Veröffentlichung:

Roth: Ich bin kein Feuerwehrmann

Mannheim/Melsungen. Als unbedarfter Beobachter der Handball-Bundesliga musste man am vorletzten Oktober-Wochenende schon zweimal hinschauen. Da wechselte mitten in der Saison – es war nicht mal ein Drittel der Spiele absolviert – Trainer Michael Roth von der HSG Wetzlar den Verein. Ihn zog es – noch verwunderlicher – ausgerechnet zum punktlosen Schlusslicht MT Melsungen, wo der Trainerposten aufgrund der sportlichen Misere gerade erst frei geworden war. Hat hier jemand ein besonderes Faible für Himmelfahrtskommandos?

Keineswegs, wie der Leutershausener betont. „So spontan war das gar nicht. Wir haben immer wieder Kontakt gehabt, und ich bin froh, dass es endlich geklappt hat“, erklärte der ehemalige Coach der SG Kronau/Östringen bei seinem Antritts-Interview in Nordhessen. Das ihm entgegengebrachte Vertrauen wolle er nun zurückzahlen. Mit Blick auf die Alternative Melsungen, wo nicht nur die Rote Laterne seit Wochen ihre Heimat hat und auch das schlechteste Torverhältnis fabriziert wurde, wird allerdings auch deutlich, wie groß der Leidensdruck in Wetzlar gewesen sein muss. Der Handball-Lehrer ist schließlich bekannt dafür, gerne Aufbauarbeit zu leisten. Doch in der Rittal-Arena gibt es dafür wohl keine Perspektiven mehr – vor allem finanziell.

Zuletzt mussten immer wieder die besten Spieler (Lars Kaufmann, Sven Sören Christophersen) abgegeben werden, von schleppenden Gehaltszahlungen war die Rede und selbst die Ablöse für Roth, der von Melsungen aus seinem laufenden Vertrag herausgekauft werden musste, dürfte für die HSG überlebensnotwendig gewesen sein. Michael Roth geht darauf nicht im Detail an, sagt aber: „Ich hinterlasse in Wetzlar eine intakte Mannschaft, aber kein intaktes Umfeld.“ Wer zwischen den Zeilen lesen kann, ist hier im Vorteil.

Sportlich lässt sich in Melsungen mehr bewegen, ist sich der 48-jährige Bergsträßer sicher, der im Winter auch nach Nordhessen umziehen will, um noch näher an der Mannschaft zu sein. Doch Roth ist vor allem kurzfristig gefragt, Abstiegskampf ist das Thema Nummer eins. Als Feuerwehrmann sieht er sich allerdings nicht. „Feuerwehrmänner kommen häufig, wenn kaum noch etwas zu retten ist. Dagegen ist die Saison noch jung“, will der neue MT-Coach das Ruder sobald als möglich herumreißen. Dafür hat er in der zurückliegenden Woche zwei trainingsfreie Tage gestrichen, den Hebel will er vor allem über die Abwehr ansetzen. „Im Abstiegskampf ist es besser, 23:22 zu gewinnen, als 32:33 zu verlieren“, macht Roth eine einfache Rechnung auf.

Selbst sein erstes Spiel auf der Melsunger Bank, das ihn am Mittwochabend (20.15 Uhr/ SAP Arena) ausgerechnet zu den Rhein-Neckar Löwen und damit zu seinem Ex-Klub führt, hat er trotz der Ausgangslage noch nicht abgeschrieben. „Punkte sind in jedem Spiel zu vergeben. Warum sollten wir also die zum Beispiel gegen die Rhein-Neckar Löwen nicht holen wollen oder können? Jedes Spiel muss erst gespielt werden“, gibt Roth noch nichts verloren.

Von Thorsten Hof

 02.11.2010