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Vom Assistenten zum Chef und wieder zurück (MM)

Da Trainer Gudmundur Gudmundsson bei den Olympischen Spielen weilt, steht Tomas Svensson bei den Rhein-Neckar Löwen in der Verantwortung

MANNHEIM. Einen Gedanken an das Heimatland verschwendet er in diesem Augenblick nicht. Tomas Svensson analysiert gerade das Testspiel der Rhein-Neckar Löwen gegen den VfL Gummersbach (30:30), als ihm vom überraschenden Erfolg der schwedischen Handball-Nationalmannschaft über Dänemark bei den Olympischen Spielen berichtet wird. „Wow, Schweden im Halbfinale. Das ist unglaublich“, staunt der Assistenztrainer der Löwen nicht schlecht über seine Landsleute.

Stunden zuvor musste er noch seine Qualitäten als Trostspender zeigen, als der 44-Jährige mit Löwen-Chefcoach Gudmundur Gudmudsson telefonierte. Der war in London mit Island an Ungarn gescheitert. „Gudmundur ist sehr traurig“, sagt Svensson, bei dem das Drama der Isländer längst vergessen geglaubte Erinnerungen auffrischt: „Ich stand drei Mal im Olympischen Endspiel. Drei Mal hatten wir zuvor keine Partie verloren. Und drei Mal gewann ich Silber. Aber so ist Sport.“

Da Gudmundsson in den vergangenen Wochen in London weilte und in den nächsten Tagen zurückerwartet wird, hat Svensson das Kommando bei den Löwen übernommen. Er muss die Spieler in Form bringen, sie fördern und fordern. Auch heute (19 Uhr) im Testspiel gegen den TV Großwallstadt in der Mannheimer GBG Halle liegt die Verantwortung bei ihm. „Das ist eine interessante Aufgabe, ich lerne sehr viel, habe mich als Mensch und Trainer weiterentwickelt. Die Spieler und auch Gudmundur machen es mir aber sehr leicht. Ich bin nicht allein“, sagt der Schwede und verweist auf tägliche Telefonate mit Gudmundsson, der zuvor auch den Trainingsplan geschrieben hatte.

Alles festlegen lässt sich im Vorfeld jedoch nicht. Manchmal müssen die Zügel angezogen werden, ab und zu haben sich die Spieler eine Belohnung verdient. „Ein Trainer kann nicht alles steuern. Mal muss man mehr machen, mal weniger. Da kommt es auf das Bauchgefühl an. Das hat mir Gudmundur mit auf den Weg gegeben“, sagt Svensson, der stets den Dialog mit den Profis sucht: „Ich spreche viel mit Uwe Gensheimer, unserem Kapitän.“ Oder auch mit Oliver Roggisch und Bjarte Myrhol, den „Veteranen“, wie sie der ehemalige Weltklasse-Torhüter nennt.

Wenn Gudmundsson zurück ist, wird sich der zweifache Weltmeister auch wieder vermehrt um das individuelle Training kümmern können. Einen Spieler kontinuierlich besser machen, an seinen Schwächen arbeiten – das ist Svenssons Berufung. Gerade die Talente Kevin Bitz, Marius Steinhauser und Jonas Maier loben ihn sehr – und der Schwede gibt die Komplimente gerne zurück: „Sie sind sehr lernwillig. Manchmal muss ich sie ein bisschen bremsen.“ So habe Maier auf seine Glückwunsch-SMS zum Gewinn der Jugend-Europameisterschaft mit der Frage geantwortet, wann wieder Training sei.

Svenssons Augen leuchten, wenn er darüber spricht. Die Begeisterung steht ihm ins Gesicht geschrieben, er verschreibt sich voll und ganz dieser Aufgabe. „Die Jungs nehmen die Hilfe an. Das stimuliert mich“, sagt der sympathische Familienvater, der sich in der neuen Saison nicht mehr zwischen die Pfosten stellen will. „Für einen Kurzeinsatz würde es noch reichen, aber meine aktive Karriere ist jetzt endgültig vorbei und mein Leben hat sich geändert. Die Löwen haben mir eine Tür geöffnet und ich stehe in einem großen Raum, in dem ich mich orientieren muss. Die Arbeit als Trainer macht mir riesigen Spaß. Aber es ist zu früh zu sagen, dass ich irgendwann als Chefcoach arbeiten will“, meint der Ex-Torwart, dem wohl auch heute keine Zeit bleibt, einen Blick nach London zu werfen.

Seine schwedischen Landsleute kämpfen in der englischen Hauptstadt gegen Ungarn um den Finaleinzug – und gewinnen vielleicht am Sonntag den einzigen Titel, der in Svenssons Sammlung fehlt: Olympisches Gold.

Von Marc Stevermüer