stellen, wenn ich noch ein paar Würfe ausprobieren wollte.

Welche Erinnerungen hast du an dein erstes Bundesliga-Spiel?

Gensheimer: Das war gegen Flensburg in Eppelheim. Es lief ganz gut, ich habe zwei Tore gemacht.

Nervös gewesen?

Gensheimer: Na klar, auf jeden Fall. Bundesliga ist eben dann doch etwas Besonderes.

Wie wichtig war die Zweite Liga für dich?

Gensheimer: Eine sehr wertvolle Erfahrung. In meinem ersten Jahr in Kronau habe ich hauptsächlich in der Regionalliga gespielt und da eine entscheidende Rolle in der Mannschaft eingenommen, vielleicht habe ich sogar die Regionalliga dominiert. Dann kam die Zweite Liga, dort lief es fast ähnlich. Deswegen war es irgendwie logisch, dass die Bundesliga der nächste Schritt ist und ich dort Fuß fasse. Ich bin davon überzeugt, dass es für jeden jungen Spieler wichtig ist, die Liga, in der er spielt, zu dominieren. Denn dann ist er bereit für den nächsten Entwicklungsschritt.

Was sagst du, wenn die Löwen 2017 DHB-Pokalsieger werden?

Gensheimer: Dann war ich schuld, dass es zuvor neun Mal nicht geklappt hat (lacht). Ich glaube, kein Spieler ist so häufig wie ich zum Final Four gefahren und jedes Mal ohne Pokal zurückgekommen.

Was ist dein Geheimrezept beim Siebenmeter?

Gensheimer: Gute Frage. Auf jeden Fall viel Training, um der Drucksituation im Spiel gewachsen zu sein.

Welchen Trick gibt es denn, in der Schlussminute bei engem Spielstand locker an die Linie zu gehen?

Gensheimer (lacht): Da solltest du mal Anders Eggert fragen (Anmerkung der Redaktion: Der Däne besorgte vor vier Wochen für Flensburg gegen die Löwen mit einem verwandelten Siebenmeter in der Schlusssekunde den Ausgleich. Flensburg gewann das Pokal-Halbfinale danach in der Verlängerung). Es ist wichtig, seinen gewohnten Ablauf vor dem Siebenmeter zu haben und sich nicht ablenken zu lassen. Ich versuche, die 13 000 Zuschauer und den Lärm auszublenden. Meine Konzentration gilt dem Tor und dem gegnerischen Schlussmann. Ich habe früher mal, bevor ich zum Siebenmeter gegangen bin, auf die Anzeigetafel geschaut, um zu wissen, wie es steht und wie lange noch zu spielen ist. Ich habe dann gemerkt, dass ich mir dadurch Konzentration nehme, weil ich angefangen habe zu überlegen, was wäre wenn…

Dein Nachfolger bei den Löwen wird Gudjon Valur Sigurdsson. Eine gute Wahl?

Gensheimer: Auf jeden Fall. Jeder weiß, dass er ein absoluter Vollprofi ist, der seit Jahren zu den weltbesten Linksaußen gehört. Ich bin mir sicher, dass er trotz seiner 36 Jahre noch topfit ist und den Löwen helfen wird.

Wem möchtest du danken?

Gensheimer: Erst einmal allen, die es möglich gemacht haben, dass ich hier in meiner Heimatstadt auf diesem Niveau Handball spielen kann und mein Hobby zum Beruf machen durfte. Ich weiß, dass das keine Selbstverständlichkeit ist. Ansonsten danke ich natürlich meiner Familie, meiner Frau – es gab verdammt viele Leute, die mir geholfen und Rücksicht auf mich genommen haben.

Gegen Hannover steht dein (vorerst) letztes Löwen-Heimspiel an. Es wird emotional. Für dich und für die Fans.

Gensheimer: Vermutlich ja. Ich schließe nichts aus.