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Mein Löwen-Moment, Teil 2: „Als hätte man selbst auf dem Feld gestanden“

Serie stellt Fans und ihre Geschichten vor / Zweite Ausgabe mit Cigdem Erdis und Andrea Degner, die beim Final Four 2014 ihre große Löwen-Leidenschaft entdeckten

Andrea Degner (l) und Cigdem Erdis (r) mit Gedeón Guardiola.

Löwen-Fans gibt es viele, und hinter allen steckt eine Geschichte. In der Serie „Mein Löwen-Moment“, die in loser Folge und unregelmäßigen Abständen auf der Website der Rhein-Neckar Löwen erscheint, wollen wir diese Geschichten erzählen. Wann genau hat es „Klick“ gemacht? Welches Spiel hat die Löwen-Liebe entflammen lassen? Welcher Augenblick hat sich für immer ins Fan-Gedächtnis gebrannt? Alldem gehen wir bei „Mein Löwen-Moment“ auf die Spur – und empfinden viele spannende und einzigartige Schlüsselerlebnisse gemeinsam mit den Protagonisten nach. Hier folgt nun Teil 2 mit Cigdem Erdis und Andrea Degner.

Hamburg. Es ist Samstag, der 12. April. Die Freizeittipps der Hansestadt für diesen Tag: ein Kunsthandwerkermarkt im hippen Stadtteil Sankt Georg, die „Lebensfreude Messe“ mit Schwerpunkt „Vegane Küche“ im Congress Center, die „Lange Nacht der Museen“ quer durch die ganze Stadt verteilt. Vom ersten Halbfinale beim Final Four um den DHB-Pokal ist keine Rede. Dabei steigt um 15 Uhr in der 0₂ World Hamburg das Duell der SG Flensburg-Handewitt mit den Rhein-Neckar Löwen und damit das vorweggenommene Endspiel des ruhmreichen Wettbewerbs.

Auf der Platte werden einige der besten Handballer der Welt stehen, darunter die Flensburger Mattias Andersson, Anders Eggert und Michael Knudsen sowie die Löwen Uwe Gensheimer, Alexander Petersson und Kim Ekdahl Du Rietz. Die Vorfreude in Handball-Kreisen auf dieses Spiel ist riesengroß. Jene Glücklichen, die Eintrittskarten ergattert haben, fiebern seit Wochen diesem Tag entgegen. Das gilt insbesondere für Cigdem Erdis und Andrea Degner, die sich als noch recht frische Löwen-Fans zum ersten Mal auf große Auswärtsfahrt begeben haben. Und die jetzt, kurz vor 15 Uhr an diesem 12. April 2014, drauf und dran sind, sich gewaltig zu verspäten.

„So etwas habe ich noch nicht erlebt“

Cigdem und Andrea unterwegs im Löwen-Dress.

„Ich kann mich noch sehr gut erinnern an diese Fahrt“, sagt Cidgem Erdis. „Der Busfahrer hat den Weg nicht gefunden und die Zeit bis zum Anpfiff wurde weniger und weniger. Als wir endlich da waren, sind wir aus dem Bus gestürzt und losgerannt.“ Auf der letzten Rille erreichen die Löwen-Anhänger, die mit dem Fanclub-Bus der Baden Lions angereist sind, ihre Plätze in der imposanten Hamburger Arena. Völlig außer Atem und voller Adrenalin gehen Cigdem und Andrea in das Spiel, und vielleicht sind es auch diese besonderen Umstände, die dabei mithelfen, diesen Tag so einprägsam und folgenreich für ihre weitere „Fan-Karriere“ zu machen.

Unten auf dem Spielfeld läuft es genauso wie bei der Anreise nicht sonderlich nach Plan: Die Löwen geraten früh ins Hintertreffen, liegen zur Pause 12:16 und kurz danach 14:20 hinten. Knapp eine Viertelstunde vor dem Ende keimt beim 18:21 noch einmal Hoffnung auf. Doch näher als auf diese drei Tore sollen die Löwen nicht mehr herankommen an die an diesem Tag zu starken Flensburger. Andersson entscheidet das Torhüter-Duell gegen Niklas Landin für sich, Thomas Mogensen setzt auf der Mitte mehr Impulse als seine Gegenspieler auf Löwen-Seite. Am Ende steht es 30:26 für die SG, die am Tag danach zwar das Finale gegen Berlin verliert (21:22), sich knapp sechs Wochen später aber mit dem Champions-League-Triumph und einem Finalsieg gegen Erzrivale THW Kiel (30:28) trösten kann.

Für Cigdem Erdis und Andrea Degner wird der Samstag in Hamburg trotz der Niederlage zum Auftakt einer besonders innigen Beziehung zu den Rhein-Neckar Löwen. Es ist ihr Löwen-Moment. „Für mich lag das an der Stimmung da in Hamburg. So nahe mit den anderen Fans und an der Mannschaft zu sein, das war für mich das Größte“, erinnert sich Cigdem. Andrea sieht das ähnlich. Auch heute noch, mehr als sechseinhalb Jahre später, sieht sie die Bilder dieses Tages ganz klar vor sich: „So etwas wie in dieser Arena an diesem Tag, das habe ich bis dahin noch nicht erlebt. Die Niederlage, die Enttäuschung der Mannschaft, das hat man durch Mark und Bein gespürt. Das hat man so mitgefühlt, als hätte man selbst mit auf dem Feld gestanden. Und am liebsten hätte man das ja auch gemacht, um irgendwie zu helfen.“

„Ich habe mindestens die halbe Mannschaft umarmt“

Andrea und Carlotta (r) mit Apfel.

Es ist diese Verbindung, emotional und geistig, die das Duo Erdis/Degner an diesem Tag so besonders eng an die Löwen geschweißt und bis heute nicht mehr losgelassen hat. Danach folgen viele ähnlich rührende Erlebnisse, sportliche Highlights, die man gemeinsam mit der Mannschaft feiern kann. „Die Jungs, die bei den Löwen zu dieser Zeit gespielt haben, waren einfach unheimlich nahbar und sympathisch. Das gilt auch für die, die seitdem neu dazugekommen sind, und für die Handballer generell“, erklärt Cigdem Erdis. Andrea Degner erinnert sich in diesem Zusammenhang besonders gerne an die erste Meisterschaft 2016 mit spontaner Feier in der Halle des TuS N-Lübbecke. „Das war auch ein ganz, ganz toller Moment. Wir waren unten auf dem Feld, konnten die Meisterschale berühren. Ich habe damals mindestens die halbe Mannschaft umarmt. Carlotta, unser Patenkind, wurde von Mikael Appelgren auf den Arm und mit in die Kabine genommen. Das war einfach unvergesslich.“

2018, der Pokalsieg im elften Anlauf, ist nicht zuletzt wegen der Vorgeschichte aus dem Jahr 2014 ein weiterer Höhepunkt in der privaten Löwen-Historie von Cigdem und Andrea. „Nach diesem Wochenende hatten wir beide keine Stimme mehr“, sagt Cigdem. Andrea erinnert an die langen Auswärtsfahrten an Orte, die sie ohne ihre Löwen-Leidenschaft wahrscheinlich niemals bereist und kennengelernt hätte: „Wir waren in Holstebro, Kristianstad und Zagreb. Alles herrliche Städte, die ich ohne die Löwen vielleicht niemals zu Gesicht bekommen hätte.“ Das Erlebnis beim Champions-League-Spiel in Zagreb werden die beiden niemals vergessen. „Damals waren wir die einzigen Löwen-Fans in der Halle. Weil uns die Leute von der Heimmannschaft nicht alleine zwischen die ganzen Heim-Fans setzen wollten, haben sie uns kurzerhand in eine Loge verfrachtet – das war natürlich ein Highlight“, erzählt Cigdem, die von der Herzlichkeit und Leidenschaft der kroatischen Handball-Fans schwärmt: „Das ist schon ein Wahnsinnspublikum dort. Total nette Leute.“

Als legendär bezeichnet das unzertrennliche Löwen-Fan-Duo die Fahrten nach Flensburg. „Einmal haben wir ein Abteil im Zug komplett mit Löwen-Fanartikeln geschmückt“, erzählt Cigdem. Mit einer Gruppe von insgesamt elf Mädels lassen sie – wenn möglich – kein Auswärtsspiel aus. Geballte Frauen-Power für die Rhein-Neckar Löwen. Für die Spieler sind die treuen Auswärtsfahrer Gold wert. Auf die lautstarke, leidenschaftliche und schier bedingungslose Unterstützung in einer fremden Halle bauen zu können, sei unfassbar wichtig, betonen Andy Schmid & Co. immer wieder. Durch die vielen gemeinsamen Erlebnisse in der Fremde ist man noch einmal anders zusammengewachsen. „Die Jungs sind eigentlich alle sympathisch“, antwortet Cigdem auf die Frage nach einem Lieblingslöwen. Zwischen zweien, die ihr besonders ans Herz gewachsen sind, halte es sich die Waage. „Wenn ich überlege, wessen Trikot ich anziehe, kann ich mich nie zwischen Gede und Apfel entscheiden.“

„Ich habe ein gutes Gefühl, dass da etwas Neues und Gutes zusammenwächst“

Grüße aus dem Löwen-Abteil im ICE.

Gede, Gedeón Guardiola, war bis diesen Sommer acht Jahre lang ein Löwe, wuchs nach und nach in die Rolle des Abwehrchefs und spielte bei allen bedeutenden Titelgewinnen eine tragende Rolle. Apfel, Mikael Appelgren, ist der Sonnyboy im Löwen-Kader und als Weltklasse-Mann zwischen den Pfosten nicht minder wertvoll für die Löwen wie es Gede war. Mit Apfel verbindet Cigdem und Andrea eine besondere Bande. „Carlotta ist großer Fan, die beiden haben sich auch schon öfter unterhalten. Weil sie selbst Handball spielt, will sie zum Beispiel wissen, wie es ist, mit Harz zu spielen“, erklärt Cigdem. Und weil der schwedische Nationalkeeper nach dem Spiel gerne für einen Plausch unter Bekannten zu haben ist, kommen die Jugendhandballerin und der Bundesliga-Profi immer mal wieder ins Gespräch. Wenn nicht gerade eine Corona-Pandemie herrscht.

Dass es mit den Löwen immer wieder Höhen und Tiefen zu durchlaufen gibt, das gehöre nun einmal zum Sport dazu, finden Cigdem und Andrea. Verständnis für die vor allem in den vergangenen zwei Spielzeiten harsche Kritik an der Mannschaft haben sie nur sehr bedingt. „Es tut schon weh, so etwas zu lesen oder zu hören. Da sind schon einige sehr nervös geworden und haben das auch direkt so rausgelassen. Für uns ist das kein Thema. Wir stehen hinter den Jungs, auch wenn es einmal schlecht läuft“, sagt Cigdem. Mangelnde Einstellung oder gar Lust, das wollen sie ihren Löwen nicht unterstellen, betont Andrea: „Wenn man sich die Spielpläne und die Taktung der Spiele anschaut – da kann man einfach nicht immer 150 Prozent verlangen. Dann zu sagen, die Spieler wollen nicht, das finde ich respektlos.“

Generell seien die Löwen-Fans schon von der verständnisvolleren Sorte, findet das Duo. Man könne sich in der Regel sehr sachlich und vernünftig austauschen. Natürlich mache der Aufschwung unter dem neuen Trainer Martin Schwalb das Ganze auch leichter. Nicht zuletzt, weil Schwalbe selbst ein zugänglicher und den Menschen zugewandter Typ sei. „Ich mag ihn sehr, sehr gerne. Das ist ähnlich wie bei Niko Jacobsen. Ich habe ein gutes Gefühl, dass da etwas Neues und Gutes zusammenwächst“, sagt Cigdem Erdis. Dass sie momentan mit Andrea die Löwen-Spiele nicht mehr in der SAP Arena und den übrigen Hallen der Handball-Bundesliga verfolgen kann – das sei schon bitter. Die Corona-Pandemie hat Deutschland im Herbst 2020 fest im Griff und setzt auch den beiden Löwen-Fans zu. Cigdem sagt: „Wir wollen einfach unser Leben wieder zurück. Es fällt ja die gesamte Freizeitgestaltung flach – inklusive Löwen.“

In Bezug auf ihre Lieblinge haben sie nur einen Wunsch: Sie bald wieder live in der Halle zu sehen. Anzufeuern. Anzutreiben. Gemeinsam mit ihnen zu kämpfen, zu leiden, zu feiern. Und dann dieses besondere Gefühl der Verbundenheit zu haben. So wie damals, an diesem 12. April 2014 in Hamburg.