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Rauschendes Handball-Fest ohne Happy End

Mannheim. Der Ball flog und flog, hoch oben, über Freund und Feind hinweg in Richtung leeres Löwen-Tor. In ihm landete er dann auch. Aber zu spät: Die Schluss-Sirene kam dem Einschlag, dem Überqueren der Linie zuvor. Schluss, Aus, Fertig! Es blieb beim 38:38 (22:17), beim Remis zwischen den Rhein-Neckar Löwen und dem FC Barcelona, beim Champions-League-Knaller in der ausverkauften SAP Arena. „Puh, so lange zwei Sekunden habe ich noch nie erlebt“, pustete Uwe Gensheimer, der überragende 15-Tore-Mann, tief durch: „Ich war wirklich froh, als es endlich Piep gemacht hat.“

Die Spanier konnten sich mit dem Ausgang des Herzschlagfinales hingegen nicht anfreunden. Sie stürmten in Richtung Zeitnehmertisch. Schubsten und fluchten. Minutenlang! Die Kreis-Toreros pochten auf den Sieg, fühlten sich um ihr 39. Tor betrogen. Und auch in den Katakomben ging’s heißblütig weiter. Ein kleiner, leicht rundlich wirkender Mann im schwarzen Anzug wedelte mit einem großen, weißen Blatt Papier hin und her, untermalt wurde seine One-Man-Show durch lautes Fluchen. Halb auf spanisch, halb auf englisch. Ein sprachliches Durcheinander, das kaum zu entschlüsseln war. Nur ein Wort klang immer wieder durch: „Protest.“

Löwen-Trainer Gudmundur Gudmundsson hörte es. Aber den Isländer ließ es kalt. Er schmunzelte: „Die Uhr war längst abgelaufen – da wird nichts mehr passieren.“ Auch Thorsten Storm nahm die Drohungen gelassen: „Der Spielbericht ist weg.“ Und der Manager legte nach, grinsend: „Im deutschen Fernsehen war er nicht drin, im spanischen angeblich schon. Aber so ist das halt manchmal.“ Gute Laune, die ins Bild passte. Die Gelbhemden feierten das Unentschieden wie einen Sieg. Was nachvollziehbar ist. Rein rechnerisch sowieso: Durch die Punkteteilung haben die Badener im direkten Vergleich die Nase vorn. „Das ist ein großer Vorteil im Kampf um Platz zwei“, jubelte Aufsichtsrats-Boss Jesper Nielsen, „und den sollten wir belegen, um unseren Traum vom Final Four in Köln wahr werden zu lassen.“

Wenn sein Personal weiter so spielt, wie gestern in der ersten Halbzeit, wird das Rudel wohl zwangsläufig in Köln aufkreuzen. Ganz großes Kino war’s, was die Löwen in den ersten 30 Minuten boten. Wie entfesselt legten sie los. Ohne Respekt, ohne Schwächen. Nach zehn Minuten führte die Gudmundsson-Sieben bereits mit 9:5. Für die stolzen Spanier deutete sich ein Drama an, kein spannender Action-Streifen. Xavi Pascual erkannte das und griff ein. Barcas Trainer stoppte den „Film“, zog mit hochrotem Kopf die Reißleine, bat zum Kreisgespräch, zum einminütigen Krisengipfel.

Genutzt hat es nichts. Der Gast war weiter mittellos, ja teilweise gar orientierungslos. Die ersten 30 Minuten glichen einer Vorführung, einem Lehrfilm auf Deutsch. Oliver Roggisch, Löwen-Abwehr-Fels von Beruf, sagte: „So stark habe ich uns im Angriff noch nie gesehen.“ Phasenweise führte man mit acht Toren (18:10), spielte „Handball vom Feinsten“ (Storm).

Es lief beängstigend gut, so gut, dass der Einbruch nach der Pause nicht überraschend kam. Trotzdem hätten die Löwen eine Acht-Tore-Führung über die Zeit bringen müssen. Storm nickt: „Wenn du mal so vorne bist, solltest du dich nicht mehr abfangen lassen.“ Schwamm drüber, ärgern war gestern verboten. Nicht bei der Kulisse: 13.200 Zuschauer entfachten einen Höllen-Lärm, schunkelten sich in Ekstase. Storm schwärmte, bedankte sich bei den Fans. Gudmundsson auch: „Das war ein unglaubliches Erlebnis, das ich nie vergessen werde.“

„Gensel“ hatte daran einen großen Anteil. Der Friedrichsfelder war quasi der Zeremonienmeister. Mit 15 Toren, mit Leidenschaft pur. „Gudmi“ verneigte sich verbal: „Solch eine Gala erlebst du nur ganz selten.“ Gudjon Valur Sigurdsson ist der Leidtragende. Am Mannheimer Bub kommt der Kapitän derzeit nicht vorbei. Gudmundsson sagt: „Uwe kann man momentan einfach nicht auswechseln.“ Das nennt man dann wohl ein Luxusproblem.

Von Daniel Hund

 21.02.2011