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Leistung auf Bestellung (MM)

Er wurde gebraucht – und war zur Stelle. Wie eigentlich immer, wenn Stefan Sigurmannsson das Feld betritt. Als zweiter Mann hinter Uwe Gensheimer hat der Isländer keinen leichten Stand bei den Rhein-Neckar Löwen, doch in Emsdetten vertrat er den verletzten Kapitän wieder einmal glänzend. Im Champions-League-Spiel gegen Vive Kielce will Sigurmannsson morgen (19 Uhr/SAP Arena) erneut für Furore sorgen.

Das Champions-League-Hinspiel bei KS Vive Kielce, es war nicht der Tag des Uwe Gensheimer. Von den Siebenmetern einmal abgesehen, hatte ihm ein ehemaliger Mannschaftskollege den Zahn gezogen. Torwart Slawomir Szmal, von 2005 bis 2011 ebenfalls für die Rhein-Neckar Löwen aktiv, war immer wieder zur Stelle. Der polnische Hexer zwischen den Pfosten parierte Gensheimers Versuche von der Außenposition und auch beim Gegenstoß. Endstation Szmal. Nicht immer, aber oft.

Wer den Löwen-Kapitän kennt, der weiß, dass er es morgen (19 Uhr/SAP Arena) im Achtelfinal-Rückspiel besser machen will. Doch ein Muskelfaserriss lässt seinen Einsatz wohl nicht zu, beim EHF-Pokalsieger muss Stefan Sigurmannsson auf dem linken Flügel für die nötigen Tore sorgen. Dass der Isländer das kann, hat er in der Vergangenheit mehrfach bewiesen. Der Rechtshänder ist keine klassische Nummer zwei, sondern eine echte Alternative zu Gensheimer. Zuletzt zeigte er das am Mittwoch beim 44:32-Kantersieg in Emsdetten. Sigurmannsson wurde gebraucht – und war zur Stelle. Er brachte Leistung auf Bestellung. Mal traf die Nummer 11 der Löwen konsequent und kompromisslos, mal elegant und zirkusreif. Der unglaublich konzentrierte Rechtshänder nutzte seine ersten acht Chancen, traf sogar aus dem Rückraum – und scheiterte erst bei seinem neunten Versuch in der 58. Minute zum ersten Mal. Was er nicht auf sich sitzenlassen wollte. Sekunden später gelang dem Linksaußen sein neunter Streich.

„Ich bin zufrieden mit mir“, meinte der 23-Jährige mit der für ihn typischen Zurückhaltung. Auf dem Feld, da gibt er Vollgas. Und auch für einen Scherz ist er jederzeit zu haben. Forsche Töne sind ihm allerdings nicht zu entlocken, erst recht keine lauten Forderungen nach mehr Einsatzzeit. „Ich mache mir nicht so viele Gedanken, wenn ich nicht spiele. Vielmehr versuche ich, mich immer weiter zu verbessern. Wenn ich draußen sitze, bin ich auch voll konzentriert und darauf vorbereitet, sofort da zu sein, wenn ich reinkomme.“

Keine Frage: Auf den 1,96-Meter-Mann ist Verlass. Das wissen die Löwen schon seit Sigurmannssons erstem Tag bei den Gelbhemden. Als er im Dezember 2012 für den schwer verletzten Uwe Gensheimer kurzfristig verpflichtet wurde, schwamm sich der Linksaußen in der Bundesliga ganz schnell frei. „Ein echter Glücksgriff“, freute sich Manager Thorsten Storm schon nach wenigen Wochen, während der ehrgeizige Mann aus Hafnarfjördur kein Geheimnis daraus machte, dass mit dem Wechsel nach Deutschland ein Traum für ihn in Erfüllung gegangen sei.

„Wenn man einen jungen Isländer verpflichtet, weiß man, dass man einen gut ausgebildeten Spieler bekommt. Es liegt an den Trainern, daraus etwas zu machen“, sagte Löwen-Assistenzcoach Tomas Svensson einmal. Außer Frage steht: Er und Cheftrainer Gudmundur Gudmundsson haben viel aus dem zielstrebigen Sigurmannsson herausgeholt. Ihn gefordert und gefördert. Längst verfügt der Rechtshänder dank harter Arbeit und Sonderschichten über ein größeres Wurfrepertoire. Und das will er gegen Kielce zeigen.

In Emsdetten holte er sich für dieses gleichermaßen schwere wie brisante Spiel auf jeden Fall das nötige Selbstvertrauen. „Es ist nicht ganz einfach, zwischen zwei wichtigen Champions-League-Duellen noch ein Auswärtsspiel beim Tabellenletzten der Bundesliga zu bestreiten. Wir haben das aber gut gemacht“, meinte Sigurmannsson, der das Beste aus der Reise ins Münsterland machte und sich noch mehr Sicherheit holte.

Gegen Kielce werden die Löwen seine Kaltschnäuzigkeit und die gleiche Konsequenz im Torabschluss wie am Mittwoch brauchen, um morgen den Vier-Tore-Rückstand aufzuholen. Das Polster der Polen hätte kleiner sein können, wenn Szmal nicht so fantastisch gehalten hätte. „Wir haben zu viele Chancen ausgelassen. Das müssen wir besser machen“, weiß Sigurmannsson, worauf es in erster Linie ankommen wird.

Die Zwischenfälle nach dem Hinspiel sind ihm natürlich auch nicht verborgen geblieben. Kielces Trainer Talant Duschebajew beschimpfte Löwen-Coach Gudmundsson auf der Pressekonferenz und beschuldigte ihn einer obszönen Geste, der Trainer des EHF-Pokalsiegers wiederum behauptete, von seinem Kollegen geschlagen worden zu sein.

„Was da passiert ist, spornt uns zusätzlich an. Das macht uns noch heißer. Es wird ein hartes Duell, für beide Teams geht es um sehr viel. Ich liebe diese Spiele“, schwärmt Sigurmannsson schon vor dem Anwurf vom mit Spannung erwarteten Duell zwischen Kielce und den Badenern, die nach dem Champions-League-Kracher erst wieder beim Final Four um den DHB-Pokal am 12./13. April gefordert werden. Zuvor stehen Länderspiele an. „Auch wenn die meisten Jungs bei ihren Nationalmannschaften sein werden, glaube ich nicht, dass wir durch diese Pause aus dem Rhythmus kommen“, ist sich der Isländer sicher: „Wir haben ein Super-Team, sind voll fokussiert und lassen uns nicht von unserem Weg abbringen. Jetzt liegt die schönste Zeit der Saison vor uns. Wir haben viele Monate hart gearbeitet, nun haben wir in drei Wettbewerben die Chance, uns dafür zu belohnen.“

Von Marc Stevermüer