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Löwen wollen den Abschluss einer perfekten Woche

Am morgigen Sonntag kommt die HSG Wetzlar in die SAP Arena

Es könnte der Abschluss einer perfekten Woche für die Rhein-Neckar Löwen werden. Nach Siegen in der VELUX EHF Champions League am letzten Wochenende beim amtierenden Champions-League Sieger KS Vive Tauron Kielce und dem Auswärtssieg im DHB-Pokal am vergangenen Donnerstag beim HC Erlangen, peilt der Deutsche Meister im Bundesligaheimspiel am morgigen Sonntag gegen die HSG Wetzlar den dritten Sieg innerhalb von einer Woche im dritten Wettbewerb an.

„Drei Siege in drei Wettbewerben, und das innerhalb von einer Woche. Für uns wäre das natürlich sensationell“, hofft Rechtsaußen Patrick Groetzki am morgigen Sonntag gegen Wetzlar auf den nächsten Heimsieg. Anwurf zum Duell mit den Mittelhessen ist um 15 Uhr, Eintrittskarten gibt es noch an der Tageskasse der SAP Arena.

„Wir haben durchaus Respekt vor Wetzlar, welches Potential in ihnen steckt haben sie nicht zuletzt beim Sieg gegen den THW Kiel gezeigt. Dennoch muss es unser Anspruch sein, das Spiel zu Hause und mit unseren Fans im Rücken zu gewinnen“, so Groetzki weiter. Mit der HSG Wetzlar kommt dabei am morgigen Sonntag eine Mannschaft in die SAP Arena, die seit Jahren das Beste aus ihren Möglichkeiten in der DKB Handball-Bundesliga macht. Trainer in der Bundesliga genießen zuweilen eine gewisse Prominenz. Dass sie sagenhafte Züge annehmen, ist dagegen eher selten. Bei Kai Wandschneider, dem Coach der HSG Wetzlar, verhält es sich dagegen etwas anders. Betrachtet man die Aufgaben, denen sich der gebürtige Hamburger seit seinem Arbeitsantritt 2012 in Mittelhessen immer wieder stellen musste, liegt der Vergleich zum mythologischen Helden Sisyphos nahe, der dazu verdammt war, immer wieder einen Felsen den Berg hinaufzuwälzen. Fast am Gipfel angekommen, rollt der Felsblock bekanntermaßen stets krachend ins Tal. Die Mühsal beginnt von vorne.

Der „Fels“ für Wandschneider in Wetzlar ist vor allem die Personalsituation. In den vergangenen Jahren wurden der HSG immer wieder die absoluten Leistungsträger abspenstig gemacht – meistens, wenn das Kollektiv gerade so richtig ins Laufen gekommen war. Michael und Philipp Müller spielen inzwischen beim Erzrivalen MT Melsungen, auch die Ära von Superstar Ivano Balic ging vor zwei Jahren zu Ende und nach der Spielzeit 2015/2016, die Wetzlar auf dem zehnten Platz abschließen konnte, stand der nächste Aderlass an: EM-Torwartheld Andreas Wolff konnte dem Werben des THW Kiel nicht widerstehen und „Shooter“ Steffen Fäth, Garant für die „einfachen“ Tore der HSG aus dem linken Rückraum, schloss sich den Füchsen Berlin an. Wieder musste Kai Wandschneider den Felsen anpacken und Richtung Gipfel starten.

Der 56-Jährige, der von 2001 bis 2011 den TSV Bayer Dormagen/DHC Rheinland zu einer Marke im deutschen Handball geformt hatte, lässt sich von dieser Aufgabe aber nicht entmutigen und geht die Herausforderungen immer wieder mit der ihm eigenen Gelassenheit und viel Ideenreichtum an. „Es muss uns wieder gelingen, wie vergangene Saison, die beste Version von unserem Selbst zu entwerfen“, sagte der Coach dem „Gießener Anzeiger“ vor dem Start der aktuellen Spielzeit und verriet sein Erfolgsgeheimnis. „Es ist wichtig, die Natur der Spieler nicht künstlich einzugrenzen. Das muss sich entwickeln. Ich muss schauen, was dieser Mannschaft am besten entspricht“, sagt Wandschneider, dem es bislang immer gelungen ist, aus dem vorhandenen Kader ein Team zu formen, das stets genug Abstand zu den gefährlichen Regionen der Tabelle hält.

Neben Wandschneiders Händchen für die Mannschaft haben zuletzt aber auch immer die Neuverpflichtungen gepasst. Viele aufstrebende Profis betrachten die HSG offenbar als gute Station, um den nächsten Karriere-Schritt zu machen. Bestes Beispiel für die aktuelle Saison ist hier das Duo Phillipp Weber und Philipp Pöter, die beide vom SC DHfK Leipzig zur HSG wechselten. Dazu wurde von den Rhein-Neckar Löwen der ehemalige Nationalspieler Stefan Kneer geholt, und beim schwedischen Meister IFK Kristianstad konnten Anton Lindskog und Kristian Björnsen davon überzeugt werden, dass die HSG Wetzlar die passende Adresse wäre, um sich in der Bundesliga einen Namen zu machen. Mit diesen Personalien – acht Abgängen standen acht Neuzugänge gegenüber – wäre die 1992 aus den Traditionsvereinen TSV Dutenhofen und TV Münchholzhausen gegründete HSG sicher wieder ganz gut aufgestellt gewesen, um einen Mittelfeldplatz anzupeilen. „Wenn alle gesund bleiben und wir an den richtigen Schräubchen drehen, ist von Platz neun bis zwölf alles möglich“, formulierte Wandschneider vor dem Saisonstart die entsprechenden Ziele – doch dann schlug das Verletzungspech in Mittelhessen zu.

Linksaußen Maximilian Holst zog sich bei der vorgeschalteten ersten Pokalrunde einen Kreuzbandriss zu und wird in dieser Saison wohl ebenso nicht mehr zum Einsatz kommen wie Philipp Pöter. Der 30-Jährige wurde von den Ärzten mit einem Leistungssport-Verbot belegt, nachdem „schwerwiegende, zuvor nicht diagnostizierte gesundheitliche Probleme festgestellt worden sind“, wie es in der offiziellen Mitteilung der HSG hieß. Zudem erreichte die Wetzlarer Mitte Oktober die nächste Hiobsbotschaft: Für den Rest des Jahres müssen die Grün-Weißen auch auf Linkshänder Joao Ferraz verzichten, der sich einer Schulter-Operation unterziehen musste. Angesichts der Personalprobleme, die mit den Nachverpflichtungen von Kasper Kvist (für Holst) und Emil Berggren (für Pöter) angegangen wurden, hat Coach Wandschneider das Saisonziel nun deutlich nach unten korrigiert: „Es geht für unsere fast komplett neuformierte Mannschaft aktuell einzig und allein um den Klassenerhalt.“ Die Personalprobleme hielten die HSG Wetzlar allerdings nicht davon ab, für die bislang größte Überraschung zu sorgen:

Gleich am zweiten Spieltag schlugen die Mittelhessen den THW Kiel mit 27:24 und haben sich inzwischen in der ursprünglich angepeilten Tabellen-Region eingependelt. Und wie schwierig es gegen die HSG sein kann, wissen die Rhein-Neckar Löwen schließlich ganz genau: In der Saison 2014/2015 verloren sie dort beim 27:31 im Saisonendspurt die entscheidenden Punkte gegenüber dem THW Kiel. Im vergangenen Mai benötigten die Badener dann eine absolute Energieleistung in den letzten zehn Minuten, um beim 23:19-Erfolg die Meisterschaft nicht noch zu verspielen. Und das alles, weil Sisyphos Wandschneider so gut den Felsen nach oben rollt.