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„Keiner marschiert durch“ (MM)

Der Flensburger Holger Glandorf spricht über das heutige Spiel bei den Löwen, das Titelrennen und die extreme Belastung

MANNHEIM. Sein Wurf ist wie eine Waffe. Schnell und präzise hämmert Handball-Nationalspieler Holger Glandorf den Ball ins Netz. Heute (20.15 Uhr/SAP Arena/Livestream bei Sport1.de) tritt der Linkshänder mit der SG Flensburg-Handewitt im Bundesliga-Spitzenspiel bei den Rhein-Neckar Löwen an. Gestern nahm er sich Zeit für ein Interview.

Holger Glandorf: Warum?

Weil er in sechs Wochen mit den Löwen im DHB-Pokal bei Ihrer großen Liebe, dem Zweitligisten HSG Nordhorn, antreten darf.

Glandorf (lacht): Nein, neidisch bin ich nicht. Ich durfte dort ja in der vergangenen Saison schon mit Flensburg im Pokal spielen. Bjarte und ich hatten eine tolle Zeit bei der HSG und er kann sich sicher sein, dass die Fans ihn sehr freundlich empfangen werden. Das wird eine Super-Sache für ihn, ganz bestimmt.

Woran erinnern Sie sich besonders gern, wenn sie an Nordhorn und Bjarte Myrhol denken?

Glandorf: Der Gewinn des EHF-Pokals 2008 war natürlich ein toller Erfolg. Aber noch lieber denke ich an den tollen Zusammenhalt in der Mannschaft zurück. Jeder war für den anderen da. Das hat richtig Spaß gemacht – und deswegen waren wir auch so erfolgreich.

Die HSG spielt mittlerweile in der Zweiten Liga, Sie mit Flensburg in der Champions League. Was ist das Erfolgsgeheimnis der SG?

Glandorf: Es ist fast so wie damals in Nordhorn. Wir sind eine Einheit, verstehen uns untereinander einfach richtig gut. Deswegen musste ich auch nicht lange überlegen, als mir eine Vertragsverlängerung bis 2017 angeboten wurde.

Flensburg wurde 2012 und 2013 in der Liga und im Pokal jeweils Zweiter hinter Kiel. Jetzt hat die SG sich noch einmal verstärkt, während der THW einen Umbruch bewerkstelligen muss. Zählt in dieser Saison nur der Meistertitel?

Glandorf: Es ist zu früh, darüber zu reden, zumal viele Faktoren eine Saison beeinflussen können. In der vergangenen Runde hatten wir beispielsweise immenses Verletzungspech. Ich finde es deshalb nicht richtig, uns zum Meisterschaftsfavoriten zu machen.

Aber Kiel ist nicht mehr ganz so weit weg von der SG, oder?

Glandorf: Wir sind einen Schritt näher gekommen. Das stimmt. Aber Kiel hat sich auch hervorragend verstärkt – und der THW-Sieg am Samstag in Hamburg hat gezeigt, wie weit dort der Integrationsprozess der Neuzugänge schon fortgeschritten ist. Deshalb steht Kiel auch ganz oben auf dem Zettel, wenn es um das Thema Meisterschaft geht.

Flensburg hat den THW im Supercup geschlagen, kam aber nur schleppend in die Saison und verlor zuletzt beim SC Magdeburg. Belastet der Erwartungsdruck das Team?

Glandorf: Nein, für uns hat sich nichts geändert. Wir schauen einfach nur von Spiel zu Spiel. In Magdeburg haben wir trotz der Niederlage einen Schritt nach vorn gemacht.

Bei einer Niederlage gegen die Löwen droht die SG den Anschluss zu verlieren. Muss Flensburg heute gewinnen?

Glandorf: Wir wollen, müssen aber nicht. In Mannheim zu verlieren, wäre jetzt keine Schande. Wenn wir unser Potenzial abrufen, können wir aber die zwei Punkte holen. Letztendlich ist die gesamte Liga mit ihrer Leistungsstärke dichter zusammengerückt. In dieser Saison wird es noch viele Überraschungen geben, da bin ich mir sicher. Keine Mannschaft wird einfach so zum Meistertitel durchmarschieren.

Zuletzt wurden Play-off-Pläne für die Bundesliga diskutiert, dann aber abgelehnt. Was sagen Sie zu dieser Idee?

Glandorf: Ich verstehe, dass Klubs, die nicht international vertreten sind, gerne mehr Partien absolvieren würden. Als Spieler einer Topmannschaft, der in der Champions League und in der Nationalmannschaft am Ball ist, kann ich aber nur sagen, dass die Belastungsgrenze schon erreicht ist. Wir hatten vergangene Saison 54 Begegnungen mit Flensburg, dazu kamen die Länderspiele. Grundsätzlich sind Play-offs keine schlechte Idee, um die Attraktivität zu steigern. Aber um diese zusätzlichen Partien zu ermöglichen, müsste auch irgendwo anders der Spielplan reduziert werden.

Zum Beispiel?

Glandorf: In der Champions League könnten sicherlich ein paar Spiele eingespart werden. Letztendlich wird es aber nur zu Veränderungen kommen, wenn sich die nationalen und internationalen Verbände sowie die Ligen alle mal an einen Tisch setzen.

Die deutsche Nationalmannschaft hat nach den Olympischen Spielen auch die Europameisterschaft verpasst. Welchen Stellwert hat Handball in Deutschland?

Glandorf: Keine Frage, die Situation ist momentan nicht gerade einfach – und trotzdem ist ausreichend Potenzial da. Wir müssen jetzt die richtigen Lehren ziehen. Das haben die Fußballer vor einigen Jahren geschafft – und das sollte uns auch gelingen. Wir haben gute Talente, sie müssen nur besser in die Bundesliga-Mannschaften integriert werden.

Von Marc Stevermüer