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Löwen werden als „zweiter Sieger“ gefeiert

Hamburg. Bjarte Myrhol saß auf einem Stuhl am Spielfeldrand, blickte ungläubig seine Silbermedaille an, schüttelte den Kopf – und als just in diesem Moment die Handballer des HSV Hamburg das Siegerpodest erklommen und um 15.30 Uhr den „Pott“ in die Höhe stemmen durften, da klatschte Myrhol spontan Beifall. Was für ein großartiger und fairer Sportsmann! Der Norweger zog sich sodann die Schuhe aus, ging in die Kabine – und musste in Socken zurückgeholt werden, um die Ehrung nach der Teamehrung entgegen zu nehmen. Myrhol wurde nämlich zu recht zum besten Spieler des Final Final geehrt. Die 13.104 Zuschauer im Stimmungstempel Color Line Arena huldigten dem „Wikinger“, der Unglaubliches geleistet hatte.

Insgesamt freilich war es für das Ensemble der Rhein-Neckar Löwen ein schwacher Trost. Nach 70 hochklassigen, nervenaufreibenden, ja dramatischen Minuten standen die Gelbhemden mit leeren Händen da. Mit einem 34:33 (15:15, 30:30) nach Verlängerung triumphierte die Schwalb-Sieben – nach einer „Schlacht“, die keinen Sieger verdient hatte. Spitzensport kann mitunter grausam und vielleicht auch teilweise ungerecht sein. Einer muss gewinnen – und in der Wiederholung des Pokal-Finals von 2006 (26:25 für die Hanseaten) hatte der HSV erneut die Nase vorne und unterm Strich das glücklichere Händchen.

„Es hat aber diesmal nicht nur an uns gelegen“, sagte Manager Thorsten Storm im Arena-Bauch leicht angefressen, „die Spieler haben den Eindruck, verpfiffen worden zu sein.“ Die Schärfe der Kritik ließ sich durch die immense Enttäuschung erklären. Es gab strittige Szenen, unterschiedliche Bewertungen in Sachen Zeitstrafen und Zeitspiel der Referees Holger Fleich (Ostfildern) und Jürgen Rieber (Nürtingen), doch ein Stück weit hängt dies eben mit dem Veranstaltungsort und „Hausherr“ HSV zusammen. Das wussten die Löwen vorher.

„Goggi“ Sigurdsson, zum Zuschauen verurteilt, legte den Finger in die Wunde. „Warum pfeifen nicht hier die besten deutschen Schiedsrichter?“, fragte der Isländer rhetorisch. Hier herrscht bei der Handball-Bundesliga (HBL) als Veranstalter offensichtlich Handlungsbedarf. Ein Premium-Produkt braucht eben Professionalität bis ins höchste Detail – dazu steht für die beteiligten Klubs zu viel Geld und Ruhm auf dem Spiel. HBL-Geschäftsführer Frank Bohmann war bei der Pressekonferenz bemüht, die Kritik abzuwiegeln. „Diese Schiedsrichter hatten es verdient, das Endspiel zu leiten“, so Bohmann in Rechtfertigungsposition. Für diesen Satz freilich erntete er böse Blicke und entsetztes Kopfschütteln von Löwen-Trainer Ola Lindgren und Thorsten Storm. Und sogar HSV-Kollege Martin Schwalb verdrehte die Augen. Das unmittelbare Après entwickelte sich ähnlich emotional wie die Hatz um den Harzball.

Was fehlte den „Besten aus dem Südwesten“ zum ersehnten ersten Titel? „Wir sind nur noch einen kleinen Millimeter entfernt“, konstatierte Hauptgesellschafter Jesper Nielsen, „wir sind der Zukunftsverein in Deutschland.“ Ohne die Anwesenheit des THW Kiel, die Übermannschaft der letzten Jahre, lieferten sich die Herausforderer der „Zebras“ ein ungeheuer intensives Duell auf Augenhöhe. Während der regulären Spielzeit betrug die Differenz nie mehr als zwei Tore. Lediglich in der ersten Hälfte der Verlängerung zog die „Hamburger Weltauswahl“ vorentscheidend auf 33:30 davon, weil die Löwen in dieser Phase nur Fahrkarten schossen.

Dies sollte ähnlich schicksalshaft sein wie die „reguläre“ Schlussphase, als ausgerechnet Routinier Olafur Stefansson drei Siebenmeter gegen Riese „Jogi“ Bitter versemmelte. „Ich hätte die Siebener halt nicht weghauen dürfen“, schimpfte Stefansson mit Stefansson, „ich nehme das auf mich.“ Er sei indes froh, dass ihm das Malheur passiert sei und „nicht einem wie Patrick Groetzki oder einem anderen jungen Spieler“. Stefansson übernahm also in jeder Hinsicht Verantwortung – das zeichnet einen großen Spieler, ein Handball-Genie aus. Dem „Philosophen aus Neuenheim“ wurde gar ein Bonmot entlockt: „Am Ende sind wir die Entertainer – die Zuschauer hier haben ein sehr gutes Spiel gesehen.“Womöglich das Beste in der bisherigen Bundesliga-Saison 2009/2010 …

Den Lobeshymnen auf den Fusionsklub schloss sich auch Martin Schwalb an: „Ich habe ganz starke Löwen gesehen. Wir hatten große Probleme mit der Achse Stefansson und Myrhol.“ Den Unterschied machten letztlich Kleinigkeiten wie Ballverluste aus – sowie „Jogi“ Bitter – dieser Name war gestern Programm für die Löwen. Und der Umstand, dass sie meist einem HSV-Vorsprung hinterher rannten, erschwerte die Aufgabe erheblich. Neuen Respekt haben sie sich erarbeitet, diese superstarken Löwen!

Von Joachim Klaehn

 12.04.2010