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Oliver Roggisch: Zwischen Siegesserie und Sinkflug (FAZ)

Oliver Roggisch gilt als einer der härtesten Abwehrspieler der Welt. Mit den Rhein-Neckar-Löwen ist er der Aufsteiger der Handball-Saison, mit der Nationalmannschaft sucht er dringend nach Halt.

Schöne neue Handballwelt, einfach zum Genießen. Oliver Roggisch fühlt sich rundum wohl, der Nationalspieler sagt: „Es ist die beste Mannschaft, seit ich dabei bin.“ Natürlich kann es dabei nur um eines gehen, um seinen Verein, die Rhein-Neckar Löwen. Sie sind die Aufsteiger der Saison, ungeschlagen und verlustpunktfrei, die Dinge haben sich in den vergangenen Monaten prächtig entwickelt bei den Nordbadenern. „Es passt von vorne bis hinten“, sagt Roggisch über die aktuelle Verfassung der Löwen, die ihre Heimstatt in Mannheim haben.

Just dort also, wo Roggisch dieser Tage eine andere, eine dunkle Seite des Handballs erlebte. Eine Niederlage, eine Blamage gar, Pfiffe des Publikums – mit dem Nationalteam sucht Roggisch, im Gegensatz zum Liga-Handball, dringend nach Halt. Die Deutschen und ihr 34 Jahre alter Kapitän stehen nach der Niederlage gegen Montenegro schon wieder gehörig unter Druck. Sie müssen sich jetzt an diesem Sonntag in Israel (18.45 Uhr) beweisen, es geht um die Qualifikation für die Europameisterschaft 2014 in Dänemark. Und darum, nach der Abwesenheit bei Olympia in London nicht schon wieder ein großes Turnier zu verpassen.

Der deutsche Handball im Sinkflug? Das Image des Nationalteams zumindest wurde weiter beschädigt, und Bundestrainer Martin Heuberger bleibt vorläufig nichts als trotzige Hoffnung. Ruhe bewahren, sagt er, und er betont, seinen Weg weitergehen zu wollen. Die Schwächen aber sind teilweise eklatant, und ob sie bald behoben werden können, erscheint fraglich. Die Debatten kreisen immer wieder um eines, um das Fehlen von Spielern mit Führungsanspruch. Roggisch zählt zwar zu dieser Kategorie, aber er ist damit eher die Ausnahme in Heubergers Team. Und sein Wirkungsraum auf dem Handballfeld ist begrenzt: Roggisch hat seinen Platz als Zerstörer in der Verteidigung, in der Offensive ist er nur selten zu finden.

Abwehrspieler im „dritten Frühling“

Mit ihm ist somit fast immer eine Tauschaktion notwendig. Roggisch rennt, sobald die Deutschen den Ball in den Händen haben, zur Bank, er wird dann im Eiltempo durch eine Angriffskraft, durch einen Kreisläufer ersetzt. „Dieser Wechsel bremst ein bisschen“, sagt Roggisch, „aber wenn ich es schnell genug mache, sehe ich keine großen Nachteile.“ Auch Heuberger mag vorerst nicht auf diese Methode verzichten, obwohl sie dem modernen Handball, einem Hochgeschwindigkeitssport, widerspricht. Und obwohl selbst Roggisch sagt: „Sie wird aussterben.“ Er würde auch seinem Kind nicht empfehlen, sich auf reines Abwehrverhalten zu spezialisieren. Heuberger aber schätzt Roggisch, trotz dessen eingeschränkter Verwendbarkeit. Er nennt ihn einen unverzichtbaren Teil seines Teams, spricht gar vom „dritten Frühling“ des erfahrenen Mannheimers.

Aufleben bei den Löwen: Das hat maßgeblich mit der Struktur des Teams zu tun, das zwar abgespeckt wurde – und trotzdem immer noch exzellent besetzt ist. Mit Stars aus Dänemark, Island oder Schweden. „Es stimmt auf jeder Position“, sagt Roggisch. Ein solches Qualitätsurteil lässt sich auf das Nationalteam nicht beziehen, das sich die Teilnahme an der Weltmeisterschaft im Januar 2013 in Spanien nur mit Ach und Krach gesichert hat – und weit davon entfernt ist, bei diesem Championat zu den aussichtsreichen Kandidaten gerechnet zu werden. „Wir werden nicht um Medaillen spielen“, sagt Roggisch. Er, verwöhnt bei den Rhein-Neckar Löwen, mag nun allerdings nicht in das Lamento um den Mangel an Führungsspielern bei Heuberger einstimmen.

Roggisch: Viele „mündige Spieler“

„Wir haben das Thema von den Fußballern übernommen“, sagt der Abwehrrecke – und behauptet, dass es im Handball-Nationalteam doch viele „mündige Spieler“ gebe und Leute, „die das Heft in die Hand nehmen können“. Das blieb zuletzt jedoch verborgen. Auch der Göppinger Michael Haaß, zurückgekehrt ins Team nach einer schweren Verletzung, einem Bruch des Sprunggelenks, hatte die sehr nachlässig agierende deutsche Auswahl gegen Montenegro nicht stabilisieren können.

Schwierige Zeiten also für den Weltmeister von 2007, dessen gesunkenes Ansehen sich inzwischen auch durch leer bleibende Plätze in den Hallen dokumentiert. Am Donnerstag waren in die Mannheimer SAP-Arena nur etwas mehr als 7.000 Zuschauer gekommen; auch die Löwen müssen, trotz des sportlichen Hochs, um ihre Kundschaft kämpfen. „Die Menschen haben alle ein bisschen weniger Geld in der Tasche“, sagt Roggisch. Die Klubs ebenfalls: In der Liga herrscht Sparzwang; auch Roggisch, der vor dieser Saison einen neuen Einjahresvertrag bei den Löwen unterschrieb, bekam das zu spüren. Seine Bezüge wurden um etwa 30 Prozent gekürzt.

Er konnte das offensichtlich verschmerzen. Seit 2007, seit dem WM-Triumph, sagt er, seien im deutschen Handball sehr hohe Gehälter gezahlt worden, „sie waren teilweise übertrieben“. Roggisch findet, dass jetzt die komplette Liga in finanzieller Hinsicht wieder auf ein „normales Niveau“ kommen müsse. Mit Ausnahme weniger Top-Teams „haben alle Probleme, wir müssen wirklich aufpassen“. Roggisch hat sogar schon vernommen, dass die finanzielle Situation der Löwen es angeblich nicht zulasse, ihn über diese Saison hinaus zu beschäftigen. Er strebt dennoch eine Einigung noch in diesem Jahr an: „Ich will auf jeden Fall hierbleiben.“ Immerhin macht er dort derzeit ja sein Glück. Anders als im Nationaltrikot, das wie eine bleierne Last wirkt.