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Ratlos in Karlsruhe

Karlsruhe. Michael Notzon marschierte kurz vor Schluss hinter dem Tor die Tartanbahn entlang. Er schlich förmlich davon. Der Hauptsponsor der Rhein-Neckar Löwen, der Geschäftsführer von Goldgas, befand sich auf seinem ganz persönlichen Trauermarsch. Die Schultern hingen, die Hände tief in den Hosentaschen vergraben. Völlig abwesend, völlig niedergeschlagen. Die 26:33-Niederlage gegen die Berliner Füchse schmerzte sehr. Sie ließ die Führungsetage fassungslos zurück. Und nicht nur die: Auch die Spieler, die Hauptschuldigen, hatten am Debakel gegen die Hauptstädter zu knabbern. Manche verabschiedeten sich wortlos in die Kabine, andere fluchten auf der Flucht. Kasa Szmal, der langjährige Löwen-Torhüter, wählte eine andere Variante. Er stellte sich, er sprach Klartext: „So schlecht waren wir noch nie“, zuckte der Pole ungläubig mit den Schultern, „ich kann mir das wirklich nicht erklären.“

Ratlos in Karlsruhe. Die Frage nach dem Warum, sie beschäftigte alle. Beantworten konnte sie keiner. Auch Thorsten Storm nicht. Der Manager der Badener war sprachlos, blickte immer wieder ins Leere: „Diese Nicht-Leistung kann ich nicht akzeptieren. Solche Unterschiede zwischen guten Leistungen und einer Verweigerung wie heute haben nichts mit dem Potenzial des Kaders zu tun, sondern damit, was man aus diesem tollen Arbeitsplatz macht.“ Storm glich einem Vulkan, unmittelbar vor dem Ausbruch: „Ich frage mich, warum man so mit diesen Voraussetzungen umgeht. Vielleicht wissen sie manche bei uns nicht richtig zu schätzen.“

Eine ungemütliche Woche ist vorprogrammiert, in der das „Unfassbare“ (Storm) Stück für Stück, detailliert, aufgearbeitet werden soll. Am Samstag sah Storm jedenfalls „viele Fragenzeichen“. „Jeder, der hier einen Vertrag unterschreibt, verpflichtet sich auch für etwas und sollte wissen, was erwartet wird. Aber aufgeben geht nicht. Ich habe diese Ziele und werde weiterhin jeden Tag für sie kämpfen.“

Ein ganz dickes Fragezeichen stand auch hinter Karol Bielecki. Mal wieder. Der Rückraum-Kunstschütze bot sechzig Minuten ohne Biss, ohne Torgefahr. Er traute sich rein gar nichts zu, war ein Totalausfall. Und selbst Bjarte Myrhol, der vorbildliche Kreisarbeiter, hatte diesmal die Arbeit eingestellt. Doch das war nur bedingt seine Schuld. Denn er hing meist in der Luft. Die Kreis-Anspiele von Olafur Stefansson – ermuss nach wie vor verletzungsbedingt zuschauen – wurden schmerzlich vermisst. Seine Genialität fehlt. Islands Handball-Zar litt auf der Tribüne mit. Neben ihm saß einer, der sich beinahe im Sekundentakt nervös durch die Haare strich: Jesper Nielsen, Hauptsponsor und Aufsichtsratsvorsitzender der Löwen. Unmittelbar nach Spielschluss verzog sich der dänische Schmuckbaron vor die Europahalle. Erwollte alleine sein, lehnte mit dem Rücken an einem Geländer und tippte hektisch auf seiner Handytastatur herum. „Für mich war das die größte Enttäuschung in dieser Saison“, grummelte er, „ich kann nicht verstehen, dass die Spieler nicht motiviert waren, gerade in solch einer wichtigen Phase, in der es darum geht, sich noch für die Champions League zu qualifizieren.“

Klar ist: Bei den Löwen geht die Angst um, die Angst vor dem Verpassen der Königsklasse. Göppingen könnte dem Rudel den vierten Rang wegschnappen, hat aber ein schweres Restprogramm. Wie auch immer, selbst,wenn die Löwen nicht als Vierter durchs Zeil sausen sollten, scheint die Champions-League-Teilnahme nicht ausgeschlossen zu sein. Auch eine Wildcard könnte ein erneutes Mitwirken ermöglichen. Die Gerüchteküche brodelt…

Nielsen will davon nichts wissen: „Wenn man so spielt, wie wir gegen Berlin, dann hat man es einfach nicht verdient in der Champions League zu spielen.“ Aus finanzieller Sicht wäre das ohnehin kein Muss. Storm erklärt: „Unser Etat ist nicht auf die Champions League ausgelegt.“ Mitspielen möchten die Kurpfälzer aber trotzdem. Es geht ums Rennomee, man will dabei sein, wenn sich die Besten der Besten auf der Platte gegenüberstehen.

Löwen-Trainer Ola Lindgren möchte das auch. Um seinen Job braucht der Schwede übrigens nicht zu bangen. Nielsen stellt ihm eine Jobgarantie aus: „Ola ist unser Mann. Wir Skandinavier stehen für Stabilität.“ Und auch die Spieler scheinen die Zeichen der Zeit erkannt zu haben. Gestern nach dem Training haben sich Henning Fritz und Co. getroffen. Der Krisenrat tagte.

Von Daniel Hund

 25.05.2010