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Kaltstart nach der Kurskorrektur (MM)

Mannheim. Nein, übersehen kann dieses schmucke schwarz-weiße Gebäude eigentlich keiner. Es steht in unmittelbarer Nähe zur Trainingshalle der Rhein-Neckar Löwen. Notiz genommen hatte vom modernen Handball-Förderzentrum des Bundesligisten in Kronau zuletzt aber eigentlich kaum jemand. Auch die Löwen selbst nicht. Der Blick der Klubführung endete Jahr für Jahr 100 Meter vorher, am Parkplatz der Halle, wo die teuren Geländewagen und Limousinen der hoch bezahlten Stars standen, die sich die Klinke nur so in die Hand gaben. Geld spielte keine Rolle – und der eigene Nachwuchs auch nicht.

Doch die Zeiten haben sich geändert. Mäzen Jesper Nielsen hat schon seit längerer Zeit keine Lust mehr und auch nicht mehr die finanziellen Mittel. Der einst großspurig ausgerufene Angriff auf den THW Kiel ist beendet, bevor er – zu einem großen Teil durch unnötige und hausgemachte Probleme – überhaupt so richtig in Schwung kam. Und nun? Ganz einfach: Die Badener müssen sich neu definieren, eine andere Strategie verfolgen, ein durchdachtes Konzept vorlegen – und vor allem vernünftig wirtschaften, die Ausgaben minimieren.

Kein Wunder, dass der Blick von Manager Thorsten Storm und Trainer Gudmundur Gudmundsson seit einigen Monaten wieder etwas weiter gerichtet wird, wenn sie auf die Straße „Am Sportzentrum“ einbiegen. Sie schauen dorthin, wo ab sofort die Zukunft der Löwen nicht nur liegen soll, sondern liegen muss: Im hochmodernen Förderzentrum, das 2008 fertiggestellt wurde.

„Das ist ein Paradigmenwechsel. Wir schrauben unseren Altersschnitt von 30 auf 25 Jahre herunter“, berichtet Storm, der 2007 bei den Badenern angetreten war, um Meister zu werden. Dieser Wunsch erfüllte sich nicht, trotzdem glaubt er an die Löwen. „Das Projekt ist nicht gescheitert, sondern nur der schnelle Weg auf der Überholspur zu einem Ziel. Wir hatten ein anderes Konzept, als Jesper Nielsen sagte, er wolle hier den besten Klub der Welt entwickeln. Es kann ein Weg sein, sich ein schnelles Auto zu kaufen und loszufahren“, sagt der Manager und holt einmal tief Luft: „Aber es gibt auch eine andere Möglichkeit: Man entwickelt sich Schritt für Schritt, fährt zusammen in einem Bus und nimmt alle mit. Das dauert länger, aber man kommt trotzdem an. Und zwar gemeinsam. Und genau das tun wir jetzt. Bescheidenheit und Kontinuität tun uns gut.“

Idol Uwe Gensheimer

Zu diesem längeren Weg gehört der Einbau von Talenten, die über mehrere Jahre selbst ausgebildet wurden. So wie es einst bei Idol Uwe Gensheimer war, der von den 14- und 15-Jährigen im Förderzentrum verehrt wird. Alle wollen so werden wie er – und jetzt bekommen sie auch wieder eine realistische Chance. Das wurde schon gegen Ende der vergangenen Saison deutlich, als Trainer Gudmundsson den Worten Taten folgen ließ. Kevin Bitz (19) und U-18-EM-Held Jonas Maier (18) kamen da zum Einsatz, die Verpflichtungen von A-Jugend-Bundesliga-Torschützenkönig Marius Steinhauser (HG Oftersheim/Schwetzingen) und Nils Kretschmer (VfL Bad Schwartau) zeigt in dieselbe Richtung. „Ich stehe zu 100 Prozent hinter dieser neuen Ausrichtung“, unterstreicht Gudmundsson, der mit seiner Mannschaft nach einer schwierigen Vorbereitung am Sonntag (15.30 Uhr) bei Frisch Auf Göppingen gleich einen Kaltstart hinlegen muss.

Nur mit Talenten indes wollen die Löwen nicht in der Bundesliga bestehen. Weil sie wissen, dass dies nicht möglich ist – zumal ein Platz unter den Top-Sechs angestrebt wird. „Man kann jungen Spielern wie Kevin Bitz sicherlich nicht zumuten, sofort das volle Pensum zu bestreiten. Über kurz oder lang werden wir ihn und andere Jungs aber in der Liga sehen. Unser Trainer hat ganz klar den Auftrag, die jungen Leute einzubauen. Das passiert aber nicht im Laufe eines Jahres, denn der Coach hat auch eine Fürsorgepflicht gegenüber den Akteuren“, sagt Storm, der stolz darauf ist, die Mannschaft mit Niklas Landin, Alexander Petersson, Matthias Gerlich, Kim Ekdahl du Rietz sowie den Zwillingen Isaías und Gedeón Guardiola zusätzlich „sinnvoll verstärkt“ zu haben.

Die Fans nehmen den neuen Kurs bislang gut an. Der Dauerkarten-Verkauf ist trotz bescheidener Heimspiel-Leistungen in der vergangenen Saison und dem Abschied vieler Stars wider Erwarten nicht eingebrochen. Etwas mehr als 3000 Tickets wurden bislang abgesetzt. Tendenz steigend. Die Löwen bieten offenbar das, was die Anhänger wollen. Jungs aus der Region, Jungs zum Anfassen – Jungs aus dem schwarz-weißen Gebäude neben der Trainingshalle.

Von Marc Stevermüer