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Vom Fliesenleger zum Europameister (MM)

Marcus Cleverly arbeitet zu Beginn seiner Karriere nebenbei auf dem Bau – heute steht er im Topspiel für den HSV Hamburg gegen die Löwen im Tor

HAMBURG. Baustelle statt Ball. Es gibt eine Zeit in der nicht ganz alltäglichen Karriere von Marcus Cleverly, in der er sich ein paar Euros nebenher verdient. Der Däne ist 23 Jahre jung, als er 2005 zum damaligen Handball-Zweitligisten TV Emsdetten wechselt und ein Gewerbe anmeldet. Als Fliesenleger. „Das habe ich mal gelernt.“

Spiele in der Champions League, Titelfeiern, EM-Triumph – all das kommt viel später und ist zu diesem Zeitpunkt überhaupt nicht absehbar. „Ich hatte in Emsdetten nicht gerade meinen besten Vertrag abgeschlossen“, sagt Cleverly mit einem schelmischen Grinsen, als er mit seiner Vergangenheit konfrontiert wird: „Ein bisschen Extra-Geld tat mir da ganz gut“, räumt der Keeper ein, der mittlerweile beim HSV Hamburg spielt und mit den Hanseaten heute um 15 Uhr auf die Rhein-Neckar Löwen trifft.

In der vergangenen Woche stand Cleverly für die Norddeutschen in Emsdetten auf der Platte – es ist eine Zeitreise für ihn. „Ich bin dem Verein bis heute dankbar, dass er mir das damals mit meinem Nebenjob erlaubt hat.“ Die Geschäfte als Fliesenleger laufen während seiner Zeit beim TVE auf jeden Fall gut, „wir hatten viel zu tun“, sagt der 28-Jährige – was nicht weiter verwundert. Im ländlichen Münsterland herrscht seit Jahren fast Vollbeschäftigung, die Leute arbeiten in Münster und bauen in den Vororten ihre Häuser. Sehr zur Freude von Cleverly.

Keine Angst um die Hände

Er schuftet tagsüber auf dem Bau und schwitzt abends in der Trainingshalle. Angst um seine Hände, vor schweren Schnittverletzungen habe er nie gehab. „Ich wusste ja, wie wichtig meine Hände für meinen Sport sind. Ich habe immer schön aufgepasst – und viele Fliesenleger gesehen, deren Hände anders als meine aussahen. Die waren wohl nicht so vorsichtig“, scherzt Cleverly.

Er denkt gerne an diese Zeit zurück, die ihn so bodenständig hat bleiben lassen. Trotz der großen Erfolge, die danach folgen. Mit dem polnischen Spitzenklub Vive Kielce feiert er zwischen 2009 und 2013 zwei Meisterschaften und drei Pokalsiege, der 1,88-Meter-Mann spielt in der Champions League und bildet ein starkes Torwart-Gespann mit dem Ex-Löwen Slawomir Szmal. „Wir haben uns immer prima verstanden“, sagt der Neuzugang der Hamburger, der sich mitten in der polnischen Pampa wohl fühlt. „Ich kann verstehen, wenn es dort jemandem nicht gefällt. Aber für mich war Kielce genau das Richtige“, berichtet Cleverly, der sich in den dreieinhalb Jahren bei Vive voll und ganz mit dem Klub und der polnischen Mentalität identifiziert: „Ich habe sogar Polnisch gelernt. Das war nicht einfach. Aber die Jungs auf dem Feld haben mich verstanden.“

In Kielce reift er von einem guten Schlussmann zu einem Torwart internationaler Klasse, was dem dänischen Nationaltrainer Ulrik Wilbek nicht verborgen bleibt. Cleverly, der ehrliche und ehrgeizige Arbeiter, schafft es in den Kader für die EM 2012, gewinnt als Vertreter von Stamm- und Löwen-Torwart Niklas Landin den Titel, ist bei den Olympischen Spielen 2012 dabei. Und er will mehr. Die Europameisterschaft 2014 in seiner Heimat ist sein Ziel, deshalb wechselt er vor dieser Saison von LUGI HF aus Schweden zum HSV. Er will sich in der Bundesliga mit den Besten messen, sich dem Nationaltrainer empfehlen.

Doch vor wenigen Tagen platzt sein Traum, Wilbek streicht ihn aus dem Aufgebot: „Ich habe alles dafür getan, um noch einmal dabei zu sein. Deswegen bin ich enttäuscht. Trotzdem wünsche ich den Jungs alles Gute“, sagt der Sportsmann Cleverly, der im Januar jetzt Zeit hätte, seiner alten Leidenschaft als Fliesenleger nachzugehen. „Nein, nein“, wiegelt der 28-Jährige ab und lacht: „Dieses Kapitel ist für mich geschlossen.“ Wahrscheinlich hat er jetzt auch einen besseren Vertrag.

Von Marc Stevermüer