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Storm: Wir sind nicht gescheitert (MM)

Mannheim. Wieder einmal liegt nicht nur ein titelloses, sondern auch ein turbulentes Jahr hinter den Rhein-Neckar Löwen. Vorgestern gewann der Handball-Bundesligist sein letztes Spiel vor der EM-Pause mit 34:25 beim Bergischen HC. Manager Thorsten Storm blickt auf das Jahr 2011 zurück.

Herr Storm, warum waren die vergangenen Monate so schwierig?

Thorsten Storm: Die sportlichen Leistungen sind zu schwankend. Es ist zurzeit insgesamt wirklich kein einfacher Job. Aber wenn man etwas mit ganzem Herzen macht, wird man sein Ziel auch erreichen.

Wie bewerten Sie in sportlicher Hinsicht das letzte Halbjahr?

Storm: Wir hatten große Verletzungsprobleme. Trotzdem war mehr drin. Im DHB-Pokal gegen Hamburg hätte es für einen Überraschungssieg reichen können. Das haben wir dann am Ende selbst verspielt. In Hannover und Berlin haben wir wirklich schlecht gespielt. Auch in Lübbecke waren die Punkte eigentlich bereits erarbeitet. Alles in allem waren das zu viele eigene Fehler. Die Mannschaft weiß das – und nur sie kann es ändern.

Ist der dritte Platz noch erreichbar?

Storm: Alles Denkbare ist machbar. Aber auf dem Spielfeld müssen die richtigen Entscheidungen getroffen werden. Die Qualität in der Mannschaft ist da, sie wird nur noch nicht von jedem Einzelnen konsequent genutzt. Es muss mehr Platz sein für die Vereins- und Mannschaftsziele. Weniger für die persönlichen, wenn es um den Erfolg geht. Dann kann es eine gute Rückrunde geben. Flensburg oder Berlin sind nicht besser besetzt als unser Team.

Warum hinken die Löwen ihren eigenen Ansprüchen hinterher und was erwarten Sie?

Storm: Wichtig ist für mich, dass nach einem Spiel jeder Einzelne bei uns seinem Mitspieler in die Augen schauen und sagen kann: „Ich habe alles gegeben“. Der Rest kommt dann oft von allein. Es wird keinen Fan geben, der dann nicht hinter dieser Mannschaft steht.

Sie haben schon von einer Wohlfühloase bei den Löwen gesprochen. Können Sie das präzisieren?

Storm: Jedem bei uns muss klar sein, dass alle Fans mit dem Erwerb der Eintrittskarte völlig zu Recht den Anspruch verbinden, ein engagiertes Handballspiel zu erleben. Ich wünsche mir mehr Spaß und Freude am Handballspiel. Der Hunger auf Siege muss in jedem Spiel größer sein als der des Gegners. Das ist das Einzige, was ich verlange. Wenn am Ende ein anderer wirklich besser war, werden unsere Fans die Letzten sein, die das nicht verstehen. Es geht hier um die eigene Wahrnehmung. Und die muss bei einigen bei uns besser werden. Nur dann kommen wir weiter.

Welches Zeugnis stellen Sie Trainer Gudmundur Gudmundsson aus?

Storm: Gudmundur ist ein sehr ehrgeiziger und akribischer Arbeiter. Er analysiert zu 100 Prozent und ist taktisch immer optimal vorbereitet. Er trainiert aber eine Mannschaft, die so nicht optimal zusammenpasst. Es ist wichtig, dass unser Trainer die Zeit bekommt, sein Team zu formen und zu entwickeln. Man kann nicht ständig die Trainer kritisieren, wenn individuelle Fehler auf dem Parkett Spiele entscheiden. Ich arbeite gerne mit ihm zusammen.

Keine Champions League, weniger Zuschauer, Geldgeber Jesper Nielsen will aussteigen. Ist das Löwen-Projekt gescheitert?

Storm: Nein. Wir müssen uns nicht verstecken. Das Jahr 2011 war in vielen Bereichen gut. Zwei Final-Four-Teilnahmen sprechen dabei für sich. Das Halbfinal-Aus im Pokal gegen Flensburg war allerdings enttäuschend. In diesem Jahr sind wir nach sechs Teilnahmen an der DHB-Pokal-Endrunde erstmals nicht dabei, haben aber im Europacup noch einiges vor. Und in der Rückrunde werden wir in der Bundesliga alles versuchen. Die Löwen haben sich in den zurückliegenden Jahren im internationalen Handball etabliert. Titel kann man am Ende aber nicht herbeireden. Man muss nicht nur jeden Tag hart dafür arbeiten, sondern vor allen Dingen beständig sein und seinem Weg treu bleiben. Ich werde alles mir Mögliche dazu beitragen, weil mir dieser Klub sehr am Herzen liegt. Und mit Jesper Nielsen haben wir langfristige Verträge vereinbart. Erst dadurch sind viele seiner Spielerwünsche möglich geworden.

Müssen Sie sich eingestehen, dass der THW Kiel und der HSV Hamburg unerreichbar bleiben und welche Rolle nehmen die Löwen in den nächsten Jahren ein?

Storm: Unerreichbar ist im Sport niemand. Alles hat seine Zeit. Wir haben von der personellen Besetzung sicher in Kiel gerade eine Übermannschaft. Aber auch hier wird es irgendwann die Möglichkeit geben, den THW zu schlagen. Temporär ist uns das gerade in der vergangenen Saison doch schon ganz gut gelungen. Auch den HSV haben wir in diesem Jahr besiegt. Daran liegt es nicht. Das geht alles. Allein die Beständigkeit fehlt: Wir haben in der laufenden Spielzeit nicht in Kiel oder Hamburg verloren, sondern in Hannover und Lübbecke.

In den vergangenen Jahren wurde mit viel Geld versucht, nach ganz oben zu kommen. Wie sieht die neue Strategie Ihres Klubs aus?

Storm: Ich sehe die Löwen unter den fünf Top-Teams der Liga und unter den ersten Zehn in Europa. Wir wollen uns weiterentwickeln. Allerdings hat sportliche Weiterentwicklung nicht immer etwas mit der Höhe des Etats zu tun. Für die Löwen wäre es ein sehr attraktiver Weg, wenn wir unser Scouting verbessern und mit sieben oder acht Top-Spielern und sechs bis sieben deutschen Talenten aufgestellt sind. Diese Meinung habe ich schon immer vertreten.

Wie viel Sorge bereiten ihnen die stark sinkenden Zuschauerzahlen?

Storm: Es kommt auf unsere Spielweise und die Mannschaft an. Attraktiver Handball hat genügend Potenzial für die SAP Arena. Wenn dann der Spielplan und die Anwurfzeiten noch passen, kommen auch gegen einen Gegner wie Hüttenberg 8000 Fans. Aber sie wollen eben auch Spaß-Handball sehen – und den über 60 Minuten! Sonst kommen die Fans vielleicht das nächste Mal nicht wieder.

Von Marc Stevermüer