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Miraculix, bitte melde Dich (MM)

Beim 28:34 gegen den HSV Hamburg wird deutlich, dass die Löwen mit ihren Kräften am Ende sind und Leistungsträger nicht ersetzen können

MANNHEIM. Alexander Petersson schlug mit seiner Hand fest auf einen Stehtisch und zog schnellen Schrittes Richtung Kabine. Im Gesicht des Isländers in Diensten des Handball-Bundesligisten Rhein-Neckar Löwen spiegelten sich Frust und Enttäuschung wieder, aber auch ganz viel Müdigkeit und Erschöpfung. Schon lange vor dem Abpfiff hatte Trainer Gudmundur Gudmundsson den eigentlich nicht ersetzbaren Halbrechten vom Feld beordert und ihm eine Pause gegeben. Zu gewinnen gab es für die Löwen zu diesem Zeitpunkt sowieso nichts mehr, beim 28:34 (13:17) im Topspiel gegen den HSV Hamburg lagen die Badener schon kurz nach dem Seitenwechsel aussichtslos zurück.

Sesum völlig verunsichert

„Wie befürchtet chancenlos“, fasste Manager Thorsten Storm die Begegnung zusammen und verwies auf die personelle Situation: Uwe Gensheimer und Kim Ekdahl du Rietz sind verletzt und nicht zu ersetzen, wenngleich Stefan Rafn Sigurmannsson seine Sache auf Linksaußen gut macht und gegen den HSV sieben Mal traf. „Es imponiert mir, wie schnell er in der kurzen Zeit ins Team hineingewachsen ist und die Mannschaft pusht“, sagte Storm. Sorgen bereitet dagegen Zarko Sesum, der im linken Rückraum bislang nicht den Nachweis erbrachte, Ekdahl du Rietz ersetzen zu können. „Seine Wurfquote in den Partien gegen Großwallstadt und Hamburg war außergewöhnlich schlecht“, wollte Trainer Gudmundsson nichts beschönigen: „Aber ich bin davon überzeugt, dass bei ihm der Knoten platzt. Wir stehen hinter ihm.“

Das Debakel gegen den HSV allein an Sesum festzumachen, würde indes zu weit gehen. Selbst wenn der Serbe in Bestform aufgetrumpft hätte, wären die Löwen, die den ersten Tabellenplatz an den THW Kiel verloren, wohl leer ausgegangen. Zu viele Schwächen offenbarten die Badener, denen vor allem eines anzusehen war: Müdigkeit. Acht Spiele in 26 Tagen, dazu immenser Reisestress – für diese Strapazen ist der Kader nicht geschaffen. Zwar standen auch gegen den HSV 14 Akteure auf dem Spielberichtsbogen, darunter aber mit Marius Steinhauser, Kevin Bitz und Michel Abt wieder drei Youngster. Den Gelbhemden fehlt die Tiefe in ihrem Aufgebot, um von Sieg zu Sieg zu eilen. Dass sie so gut dastehen, haben sie zu einem Großteil ihrer starken Stammformation und der geringeren Belastung vor Weihnachten zu verdanken. Doch nun stehen reihenweise EHF-Cup-Partien an, sind Leistungsträger verletzt oder müde. Sie alle wünschen sich wohl, dass der Druide Miraculix aus dem Comic „Asterix“ mal mit seinem Zaubertrank im Kronauer Trainingszentrum vorbeischaut und jeden Löwen kosten lässt. Manch einer würde sich vielleicht sogar in den Kessel legen, um wieder zu Kräften zu kommen.

„Wir haben keine großen personellen Möglichkeiten und wussten, dass es Spiele wie gegen Hamburg geben wird. Trotzdem hat die Mannschaft bislang Sensationelles geleistet“, sagte Storm, der vor allem die einfachen Tore aus dem Rückraum vermisst: „Wir wissen, dass dies eine Schwäche von uns ist.“ Der Löwen-Erfolg in dieser Saison basiert auf einer starken Abwehr, einem schnellen Umschaltspiel. Dafür braucht man Kraft, Ausdauer, Spritzigkeit. Doch momentan fehlt die Frische.

„Werfen Saison jetzt nicht weg“

Vielleicht wäre der allgemeine Erschöpfungsgrad geringer, wenn die Leistungsträger in den vergangenen Monaten mehr Verschnaufpausen bekommen hätten. Wahrscheinlich hätten die Löwen dann aber auch mehr Minuspunkte, denn der Qualitätsunterschied zwischen erster und zweiter Sieben ist offensichtlich.

Auf welch schmalem Grat die Gelbhemden wandeln, unterstrich Regisseur Andy Schmid. „Wir haben keine riesigen Wechselmöglichkeiten und konnten zuletzt nicht unser Topniveau abrufen. Wir brauchen Leidenschaft, Emotionen, Aggressivität und eine starke Abwehr. Gelingt uns das nicht, bekommen wir gegen jeden Gegner Probleme“, analysierte der Schweizer: „Aber wir werden jetzt die Saison nicht wegwerfen.“ Warum auch? Dafür ist die Ausgangslage viel zu gut. Es winken attraktive Duelle in der Champions League mit allen Vor- und Nachteilen. Soll heißen: Spiele im Drei-Tage-Rhythmus – und zwar schon vor Weihnachten.

Von Marc Stevermüer