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Magische Momente in Kiel

Kiel. Dreißig Sekunden vor Spielende leerte sich die Ostseehalle. Und zwar schlagartig. Die Fans des Handball-Bundesligisten THW Kiel flüchteten. Hier, in dieser großen Handball-Oper, wo sonst nur große Feste, Siege und Titel gefeiert werden, jubelten gestern vor 10 250 Zuschauern nur die Rhein-Neckar Löwen. Sie hatten einen Coup gelandet. Mit 33:31 (19:17) gewannen die Badener das Spitzenspiel an der Ostsee. Die Löwen rissen wenige Augenblicke vor Spielende die Arme in die Höhe, bejubelten den historischen Erfolg. Ex-THW-Profi Henning Fritz strahlte über beide Ohren: „Ich habe in meinem Sportlerleben schon viel erlebt. Aber einen Sieg in Kiel noch nicht.“

Geschäftsführer bleibt ruhig

Manager Thorsten Storm beobachtete die Jubelszenen auf dem Spielfeld aus der Entfernung, in der Stunde des großen Triumphes blieb er ganz ruhig. „Wenn man in Kiel gewinnt, kommt das immer überraschend“, sagte der Geschäftsführer norddeutsch unterkühlt. In seinem Herzen dürfte es dagegen anders ausgesehen haben. Nichts schmeckt süßer als ein Erfolg beim THW.

Die Löwen zeigten auch ohne ihre Leistungsträger Børge Lund und Bjarte Myrhol eine ganz starke Vorstellung, von Respekt vor dem Titelverteidiger war nichts zu spüren. Schnörkellos trugen die Gelbhemden ihre Angriffe vor, konsequent nutzten sie ihre Chancen. Zarko Sesum und Grzegorz Tkaczyk waren nicht zu stoppen, zeigten keine Nerven – und netzten bis zur Pause jeweils vier Mal ein. Bemerkenswert: Nur drei Fehlwürfe leisteten sich die Badener in der ersten Halbzeit. Ein Weltklasse-Wert. „Jeder Wurf war drin. Das haben die Löwen sehr gut gemacht“, lobte Kiels Trainer Alfred Gislason.

Doch nicht nur in der Offensive überzeugten die Gelbhemden, Torwart Slawomir Szmal stand seinen Kollegen in nichts nach. Der Pole spielte überragend, zeigte in den ersten 30 Minuten 14 spektakuläre Paraden und wehrte dabei vier Siebenmeter ab. „Die ganze Mannschaft hat sehr stark gespielt. Aber Szmals Leistung hat dem ganzen Auftritt die Krone aufgesetzt“, lobte Storm.

Nach 20 Minuten lagen die Badener mit 15:11 in Führung, THW-Trainer Alfred Gislason nahm eine Auszeit. Bedingt durch einige Zeitstrafen, die die Löwen kassierten, kamen die Kieler anschließend heran, die 19:17-Führung für die Gelbhemden zur Pause war jedoch hochverdient. „Da hätte unser Vorsprung schon größer sein können“, meinte Storm, der ein dickes Kompliment an Zarko Sesum aussprach: „Solch einen Spieler sieht man gerne. Er spielt in Abwehr und Angriff unglaublich stark.“ Der Serbe verteidigte im Mittelblock zusammen mit Oliver Roggisch, der ebenfalls überzeugte und kein einziges Mal auf die Strafbank musste. „Wenn der Oli keine Zeitstrafe kassiert, muss er ein gutes Spiel gemacht haben“, scherzte Storm.

Auch nach dem Seitenwechsel gaben die Gelbhemden den Ton an. Die Löwen wackelten nicht, kassierten kein einziges Mal den Ausgleich – und konnten sich auf Szmal (22 Paraden/6 Siebenmeter) verlassen. „Wir sind nicht nervös geworden, haben unsere Linie bewahrt – und das alles im schwierigsten Auswärtsspiel der Welt“, freute sich Trainer Gudmundur Gudmundsson, der aber schnell den unerwarteten Erfolg abhakte: „Wir haben ein großes Spiel gezeigt. Aber jetzt müssen wir gegen Flensburg nachlegen.“

Von Marc Stevermüer

 07.04.2011