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Treue kennt keine Entfernung

Löwen-Fanclub Baden Lions organisiert Fahrten zu Auswärtsspielen: ein Reisebericht

Wenn der Weg das Ziel ist, dann ist der Umweg Teil der Zielfindung. Als sich rund 50 Fans der Rhein-Neckar Löwen am 29. März dieses Jahres auf die Reise begeben, tun sie dies mit einer großen Portion Gelassenheit. Für die allermeisten ist die Fahrt mit dem Fanclub Baden Lions Routine, zumal sich die Strecke zum Bundesliga-Auswärtsspiel beim TV Hüttenberg mit knapp 170 Kilometern in äußerst überschaubaren Grenzen hält. Sorgen machen nur die Verkehrsnachrichten, womit wir wieder beim Thema Umweg wären.

Der Bus beladen, Frauen, Männer, Kinder an Bord, doch die für 14 Uhr geplante Abfahrt von Kronau aus verzögert sich. Von hier aus, wo das Trainingszentrum der Rhein-Neckar Löwen steht und die Mannschaft zu ihren Spielen in der Fremde aufbricht, nehmen auch die Fanreisen ihren Ausgangspunkt. Rainer Eder, Vorsitzender der Baden Lions und seit jeher Reiseleiter bei den Fanfahrten, scrollt sich durch sein Smartphone. Was er da erfährt, lässt die Falten auf seiner Stirn ein bisschen tiefer werden. „Alles dicht“, sagt Eder und meint damit nicht nur die Autobahnen 5 und 6, die sich ganz in der Nähe kreuzen und fast täglich mindestens einmal komplette Verstopfung melden. Auch die Umfahrungsmöglichkeit über die B3 scheint wenig attraktiv, stößt diese im Falle größerer Autobahnstaus doch schnell an ihre Belastungsgrenze. Kronau am Nachmittag – ein Alptraum für jeden Kraftfahrzeug-Insassen. Und dann ist dieser 29. März auch noch Gründonnerstag, Reisetag für alle Oster-Urlauber. „Katastrophe“, sagt Rainer Eder, nicht ohne hinter den tiefer gewordenen Stirnfalten nach einem Ausweg aus der Verkehrsmisere zu suchen.

Mit Williams Birne und einer Auswahl von Schokoladen

In unzähligen solcher Situationen feuererprobt, findet der Fuchs tatsächlich eine Route, welche die Reisegruppe um die Staus herum und ohne langes Warten auf eine freie Autobahn führt. Dabei brettert der große gelbe Bus durch kleine schnuckelige Ortschaften, schlängelt sich durch enge Kurven und immer wieder erstaunlich knapp und gelassen vorbei an parkenden Autos. Am Ende sind wir tatsächlich auf der Autobahn, Fahrer Roland gibt Gas und der Optimismus, es bis zum Anpfiff um 19 Uhr auf die reservierten Plätze in der Sporthalle Gießen-Ost zu schaffen, steigt mit jedem Kilometer. Unterstützend wirkt hierbei die Wegzehrung, die berühmt-berüchtigte, wie man von Fanfahrten-Veteranen leb- und glaubhaft geschildert bekommt. Die Flasche mit Williams Birne wandert durch die Sitzreihen, eine Tupper-Box mit Kaubonbons folgt auf eine Auswahl von Schokoladen. Es gibt Selbstgebranntes, Selbstgebackenes, Selbstbelegtes, und bei Rainer Eder kann neben den im Fahrpreis inbegriffenen Getränken noch auf die weiteren Vorräte an Wasser, Cola, Fanta und Bier zurückgegriffen werden. Der Gemütlichkeitsfaktor, so viel steht jetzt schon fest, ist gar nicht hoch genug zu bewerten. Und das noch deutlich vor dem Höhepunkt der Anreise.

„Das gemeinsame Vespern hat bei uns Tradition“, erklärt Rainer Eder und stimmt auf die „große Pause“ vor dem Erreichen des Fahrtziels ein. Hinter ihm drücken sich die Mitreisenden in die bequemen, gut gepolsterten Fernreisesitze. Die Vollprofis haben sich mit kleinen Kisschen eingedeckt, einige machen kurz die Augen zu. Bei aller Knabberei und Zufuhr diverser Flüssigkeiten – Hunger bekommen die meisten jetzt doch. Oder gerade deswegen. Aus den Boxen dröhnen Partysongs und deutscher Schlager, als der Bus kurz vor Gießen, wo der TV Hüttenberg seine Heimspiele austrägt, auf eine Autobahn-Raststätte einbiegt. Rainer Eder dirigiert Fahrer Roland so, dass der Bus als Windschutz für die Vesper-Gesellschaft fungiert. Dahinter geht dann alles blitzschnell. Während sich die letzten Reisenden aus dem Bus schälen und die müden Glieder recken, hat das Vesper-Team bereits die Klapptische aneinandergereiht und den großen Bottich mit Wasser ans Gas angeschlossen. Hier werden gleich die Würstchen warmgemacht, dazu gibt es alles, was man sich von einem Büffet nur wünschen kann: Brötchen, Gürkchen, Aufschnitt von Wurst und Käse. Ganz wichtig: Butter. Und Senf. Ketchup. Zwei Kannen Kaffee für den Energieschub danach. Und natürlich Besteck. „Du hattest ja noch gar keine Wurst. Die muss man unbedingt probieren“, sagt Rainer Eder und serviert persönlich.

„Ein ganzer Tag für eine Stunde Handball“

Mit wieder aufgefüllten Kraftreserven und zufriedenem Magen kommt man ins Gespräch. Erika Eder, die wie Sohn Rainer seit jeher bei den Fanfahrten dabei ist, erinnert sich an deutlich weitere Reisen, nach Flensburg oder ins Ausland, nach Kristianstad in Schweden oder Kielce und Plock in Polen. „Das macht immer großen Spaß“, sagt Erika und zieht an ihrer Zigarette. Wenn es geht, ist sie immer dabei, unterstützt die Löwen bei jedem möglichen Auswärtsspiel. Und die Spieler, so das Gefühl der Fans, freuen sich über diesen Support, wissen zu schätzen, wie viel ihre Anhänger in solche Reisen investieren. „Ein ganzer Tag für eine Stunde Handball“, sagt Rainer Eder und fasst damit in einem Halbsatz zusammen, welchen Aufwand seine Mitstreiter und er betreiben, um der Löwen-Truppe auch in der Fremde ein Gefühl von Heimat zu geben. Tatsächlich gibt es nicht viele Vereine, deren Anhängerschaft derart gut organisiert und deshalb auch auswärts große Präsenz zu zeigen imstande ist. In Gießen sind es neben den 50 Fanbus-Insassen noch viele Dutzende „Gelbträger“, die sich im Gästeblock treffen und eine geschlossene Löwenfraktion bilden. Nachdem Roland sein sperriges Vehikel vor der Halle angehalten und anschließend in einer Parkbucht verstaut hat, geht es für die Reisegruppe durch die Einlasskontrolle ins Foyer der Sporthalle Ost.

Im Vergleich zur heimischen SAP Arena geht es hier mindestens zwei Nummern kleiner zu. Einen ersten Glücksmoment bringt Maskottchen Rollo, der uns praktisch in die Arme läuft und uns neben einem Selfie mit einem kleinen folierten Handkäse versorgt. Unbezahlbar! Danach geht es über Treppen und um Ecken, bis wir, etwas umständlich, den Gästeblock erreichen. Hier gilt, in leichter Abwandlung unseres Reisemottos: Der Weg führt zum Ziel. Am oberen Ende der Tribüne hat sich die gelbe Auswärtswand formiert, herrscht pünktlich zum Spielbeginn eine ohrenbetäubende Geräuschkulisse. Es klatscht und trötet unter dem Gebälk der Sporthalle, die Löwen-Spieler winken kurz zum Gruß. Dann geht es ins Spiel. Die Löwen tun sich zu Beginn ein bisschen schwer, haben dann aber einen Lauf, der schon in der ersten Halbzeit die Vorentscheidung bringt. Die tapferen Hüttenberger, die sich am Ende der Saison nach dem sensationellen Durchmarsch aus Liga drei wieder zurück in die Zweite Bundesliga verabschieden werden, schlagen sich wacker, die Löwen gewinnen klar. Als auf den Smartphones der Fans das Remis von Titelkonkurrent Füchse Berlin in Stuttgart ankommt, gibt es noch eine Extraportion Applaus – und das für die eigentlich ungeliebten Schwaben.

Abklatschen zwischen Fan- und Mannschaftsbus

Das alles hat Kraft gekostet. Weniger nervlich, aber körperlich auf jeden Fall. Als das einseitige Spiel gegen 20.30 Uhr beendet ist, schlurft die Gruppe zurück zum Bus. Dort sind, wie sollte es auch anders sein, schon wieder die Tische aufgebaut: Vesperrunde Nummer zwei. Nebenbei haben die Fans auch immer ein Auge auf den anderen gelben Bus, auf ebenjenen, mit dem die Mannschaft gleich wieder zurück in die Heimat fahren wird. Allmählich trudeln Spieler und Betreuerstab ein, alle klatschen sie ab, geben Autogramme, stehen für Selfies und Fotos parat. Kim Ekdahl Du Rietz, der erst am Anfang des Monats sein Comeback bei den Löwen erklärt hatte, wird ganz besonders in Beschlag genommen. Mikael Appelgren bietet mit seinem breiten Grinsen und der wallenden Mähne ein genauso beliebtes Fotomotiv. Wer es in den Bus geschafft hat, bedient sich dort am eigenen Büffet. Auch das teilen Spieler und Fans, genauso wie die Anreise – den Weg und das Ziel. Hinzu kommt die Müdigkeit. Auf der Rückreise fallen, entgegen vehementer Ankündigungen, doch einige Äuglein zu. Rainer Eder und eine Gruppe Unentwegter stimmt hingegen noch bis zur Einfahrt nach Kronau Lieder an.

„Jetzt wird noch ausgeladen, das dauert auch ein bisschen“, sagt der Reiseleiter und schaut auf die Uhr: Es ist kurz nach 23 Uhr. Aber wie gehabt: Der Weg ist das Ziel. Und Rainer Eder und seine Baden Lions haben den Plan im Kopf. Nach Hannover geht es zum Final Four nach Hamburg, danach noch nach Berlin und Erlangen. Der gelbe Bus rollt weiter. Und mit ihm die treuen Fans der Rhein-Neckar Löwen.

Infos zu den Auswärtsfahrten gibt es auf der Webseite der Baden Lions.