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Löwen endlich ohne Stress (RNZ)

Heidelberg. Zeit, das ist etwas, das man als Profisportler eher selten hat. Der Terminkalender ist rappelvoll. Auch oder vielleicht gerade im Handball, ist das so. Hier jagt ein Spiel das nächste. Vor allem dann, wenn man ganz oben in der Tabelle mitmischt. An der Spitze, bei den Besten. Die Badener tun das seit Jahren, legen in dieser Saison allerdings eine Zwangspause ein: Die Champions League ist heuer eine löwenfreie Zone. Oliver Roggisch und Co. scheiterten in der Qualifikation.

Der Vorteil: nun hat man mal Zeit. So wie in der letzten Woche. Während die Konkurrenz den Auftakt der Königsklasse zelebrierte, hatten die Gelben frei. Spielfrei wohlgemerkt! Denn geschuftet wurde trotzdem, an Grundlagen gebastelt. Gudmundur Gudmundsson, der Anführer des Rudels, nennt es „Feintuning“. Der Trainer: „Wir haben viel gearbeitet. Zunächst in kleineren Gruppen, später in größeren. Wir wissen nämlich, was zu verbessern ist!“ Aha, was denn? „Im Überzahlspiel haben wir sicher noch Steigerungspotenzial, aber auch das Unterzahlspiel, das zwar schon gut ist, ist noch ausbaufähig“, erklärt Gudmi und schmunzelt: „Verbessern kann man sich ohnehin immer – egal wo.“

Manchmal ist es jedoch auch wichtig, einfach mal die Seele baumeln zu lassen, durchzuschnaufen, Dinge tun zu, die man sonst eher selten tut. Und genau das ging am Samstag und am Sonntag mal. Die Löwen ließen den Handball für 48 Stunden ruhen. „Diese Pause und das damit verbundene Abschalten hat sich die Mannschaft durch den Auswärtssieg in Lemgo verdient. Er war quasi die Prämie dafür“, verrät Manager Thorsten Storm.

Familie, Freundin, Hobbys – ein schönes Kontrastprogramm. Bei dem Wetter sowieso. Doch es bestand auch die Möglichkeit, sich zu quälen: Am Sonntag war auf Eurosport Champions-League-Tag: Kiel kam und auch die Füchse aus Berlin spielten. Manchem stolzen Löwen könnten diese Bilder wehgetan haben. Gudmundsson nicht. Er schaute ganz bewusst zu, war völlig entspannt. Gudmi, der Realist: „Natürlich wären wir sehr, sehr gerne dabei gewesen. Andererseits muss man eben auch sehen, dass es mit unserem Verletzungspech, sprich diesem dünnen Kader, eine ganz harte Saison geworden wäre.“

Der EHF-Cup ist da das kleinere Übel. Die Spielfrequenz ist dort deutlich geringer und zudem kann man sich berechtigte Hoffnungen auf den ersten Titel der Vereinsgeschichte machen. Storm sagt: „Im nächsten Jahr werden wir versuchen, wieder in der Champions League dabei zu sein, aber nun zählt für uns nur der EHF Cup.“

Leicht wird es nicht. Neben reichlich Fallobst warten bekanntlich auch ein paar dickere Brocken. Magdeburg und Göppingen sind zwei davon. „Sie könnten uns gefährlich werden“, weiß Gudmundsson. Optimistisch ist der Trainerfuchs dennoch: „Unsere Abwehrleistung stimmt mich zuversichtlich“, sagt er, „in diesem Bereich haben wir uns klar gesteigert.“Die Statistik gibt ihm Recht. Gegen Balingen und im Pokal gegen Großwallstadt kassierte man lediglich 22 Gegentreffer. Und selbst gegen den ruhmreichen THW Kiel klingelte es nach der Pause nur zwölf Mal im Löwen-Kasten. All das spricht für ein intaktes Abwehrbollwerk und gute Torhüter. Storm nickt: „Wie Goran Stojanovic ohne richtige Vorbereitung eingestiegen ist, hat mich beeindruckt. Er ist ein Musterprofi mit großer Willenskraft.“ Positiv überrascht haben bislang aber auch andere: Insbesondere Andy Schmid, Zarko Sesum und Michael Müller. Und wenn wir schon mal dabei sind, Gudmundsson hat noch einen weiteren Lichtblick parat: Roggisch, den Abwehrfels. „Oli konnte sich deutlich steigern, was sich unter anderem auch daran zeigt, dass er immer weniger Zeitstrafen kassiert.“

Seit gestern weilt Roggisch bei der Nationalmannschaft. Gemeinsam mit Uwe Gensheimer, Patrick Groetzki und – man höre und staune – Michael Müller. Wobei Müllers Rückkehr nicht wirklich überrascht. Er hat zuletzt permanent Werbung in eigener Sache gemacht.

Einziges Löwen-Sorgenkind bleibt Karol Bielecki. Der Lange mit dem mächtigen Zug im rechten Arm, ist noch nicht da, wo er sein will und sein muss, um den Löwen auf höchstem Niveau weiterzuhelfen. Storm: „Wir brauchen Karols Torgefährlichkeit ganz dringend. Von ihm muss mehr kommen. Das weiß Karol auch selbst, aber er wird es schaffen.“

Von Daniel Hund