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Jacobsen: Nach Hamburg waren wir kaputt

Löwen-Coach Nikolaj Jacobsen schaut im Interview auf die Saison 2017/18 zurück

In seiner vierten Saison bei den Rhein-Neckar Löwen hat er die Titel vier und fünf eingefahren: Mit Nikolaj Jacobsen feierten die Gelben zum zweiten Mal den Gewinn des Supercups und zum ersten Mal im elften Anlauf den DHB-Pokal-Sieg. Im Interview spricht der 46-Jährige über das am Ende missglückte Meisterschaftsrennen, über den gigantischen Druck rund um das Final-Four-Pokalturnier und die positiven Überraschungen der abgelaufenen Saison. 

Nikolaj, die Saison ist vorbei. Wie ist Dein ganz persönliches Gefühl? War es eine gute Saison, war es eine schlechte?

Nikolaj Jacobsen: Bis auf drei Spiele am Ende ist die Saison besser verlaufen, als ich noch vor dem Start gedacht hatte. Wir haben den Supercup gewonnen, den Pokal, und wir waren bis kurz vor Schluss auf einem sehr guten Weg in der Meisterschaft. Und das alles in einer Saison, in der wir vom Kader her sehr knapp besetzt waren. Ehrlich gesagt, hatte ich vor der Spielzeit Angst, dass wir nicht einmal unter die ersten Drei kommen.

Vor der Saison hast Du gesagt, man könne wahrscheinlich sogar mit zwölf Minuspunkten Meister werden – und hast damit die Ausgeglichenheit an der Spitze der Liga gemeint. Nun hat sich das bewahrheitet, leider sind es die Flensburger geworden, die mit genau diesen zwölf Verlustpunkten den Titel gewinnen…

Jacobsen: Es war tatsächlich keine Übermannschaft dabei. Alle haben vor allem auswärts viele Punkte liegenlassen, wir, Flensburg, Kiel sowieso. Andere Mannschaften haben sich verstärkt und verstärken sich weiter. Da ist Hannover, da ist vor allem auch Melsungen. Die MT hat wahrscheinlich den zweithöchsten Etat nach Kiel. An der Spitze der Bundesliga ist es definitiv ausgeglichener, als es noch vor ein paar Jahren der Fall war.

Du hast die drei verkorksten Spiele erwähnt. Wo lag da für Dich der Knackpunkt: im Berlin-Spiel, in Erlangen, zuhause gegen Melsungen – oder gar beim Spiel gegen Magdeburg, wo ihr direkt nach dem Pokal noch mal richtig Kräfte gelassen habt?

Jacobsen: Das kann ich gar nicht sagen. Eins müssen wir lernen: Vielleicht haben wir es nicht geschafft, richtig mit diesem extremen Druck rund um das Final Four in Hamburg umzugehen. Dieses Wochenende war sehr hart. Und in Kombination mit dem Spielplan muss man sehen, dass wir danach noch sechs Spiele hatten, die Konkurrenz zum Beispiel in Form von Flensburg nur vier. Das war sicher auch kein Vorteil für uns.

Zumal ihr ja insgesamt mit die größte Belastung hattet mit drei Wettbewerben. Da hat man schon bei allen Spielern gemerkt, wie die Kräfte zur Neige gehen…

Jacobsen: Dazu kamen verschiedene Verletzungen, in erster Linie von Gedeón Guardiola, Kristian Bliznac und Momir Rnic. Als sich dann noch Kim Ekdahl Du Rietz verletzt hat und nur Abwehr spielen konnte, hat uns das zusätzlich geschwächt.

Schauen wir noch einmal allgemein auf die gesamte Saison zurück: Was hat Dir gut gefallen?

Jacobsen: Das ist schwer zu sagen. Auf jeden Fall haben unsere beiden Torhüter eine sehr, sehr gute Saison gespielt. Ihre Leistung war über die komplette Spielzeit sehr stabil. Dann hat die ganze Mannschaft einen großen Willen gezeigt. Es war eine harte Saison. Wie wir damit umgegangen sind, hat mich sehr gefreut. Was außerdem positiv war: Wir haben, wie ich finde, über weite Strecken einen sehr guten Handball gespielt.

Tatsächlich habe viele, darunter die „Sky“-Experten, immer wieder von dem Zusammenspiel, von den technischen Raffinessen geschwärmt…

Jacobsen: Wir haben ja auch schon vorher gezeigt, dass wir schönen Handball spielen können. Dieses Jahr waren wir nur leider nicht breit genug aufgestellt – und das hat uns am Ende vielleicht die entscheidenden Punkte in der Meisterschaft gekostet.

Wie sieht Deine Saison-Analyse aus?

Jacobsen: Wir werden natürlich schauen, was gut gelaufen ist und was nicht. Klar ist: Wir stehen vor einem Umbruch. Im Sommer kommen viele neue Spieler. Wir bekommen einen neuen Innenblock, neue Kreisläufer, einen neuen Halblinken und einen neuen Halbrechten. Allein dieser Umbruch wird schon viel Zeit beanspruchen.

Was hat Dich in dieser Runde am meisten Kraft gekostet?

Jacobsen: Das war ganz klar Hamburg. Keine Mannschaft ist jemals dahingefahren und hatte einen so großen Druck wie wir. Es war der elfte Anlauf, zudem waren Flensburg und Kiel nicht qualifiziert. Wir wurden von allen als Favorit gesehen. Ich bin sehr stolz darauf, dass das die Jungs so gut hingekriegt und diesen unglaublichen Willen gezeigt haben. Die Erleichterung danach war riesig – aber auch ganz schwer für den Kopf. Wir waren danach einfach kaputt.

Gibt es Spieler, die Dich besonders positiv überrascht haben in ihrer Entwicklung?

Jacobsen: Da gibt es mehrere. Unsere Torhüter waren stark. Filip Taleski wird immer besser. Er hat in der Abwehr einen großen Schritt nach vorne gemacht. Jetzt müssen wir sehen, dass ihm das auch in der Offensive gelingt, er dort mehr Spielanteile bekommt. In der Abwehr soll er uns vor allem auf den Halbpositionen weiterhelfen, weil wir ja jetzt mit Ilija Abutovic und Jesper Nielsen zwei starke Innenblock-Spieler bekommen und dort dann mehr wechseln können. Außerdem muss ich Hendrik Pekeler ein großes Lob aussprechen: Er hat nicht viele Pausen gekriegt und eine tolle Saison gespielt. Mads Mensah hat auch fast die ganze Saison durchgespielt, vorne wie hinten, und hat das sehr gut gemacht. Dasselbe gilt für Andy Schmid. Gudjon Valur Sigurdsson, Patrick Groetzki und Alex Petersson haben mit ihrer Erfahrung immer wieder gezeigt, wie viel sie für diese Mannschaft bedeuten.

Noch ein Blick auf die Konkurrenz: Gibt es eine Mannschaft, die Dich am meisten überrascht hat in dieser Saison?

Jacobsen: Hannover hat eine tolle Saison gespielt. Sie standen im Pokalfinale und haben in der Liga lange oben mitgehalten, damit war nicht unbedingt zu rechnen.

Ist das auch die Mannschaft, mit der für die nächste Spielzeit zu rechnen sein wird?

Jacobsen: Ja, auf jeden Fall. Wir wissen alle, dass Hannover die Spieler dazu hat. Ich denke, sie werden wieder unter den besten Sechs mitmischen. Auch Melsungen dürfte sich weiter steigern. Ich erwarte, dass die Breite an der Spitze der Liga noch größer wird. Ich erwarte eine interessante Saison.