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Löwen als Meister der Herzen (BNN)

Nach Finale furioso verhinderter Handball-Titelträger frenetisch gefeiert

Gummersbach/Mannheim. Am Sonntagnachmittag trockneten dann auch die letzten Tränen. Als Spieler und Trainer der so kurz vor dem Ziel noch abgefangenen Rhein-Neckar Löwen in der Mannheimer SAP-Arena zum Abschiedsspiel für Oliver Roggisch eintrafen, wurden die tragischen Helden von den 13 000 Zuschauern frenetisch gefeiert. „Wir grüßen unsere Meister der Herzen“, stand auf einem Plakat der Fans, die den Kehraus des Abwehrchefs zur gemeinsamen therapeutischen Sitzung statt der erhofften Meisterparty nutzten. Das deutsche Nationalteam gewann das Spaß-Spielchen gegen die Löwen mit 39:34 (24:22). In der 60. Minute sah Roggisch passend zur Karriere die Rote Karte, nachdem er sich zuvor als sechsfacher Torschütze und gar als Torhüter ausgezeichnet hatte.

Keine 24 Stunden zuvor war Roggisch in seinem letzten Bundesligaspiel noch als Aufbauhelfer gefordert. Wie paralysiert reagierten seine Kollegen, als sie die Nachricht vom 37:23(17:8)-Sieg des THW Kiel gegen die Füchse Berlin erreichte. Uwe Gensheimer stützte sich auf allen Vieren und starrte in ein imaginäres Loch, ehe Roggisch kam und ihn aufrichtete. „Ich bin einfach total leer und am Boden zerstört“, gab der trotz sagenhafter 15 Treffer todunglückliche Anführer der Löwen zu.

Besonders mitgenommen war Kim Ekdahl du Rietz, der wie ein Häuflein Elend auf der Platte kauerte und nur noch flennte. Roggisch strich dem Schweden mit der harten Schale und dem weichen Kern übers Haar, dann schnappte er sich ein Handtuch und warf es dem achtfachen Torschützen über den Kopf. Du Rietz verharrte noch eine gefühlte Ewigkeit in dieser Position, bis ihn Thorsten Storm in die Arme nahm. Dabei hätte der Geschäftsführer selbst Trost brauchen können. „Ich hatte fest daran geglaubt, dass wir es schaffen“, sagte Storm mit einem Kloß im Hals.

Er lobte den VfL für dessen Gegenwehr und stellte fest: „Wir haben am Ende drei technische Fehler zu viel gemacht und Gummersbach hat voll dagegengehalten. Das hat uns am Ende die zwei Tore gekostet.“ Bei dann gleicher Tordifferenz hätte es zwei Entscheidungsspiele zwischen Kiel und den Löwen gegeben, deren Felle in den letzten fünf Minuten davonschwammen. Bei Halbzeit hatte Kiel das Sieben-Tore-Defizit auf die Löwen exakt wettgemacht, die Badener lagen dann nach einem 5:0-Lauf unmittelbar nach Wiederbeginn im Fernvergleich wieder vorn. Doch während Kiel in den Schlussminuten den Vorsprung immer mehr ausbaute, agierten die Badener hektisch und kassierten nach Ballverlusten mehrere Treffer. „Uns hat der kühle Kopf ein bisschen gefehlt“, gab Gensheimer zu.

Richtig bedient war Trainer Gudmundur Gudmundsson, den Club und Fans am Sonntag ebenso herzlich verabschiedeten wie Torwart Goran Stojanovic, Nikola Manojlovic, Isaias Guardiola, Zarko Sesum, Sergej Gorbok, Rajko Prodanovic und Assistenztrainer Tomas Svensson. Der scheidende Chefcoach formulierte in deutlichen Worten sein Unverständnis über die Tordifferenzregel bei Punktegleichstand: „Dass die Deutsche Meisterschaft mit dem Torverhältnis entschieden wird, ist der größte Schwachsinn überhaupt.“ Wie in anderen Wettbewerben sei der direkte Vergleich sinnvoller.

In ihren Duellen hatten beide Teams ihre Heimspiele mit drei Toren Vorsprung gewonnen: Kiel mit 31:28, die Löwen mit 29:26. Damit wären die Badener aufgrund der mehr erzielten Auswärtstore Meister geworden. Die Löwen hätten also von der Regelung profitiert, als sie nicht zählte, und waren Leidtragende, als sie galt: Im Viertelfinale der Champions League schieden sie gegen Barcelona wegen der auswärts weniger erzielten Tore aus. Das Pech blieb dem Club, der 2013 den EHF-Pokal als bislang einzigen Titel gewann, also treu. Aber er hat viele Sympathien gewonnen.

Von Reinhard Sogl