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Interview Thorsten Storm: „Bescheidenheit tut uns gut“ (MM)

Mannheim. Die Ziele verfehlt, den Geldgeber verloren: Hinter dem Handball-Bundesligisten Rhein-Neckar Löwen liegt eine verkorkste Saison. Manager Thorsten Storm zieht vor dem letzten Spiel am Samstag (16.30 Uhr/SAP Arena) gegen den Bergischen HC eine Bilanz.

Herr Storm, wie viel Spaß hat Ihnen Ihr Job in den vergangenen zwölf Monaten gemacht?

Thorsten Storm: Es war extrem, aber auch sehr lehrreich.

Vor allem kostete die Trennung von Geldgeber Jesper Nielsen viel Kraft. Ist nun alles geregelt?

Storm: Es ist wichtig, dass wir uns konsequent und vernünftig trennen. Die Details sind geklärt, jetzt geht es um die Umsetzung. Aber eben auch auf beiden Seiten. Wir haben den Etatplan unter schwierigsten Umständen für die nächsten Jahre komplett auf den Kopf gestellt.

Wie viel Geld erwarten Sie noch?

Storm: Wir haben unsere vertraglichen Vereinbarungen immer eingehalten und gehen davon aus, dass dies der andere Vertragspartner auch tut.

In sportlicher Hinsicht war es eine enttäuschende Saison, oder?

Storm: Die Umstände waren schwierig. Wir hatten hier eine komplizierte Situation. Spieler, die mehrjährige Verträge unterschrieben hatten, bekamen mitgeteilt, dass wir sie aus wirtschaftlichen Gründen nicht mehr halten können. Solch ein Paradigmenwechsel hat auch seine Vorboten. Dazu gehört, dass bei einzelnen Spielern im entscheidenden Moment das letzte Quäntchen und der Fokus fehlten. Das ist für den Klub schade, aber irgendwie auch verständlich.

Wie bewerten Sie die Außendarstellung des Vereins?

Storm: Wenn immer wieder riesengroße Ziele öffentlich formuliert werden, dann kann man gar nicht sympathisch rüberkommen. Am Ende war das alles eine Nummer zu groß, dem Team ist keine Zeit gegeben worden, sich zu entwickeln. Gerade für unsere Fans war es zudem sehr schwer, sich mit diesem Weg zu identifizieren.

Wie schwer wiegt die Last, ohne Titel zu sein?

Storm: Mich belastet das nicht. Ich schaue immer nach vorne und sehe die Chancen, die uns die Zukunft allen gemeinsam bietet.

Was beschäftigt Sie denn?

Storm: Für mich ist wichtig, dass wir schnellstmöglich die Vergangenheit bewältigen, damit hier Ruhe einkehrt. Der Etat wurde um knapp zwei Millionen Euro reduziert. Wir müssen durch das nächste Jahr hindurch und brauchen die Hilfe der Region und der Fans.

Kein Titel, keine Champions League, kein Jesper Nielsen: Ist das Projekt Löwen gescheitert?

Storm: Nein, das Projekt ist nicht gescheitert, sondern der schnelle Weg auf der Überholspur zu einem Ziel. Wir hatten ein anderes Konzept, als Jesper Nielsen sagte, er wolle hier den besten Klub der Welt entwickeln. Es kann ein Weg sein, sich ein schnelles Auto zu kaufen und loszufahren. Aber es gibt auch eine andere Möglichkeit: Man entwickelt sich Schritt für Schritt, fährt zusammen in einem Bus und nimmt alle mit. Das dauert länger, aber man kommt trotzdem an. Und zwar gemeinsam. Und genau das tun wir jetzt. Bescheidenheit und Kontinuität tun uns gut.

Das Löwen-Image leidet unter dieser Zeit des Größenwahns.

Storm: Ja, ich weiß. Jetzt liegt es an uns, das zu ändern. Wir haben eine Neid-Situation geschaffen, in der jeder gegen den angeblich besten Klub der Welt gewinnen wollte. Unsere Mannschaft wusste, dass sie das nicht ist. Aber diese Aussage war oft die beste Motivation für jeden Gegner und hat den Jungs auf dem Spielfeld das Leben zusätzlich erschwert. Das ist jetzt vorbei.

Bereuen Sie es, Jesper Nielsen zu den Löwen geholt zu haben?

Storm: Nein. Er war jemand, der sehr viel Geld in den Klub investiert hat und ein großes Ziel vor Augen hatte.

Wie wollen Sie die Fans zurückgewinnen?

Storm: Wir werden jetzt einen bescheideneren und beständigen Weg gehen. Das muss sich nicht darin niederschlagen, dass wir nächste Saison den THW Kiel aus der Halle fegen. Das ist nicht das primäre Ziel. Sondern die Leute sollen wieder Spaß an den Löwen haben, tolle Typen und eine Mannschaft sehen, die zusammenhält. Da darf man dann auch mal ein Spiel verlieren. Glaubwürdigkeit und Begeisterung sind für jeden Fan sehr wichtig. Wir werden andere Löwen sehen!

Ist die Champions League ein realistisches Ziel?

Storm: Wenn Geld Tore wirft, dann nicht. Wir haben einen deutlichen Einschnitt hinter uns. Das hat viel Kraft gekostet, aber am Ende werden wir sehen, ob wir auf dem richtigen Weg sind. Ich glaube fest daran. Es gibt für die Löwen auch keinen anderen Weg. Die neue Saison ist eine große Chance für den Klub – vielleicht aber auch die letzte.

Mit welchem Ziel gehen die Löwen in die neue Saison?

Storm: Wir wollen attraktiven Handball zeigen, unsere Fans begeistern und werden so versuchen, jedes Spiel zu gewinnen. Wichtig ist aber, dass der Verein sich insgesamt weiterentwickelt und Ruhe einkehrt.

Wie bewerten Sie die Arbeit von Trainer Gudmundur Gudmundsson?

Storm: Es ist schwer, vor einer Mannschaft zu stehen, die sich auflöst. Der Trainer ist auch ein Animateur, der die Jungs motiviert. Aber es bringt nichts, vor jedem Spiel eine emotionale Rede zu halten. Es muss auch etwas vom Team selbst kommen. Uns verlassen viele Spieler, da ist das dann etwas schwieriger. Und wenn ich von Beständigkeit und Bescheidenheit rede, dann gehört dazu auch, dass der Trainer die Chance bekommt, unsere neue Philosophie umzusetzen.

Die Löwen gehen also mit Gudmundsson in die neue Saison?

Storm: Ja, wir stehen zu unserem Trainer und die Mannschaft hinter ihm.

Ihr Klub kündigte einen neuen Kurs mit Talenten an. Im Kader der nächsten Saison stehen fast ein Dutzend Nationalspieler . . .

Storm: Fakt ist: Wir schrauben unseren Altersschnitt von 30 auf 25 Jahre herunter. Und man kann jungen Spielern wie Kevin Bitz sicherlich nicht zumuten, sofort das volle Pensum zu bestreiten. Über kurz oder lang werden wir ihn und andere Jungs aber in der Liga sehen. Unser Trainer hat ganz klar den Auftrag, die jungen Leute einzubauen. Das passiert aber nicht im Laufe eines Jahres, denn der Coach hat auch eine Fürsorgepflicht gegenüber den Akteuren. Es wird dauern, diese Talente zu integrieren, weshalb wir uns zusätzlich sinnvoll verstärkt haben. Niklas Landin und Kim Ekdahl du Rietz sind zwar Nationalspieler, aber auch erst Anfang 20 und zudem neu in der Bundesliga. Beide sind für mich keine gestandenen Profis, sondern Riesen-Talente. Spieler mit Potenzial für die Weltklasse.

Von Marc Stevermüer